Das Jordantal: ein Ort der Hoffnung

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Das medizinische Team der IDF Jordan Valley Brigade behandelt einen Palästinenser. Foto zVg
Das medizinische Team der IDF Jordan Valley Brigade behandelt einen Palästinenser. Foto zVg
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Im Jordantal kommen palästinensische Einwohner mit gesundheitlichen Beschwerden und Verletzungen zum israelischen Militärstützpunkt und werden dort, je nach Bedarf, medizinisch betreut oder erstversorgt, bevor sie in israelische oder palästinensische Krankenhäuser transferiert werden. Das medizinische Team der IDF Jordan Valley Brigade behandelte im letzten Jahr hunderte Palästinenser. Yvette Schwerdt sprach mit dem Chief Medical Officer, Kapitän Gal Aviel und der Sanitäterin, Stabsunteroffizier Omer Arad.

 

Der israelische Armeestützpunkt im Jordantal fungiert häufig als erste, medizinische Anlaufstelle für Palästinenser. Wie kommt das?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich ein wenig ausholen und den Ort beschreiben, an dem wir uns hier befinden. Es ist der tiefste Punkt der Erde. Er liegt ganz abgelegen, ca. 260km von Galiläa im Norden entfernt, am Ende des Toten Meeres. Es ist eine rauhe, unwirtliche Landschaft — schrecklich heiss mit extrem viel Licht. Gleichzeitig ist das Jordantal aber auch ein von der Geschichte durchtränkter, atemberaubender Naturschauplatz. Auf der einen Seite haben wir Massada, ein wichtiges Symbol des jüdisch-nationalen Widerstands; auf der anderen Seite Jericho, eine palästinensische Stadt. Gegenüber von Jericho befindet sich Qasr Al Jehud, laut Altem Testament, der Ort an dem einst die Israeliten in ihr Land, Kanaan, einkehrten, laut Neuem Testament, die Taufstelle Jesu. Das Jordantal ist aber nicht nur historisch, sondern auch aktuell, ein Ort, der diverse Religionen harmonisch zusammenführt. Es ist ein Platz der Hoffnung.

Hoffnung? Wie meinen Sie das?

Obschon das Jordantal nur etwa eine Stunde von Tel Aviv entfernt ist, wissen nur die wenigsten über das Leben in diesem isolierten Fleck Bescheid. Hier kommen die Menschen nahtlos und unkompliziert miteinander aus, weil sich niemand einmischt – nicht einmal die Medien. Wenn man abschätzen will, wie Menschen leben, beobachtet man am besten ihre Arbeitsweise und ihre medizinische Betreuung. Hier im Jordantal arbeiten wir Hand in Hand mit unseren Nachbarn. Auf den Feldern. In unserem Stützpunkt. Und auch in der medizinischen Versorgung.

Wie drückt sich diese medizinische Kooperation konkret aus?

Durch das Jordantal führt eine einzige Hauptstrasse, die Route 90. Sie reicht von Metulah im Norden bis nach Eilat im Süden. Es ist eine tödliche Strasse mit zahlreichen Unfällen und Verwundeten. Nun müssen Sie wissen, dass es hier sehr wenige medizinische Einrichtungen gibt. Um alle Patienten zu behandeln, müssen wir, Israelis und Palästinenser, also zusammenarbeiten, Ressourcen koordinieren und Aktivitäten absprechen. Das gilt für militärische ebenso wie für zivile Einrichtungen, wie Magen David Adom und der rote Halbmond. Letztes Jahr haben wir in unserer Brigade ca. 600 Patienten behandelt. Die meisten waren Trauma-Patienten nach Autounfällen. Rund die Hälfte von ihnen war jüdisch, die andere palästinensisch.

Chief Medical Officer, Kapitän Gal Aviel. Foto zVg
Chief Medical Officer, Kapitän Gal Aviel. Foto zVg

Gibt es Krankenhäuser in der Umgebung?

Wir haben hier vor Ort keine israelischen, aber mehrere palästinensische Krankenhäuser, eines in Nablus und mehrere in Jericho. Zusammen versorgen wir unsere Patienten.

Wirklich? Sie schicken israelische Patienten in ein palästinensisches Krankenhaus?

Nein, das ist leider nicht möglich, denn Israelis dürfen diese Gebiete ja offiziell nicht betreten. Umgekehrt geht das allerdings schon. Wir schicken palästinensische Patienten zuweilen in israelische Spitäler, hauptsächlich nach Hadassah Ein Kerem in Jerusalem. Die Entscheidung, ob wir das tun, hängt vom Problem des Patienten, sprich vom Schweregrad seiner Verletzung, ab. Wenn wir meinen, dass er im israelischen Spital besser behandelt werden kann, dann transferieren wir ihn dorthin. Und wenn wir, aufgrund der Entfernung, beispielsweise einen Hubschrauber einsetzen müssen, dann tun wir das auch. Wir überlegen bei diesen Entscheidungen nicht, ob es sich um einen israelischen oder einen palästinensischen Patienten handelt.

Kann man, wenn der Patiententransfer nur einseitig möglich ist, wirklich von nahtloser Zusammenarbeit sprechen?

Zugegeben — unser direkter, bürokratischer Kontakt mit palästinensischen Gesundheitseinrichtungen ist begrenzt. Aber das ist in der Praxis zweitrangig. Bei Autounfällen, beispielsweise, treffen wir häufig zeitgleich mit palästinensischen Medizinern bei der Unfallszene ein. Wir kennen uns alle persönlich, sprechen einander mit Namen an, und arbeiten in der Behandlung Schulter an Schulter. Wir kümmern uns nicht um die Politik.  Diese vertrauten Begegnungen, so nah am Kampffeld, sind schon faszinierend.

Wie sieht es mit den Sicherheitsvorkehrungen aus? Werden Palästinenser, die zur Behandlung zum Militärstützpunkt kommen, durchsucht?

Nein! Von einem Offizier ist das wohl keine simple  und wahrscheinlich auch keine richtige Antwort. Wir wissen, dass Terroristen sich als Patienten ausgeben könnten. Aber wenn jemand zu uns kommt, dann warten wir nicht auf Background-Checks. Wir behandeln umgehend. Nicht ein einziges Mal haben wir die medizinische Versorgung, ob erforderlicher Sicherheitsvorkehrungen, verzögert.

Wie also spielt sich die medizinische Versorgung der Palästinenser am Stützpunkt im Jordantal ab?

Die Einwohner der umliegenden palästinensischen Dörfer nutzen unsere Klinik. Sie kommen zu uns, mit Lastern, Sattelaufliegern, oder manchmal auch auf Eseln. Ihre Beschwerden reichen von einfachen Augenentzündungen bis hin zu lebensbedrohlichen Situationen. Sie fühlen sich hier willkommen und sicher. Diese Tatsache ist nicht bekannt. Niemand spricht davon. Man weiss, was das israelische Militär für die syrischen Flüchtlinge tut. Aber was hier im Jordantal passiert, das ist weitgehend unbekannt.

Gal, wie stehen Sie dazu?

Für mich, als Arzt aber auch als Offizier der IDF, ist das unglaublich befriedigend. Wissen Sie, wenn man über das Verhältnis der israelischen Soldaten und der palästinensischen Bevölkerung spricht, dann werden immer wieder Stereotypen heraufbeschworen. Die einen tragen Waffen; die anderen nicht, heisst es dann. Sicher, ich bin ein Arzt, der eine Waffe trägt, weil ich selbstverständlich verpflichtet bin, mein Land zu verteidigen. Das ist mir wichtig. Hier lebe ich. Genau an dieser Stelle hat mein Volk vor Tausenden von Jahren das Land betreten. Aber gleichzeitig bin ich auch meinem Beruf und meiner Berufung verpflichtet. Deshalb ist mir diese Zusammenarbeit mit den Palästinensern hier so wichtig.

Aber warum ist diese Kooperation so wenig bekannt?

Weil sie heikel ist, und niemand sie aufs Spiel setzen will. Sehen Sie, die Palästinensern wollen die Zusammenarbeit mit uns nicht an die grosse Glocke hängen. Sie fürchten, dass die Politik uns hier in die Quere kommen könnte. Aber ich halte es für wichtig, darüber zu sprechen, um zu zeigen, dass ein friedliches Miteinander möglich ist.

Wird Ihr Glauben an die Möglichkeit eines harmonischen Zusammenlebens von ihrem Team geteilt?

Schauen Sie, Menschen haben unterschiedliche Meinungen. Manche sind offener und freundlicher als andere. Aber die meisten Kollegen denken ähnlich. Wir sind schliesslich sowohl an einen medizinischen als auch an einen ethischen Kodex gebunden. Wir alle konzentrieren uns auf die Affinitäten und nicht auf die Differenzen mit unseren Nachbarn.

Wie sieht es mit ihren palästinensischen Patienten aus? Erzählen Sie daheim, von wem sie behandelt wurden, oder müssen sie das geheim halten?

Das hängt davon ab, woher sie kommen. Diverse palästinensischen Dörfer und Ortschaften begegnen der IDF und Israel sehr unterschiedlich. Unsere direkten Nachbarn verstecken sich nicht, wenn sie zu unserem Stützpunkt kommen. Im Gegenteil. Ich erinnere mich, einmal kamen wir zu einer Unfallszene und ein Palästinenser fragte, wann wir die Verletzten zu unserer Basis bringen. Nicht ins Krankenhaus – wohlgemerkt – sondern zu unserer israelischen Militärbasis! Es gibt aber auch Palästinenser aus anderen Ortschaften, die den Kontakt mit uns geheim halten.

Das medizinische Team der IDF Jordan Valley Brigade im Einsatz mit Palästinensern. Foto zVg
Das medizinische Team der IDF Jordan Valley Brigade im Einsatz mit Palästinensern. Foto zVg

Gal und Omer, geben Sie uns bitte konkrete Beispiele ihrer Arbeit.

Vor einigen Wochen, arbeiteten zwei Teenager, Geschwister aus einem unserer Nachbardörfer, zusammen im Feld. Dann geschah ein Unglück. Der jüngere der beiden warf die Türe eines Lasters zu und klemmte dabei, versehentlich, den Kopf seines Bruders ein. Der Verletzte wurde im kritischen Zustand zu uns gebracht. In diesem Moment gilt es, zwei Dinge zu tun: Man muss den Patienten behandeln, versuchen ihn wiederzubeleben, aber man muss auch die Familie, die unter Schock steht, beruhigen. All das war, auch ob der sprachlichen Barriere, schwierig. Hinzu kam das komplexe Umfeld. Überall standen bewaffnete Soldaten – denn schliesslich befanden wir uns in einem Militärstützpunkt. Unsere Ambulanzwagen trafen gleichzeitig mit den Fahrzeugen des roten Halbmondes ein. Wir behandelten den Jungen, und sahen, wie seine Mutter weinte, und wie fürchterlich sich der jüngere Bruder fühlte, wie sehr er sich schämte. Diese Momente sind unheimlich tragisch und ergreifend. Sie zeigen uns, wie ähnlich wir Menschen uns doch im Grunde sind. Die Unterschiede zwischen jenen, die arabisch und jenen die Hebräisch sprechen, jenen, die Uniform und jenen, die Zivil tragen — all diese Differenzen fallen einfach weg. Was bleibt, ist nur das Menschsein und der gemeinsame Kampf, Leben zu retten. Leider gelang es uns bei diesem Patienten nicht. Es war eine menschliche Tragödie, die uns alle tief berührte.

Glücklicherweise gibt es aber auch viele schöne Momente. Neulich, etwa, durften wir, einer Frau aus unseren Nachbarsdorf bei der Entbindung ihres Babys helfen. Das sind dann wieder wunderbare Augenblicke, die uns zusammenführen und auf eine friedliche Zukunft hoffen lassen.

Dr. Gad Aviel und Omer Arad, vielen Dank für dieses Gespräch.

Yvette Schwerdt

Über Yvette Schwerdt

Yvette Schwerdt ist internationale Marketingexpertin und Wirtschaftsjournalistin. Sie schreibt und referiert regelmäßig über neue Trends und Entwicklung in ihrem Fachbereich. Besonders am Herzen liegen ihr auch die Themen Israel, jüdische Geschichte und jüdische Kultur. Yvette ist, aufgrund ihrer mehrsprachigen, multikulturellen Ausbildung und ihrer internationalen Laufbahn, in Israel, Amerika und im deutschsprachigen Raum gleichermaßen zu Hause.

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