Über staatliche und nichtstaatliche Hinrichtungen

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Im August 2014 hat die Terrororganisation Hamas in Gaza, 18
Im August 2014 hat die Terrororganisation Hamas in Gaza, 18 "Kollaborateure" auf offener Strasse erschossen. Foto Screenshot Youtube
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Nach schweren und besonders grausamen Terroranschlägen wurde von einigen israelischen Politikern, darunter Verteidigungsminister Avigdor Liberman, die Einführung einer Todesstrafe für Terroristen gefordert. Darüber wird jetzt auch in der Knesset, dem israelischen Parlament, beraten.

 

Das israelische Zivilgesetz kennt durchaus die Todesstrafe, bei „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Gemeint ist Völkermord. Bisher wurde ein Todesurteil nur ein einziges Mal ausgesprochen und vollstreckt: gegen Adolf Eichmann, dem Organisator des Holocaust der Nazis.

Justiz zwischen Zivilrecht und Militärgesetz

Neben dem Zivilgesetz, das innerhalb des souveränen Territoriums Israels angewandt wird, gilt aus völkerrechtlichen Gründen in den besetzten Gebieten noch das Militärgesetz. Hierbei handelt es sich nicht um Gesetze, die vom israelischen Parlament verabschiedet worden sind, sondern um das von den Briten übernommene Besatzungsrecht, das im Mandatsgebiet Palästina bis 1948 gegolten hat.

Über den Sinn oder Unsinn der Todesstrafe soll hier nicht weiter diskutiert werden. Menschenrechtsorganisationen befleissen sich, immer wieder die Länder aufzulisten, in denen die Todesstrafe abgeschafft worden ist oder wo sie wegen zum Teil fragwürdigen Vergehen wie „Apostasie“ weiterhin angewandt wird. Es fällt auf, dass auf solchen Listen westliche Länder wie die USA prominent angeführt werden, während man Länder wie Syrien vergeblich sucht.

Hessische Landesverfassung

Zu den Kuriosa des Themas gehört Deutschland. Die Bundesrepublik hat zwar 1949 per Grundgesetz die Todesstrafe abgeschafft. Aber im Bundesland Hessen steht bis heute unverändert in §21 der Verfassung: „Ist jemand einer strafbaren Handlung für schuldig befunden worden, so können ihm auf Grund der Strafgesetze durch richterliches Urteil die Freiheit und die bürgerlichen Ehrenrechte entzogen oder beschränkt werden. Bei besonders schweren Verbrechen kann er zum Tode verurteilt werden.“

Amnesty gegen staatliche Todesstrafe

In einer Länderliste sind 198 Staaten aufgeführt (Stand 7. November 2017):

105 Staaten, in denen die Todesstrafe vollständig abgeschafft ist.

8 Staaten, in denen die Todesstrafe nur in Sonderstrafverfahren (z.B. Kriegsrecht) existiert.

29 Staaten mit einem Hinrichtungsstopp.

56 Staaten, die die Todesstrafe auch im gewöhnlichen Strafrecht haben und anwenden

Amnesty stellt fest: „Staatliches Töten ist keine angemessene Antwort auf Mord und Kriminalität. Wo sich der Staat zum Richter über Leben und Tod aufschwingt, nimmt nicht Gerechtigkeit ihren Lauf, sondern es wird Rache und Vergeltung geübt.“

Gibt es nur staatliche Todesstrafen?

Todesurteile und Hinrichtungen scheinen nach der Definition von Amnesty nur verurteilenswert zu sein, wenn sie aufgrund von staatlichen Gesetzen von Gerichten beschlossen werden und dann von staatlich angestellten Henkern vollstreckt werden. Tatsächlich – nach Angaben von Amnesty – fielen viele Menschen allein im Jahr 2012 dieser verachtenswerten Methode zum Opfer, 1700 in China, 314 im Iran, 79 in Saudi-Arabien und 43 in den USA.

Was ist mit „nichtstaatlichen“ Hinrichtungen?

Die Beschränkung von Amnesty und anderen Menschenrechtsorganisationen, ausschliesslich bei Staaten die Todesstrafe zu ächten, wirkt in der heutigen Welt fragwürdig. Denn die meisten Todesurteile werden nicht von anerkannt rechtsstaatlichen UNO-Mitgliedern ausgesprochen, sondern von Organisation wie IS, Hamas, oder El Qaeda, oder sogar von Regierungen gegen das eigene Volk, wenn zum Beispiel in Syrien Hunderttausende Menschen mit Artillerie, flächendeckenden Bombardements ganzer Städten und schliesslich mit Giftgas ermordet werden. Manche nichtstaatlichen Organisationen erheben zudem den Anspruch, „Staat“ zu sein, darunter der „Islamische Staat“. Andere sprechen Todesurteile aus und vollstrecken sie vor laufender Kamera, wobei unklar ist, auf welches gültige „Recht“ sie sich dabei berufen. Hat sich Osama bin Laden etwa nicht „zum Richter über Leben und Tod aufgeschwungen“, (wie es Amnesty zur Todesstrafe bei Staaten formulierte), als er den Befehl erteilte, das World Trade Center in New York am 11. September 2001 zu zerstören, und damit ein Todesurteil gegen etwa 3000 Menschen aussprach. Das war kein Verstoss gegen das Völkerrecht, aber als die Amerikaner Bin Laden gezielt töten, erklärte Altbundeskanzler Helmut Schmidt, die Tötung Osamas sei „ganz eindeutig ein Verstoss gegen das geltende Völkerrecht.“

Es könnten hier noch zahlreiche andere Beispiele angebracht werden, darunter Selbstmordattentate, hinter denen oft Organisationen stecken, die planmässig den Tod von zahlreichen Menschen in Moscheen, Kirchen, Synagogen, in Bussen, Restaurants, oder an Versammlungsorten wie dem Berliner Breitscheidplatz oder im Pariser Bataclan-Theater nicht nur in Kauf nehmen, sondern in voller Absicht verursachen. Sind das etwa keine Hinrichtungen infolge von bewusst gefällten Todesurteilen?

Wer „führt“ eigentlich „Krieg“?

Genauso fragwürdig gehen Politik und Medien mit dem Begriff „Krieg“ um. Gemäss internationalen Konventionen ist ein Krieg ziemlich genau definiert. Es handelt sich um eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen Staaten mit uniformierten Soldaten. Im Nahen Osten hat also der letzte echte „Krieg“ 1973 stattgefunden, zwischen Israel, Ägypten und Syrien. Alles was danach kam, darunter mehrere „Libanonkriege“ oder die „Gaza Kriege“ passten nicht in dieses Schema. Auf der einen Seite ging die stehende Armee eines Staates militärisch vor, auf der anderen Seite aber Milizen, bewaffnete politische Parteien oder Organisationen, die sich keinem Staat unterstellen. Sie kontrollieren brutal willkürlich besetzte Territorien und bekriegen gleichzeitig das Nachbarland Israel. Weil es „Extremisten“ sind, die Angriffstunnel bauen oder Raketen auf zivile Ziele abschiessen, werden solche organisierten Mordaktionen nicht als „Krieg“ bezeichnet. Nur wenn eine Armee zurückschlägt und ihren Staat gegen solche Milizen verteidigt, spricht man von „Krieg“ und dieser wird dann offiziell verurteilt. Als vom Jemen aus die Houthis mit iranischen Raketen den Königspalast in Saudi-Arabien beschossen haben, wurden von westlichen Menschenrechtsorganisationen weder die Houthis, noch der Iran angeprangert, sondern nur die Saudis, als die dann mit Luftangriffen im Jemen reagierten. Ähnliche Verhältnisse herrschen auch bei den Beurteilungen der Scharmützel zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas. Tausende Raketen aus Gaza auf Israel wurden 2014 nicht als Krieg bezeichnet. Erst als Israels Armee zurückschlug, war sofort die Rede von einem erneuten „Gaza Krieg“.

Noch komplizierter ist die verbale Definition der Vorgänge in Syrien. Da sich die Kämpfe dort innerhalb eines Landes abspielen, wurde nach vielen Monaten schliesslich von einem „Bürgerkrieg“ gesprochen. Und selbst nachdem ausländische Kräfte dort eindrangen und sich beteiligten, darunter IS, Rebellen unterschiedlicher Couleur, Russen, Amerikaner und Israelis, wurde immer noch nicht von „Krieg“ gesprochen, obgleich bei den bewaffneten Auseinandersetzungen in Syrien mit etwa einer halben Million Toten mehr Menschen starben, als bei allen bisherigen Nahostkriegen zusammengenommen.

Es fehlen die richtigen Begriffe 

Brauchbare Definitionen von „Krieg“, „Todesurteil“ oder „Hinrichtung“ sind nicht nur für die Berichterstattung in den Medien oder für Politiker notwendig, wenn sie einzelne Ereignisse beurteilen wollen. Wirklichkeitsnahe Definitionen müssten dringend geschaffen werden, damit die Genfer Konventionen, das Kriegsrecht der UNO und letztlich auch die Reports von Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty gleichermassen alle Massenverbrechen verurteilen könnten. Denn zurzeit geniessen Verbrecher wie Assad und Organisationen wie El Qaeda oder IS geradezu Immunität, da sie und ihre Gewalttaten nicht in das bislang übliche Schema passen, in dem nur „anerkannte Staaten“ Krieg führen.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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