Die Vision war mutig. Eine Milliarde Dollar, bereits von den USA, der Europäischen Union, der Weltbank und anderen zugesichert, würde verwendet werden, um sieben palästinensische Industriegebiete und Freihandelszonen zwischen Jenin im Norden und Gaza im Süden aufzubauen.
Es war Herbst 1995. Jitzchak Rabin war gerade ermordet worden. Sein Nachfolger, Shimon Peres, bestrebt, Jassir Arafat in seinen Bemühungen, die Palästinenser gewinnbringend zu beschäftigen, zu unterstützen, förderte diesen Plan mit grossem Enthusiasmus.
Es war ein praktischer Plan. Multinationale Unternehmen hatten bereits viele Millionen Menschen in Entwicklungsländern in der ganzen Welt, von Brasilien bis Indonesien, in Lohn und Brot gebracht.
Der Aufbau von Fertigungsstrassen zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer, der rund 200.000 Menschen Arbeitsstellen sichern würde, wäre für diese Unternehmen selbstverständlich, einfach und preisgünstig gewesen. Darüber hinaus hätten palästinensische Arbeiter in einem solchen Umfeld nicht mehr für israelische Chefs gearbeitet.
Die israelische Wirtschaftspresse erwartete die Umsetzung des Plans aus dem nüchternen Grund, dass er eine kontinuierliche Versorgung mit spannenden Unternehmensgeschichten generiert haben würde. Die Redakteure sahen bereits die Schlagzeilen vor ihren Augen: „Volkswagen baut Montageanlage in Gaza“, „Panasonic fertigt Fernsehgeräte in Hebron“ oder „Pierre Cardin produziert Parfums in Jenin“.
Aber die Zeit verstrich, und nichts tat sich. Als wir immer wieder bei israelischen und palästinensischen Regierungsvertretern nachfragten, sagte man uns zuerst, Jassir Arafat sei nicht glücklich mit der Tatsache, dass die Produkte der Industriegebiete über israelische Häfen exportiert werden würden. Peres sagte, sie würden letzten Endes über einen Hafen gehen, der erst noch in Gaza gebaut werden würde.
Arafat warf daraufhin ein, ihm missfalle bei dem Plan die Erwartung der völligen Transparenz, die, wie er sagte, seine Souveränität einschränken würde. Um Arafats Beschwerde Rechnung zu tragen, schlug Peres nunmehr vor, die Anlagen würden aneinandergrenzend, jedoch auf der israelischen Seite der Grenze, gebaut werden. Dies veranlasste jedoch wiederum Arafat zu der Äusserung, das würde bedeuten, die Palästinenser seien nicht unabhängig. Peres schlug daraufhin vor, die Anlagen sollten beiderseits der Grenze errichtet werden. Diesmal dauerte es länger, bis Arafat eine Reaktion zeigte.
Mittlerweile gab es grosse Terroranschläge, einschliesslich vier Selbstmordattentate in der Zeit vom 25. Februar bis zum 4. März 1996, bei denen 59 Israelis ermordet wurden. Zwölf Wochen später war Shimon Peres nicht mehr an der Macht, und der Plan, der zu weiten Teilen mit ihm identifiziert wurde, war bald vergessen. Arafat hatte ihn zerstört.
WIR HABEN NIE eine genaue Erklärung erhalten, warum die Palästinenser ihre Entscheidung auf die lange Bank schoben – angesichts eines Plans, der ihnen wirtschaftlichen Aufschwung, gesellschaftliche Würde und nationale Hoffnung verschafft hätte.
Vier Jahre später, als Gewalt den Gesprächen in Camp David folgte, bei denen Israel Arafat den Grossteil des Westjordanlands und des Gazastreifens angeboten hatte, kamen Vermutungen auf, er habe die Pläne für die Industriegebiete blockiert, um zu verhindern, dass seine Leute Jobs bekämen. Laut dieser Theorie wollte er die Konfrontation mit Israel. Arbeitende Menschen wären nicht verfügbar, um auf die Strassen zu gehen.
Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Erklärung des palästinensischen Kommunikationsministers Imad Falouji gegenüber der Presseagentur Associated Press (2. März 2001), der zufolge die Gewalt in diesen Tagen „geplant war, seit der Vorsitzende Arafat aus Camp David zurückgekehrt war, wo er den Spiess in Gegenwart des ehemaligen US-Präsidenten [Bill Clinton] umdrehte und die amerikanischen Bedingungen ablehnte.“
„24 Jahre, die seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens vergangen sind, nicht genutzt.“
Was auch immer damals durch Arafats Kopf gegangen sein mag, eines steht fest: die Palästinensische Autonomiebehörde hat die 24 Jahre, die seit der Unterzeichnung des Osloer Abkommens vergangen sind, nicht genutzt, um eine palästinensische Wirtschaft aufzubauen.
Stattdessen hat die Palästinensische Autonomiebehörde einen übergrossen öffentlichen Sektor mit mehr als 180.000 Regierungsangestellten geschaffen, deren Gehälter grösstenteils aus ausländischen Finanzhilfen bezahlt werden. Diese Finanzhilfen, die in erster Linie von den USA, der EU und Saudi-Arabien stammen, beliefen sich häufig auf über 1 Mrd. USD im Jahr, bevor sich diese Summe unter dem Druck sinkender Öleinnahmen der Saudis um rund 25 % verringerte. Gleichzeitig führten die palästinensischen Zahlungen an die Familien von Terroristen zu einer drastischen Kürzung der Zahlungen Washingtons.
Trotzdem finanzierten ausländische Hilfsgelder rund ein Drittel des palästinensischen Budgets – eine wirtschaftliche Deformität in jeder Hinsicht und das direkte Ergebnis von Jassir Arafats Ablehnung des Plans im Jahr 1996, der seinem Volk eine autonome Ökonomie auf dem Silbertablett serviert hätte.
DER durch Arafats Ablehnung entstandene SCHADEN ist bis heute zu erkennen: palästinensische Arbeiter, die angesichts mangelnder lokaler Beschäftigungsmöglichkeiten in Scharen nach Israel strömen und jeden Morgen an den Grenzübergängen zwischen dem Westjordanland und dem jüdischen Staat in langen Schlangen anstehen.
Die Zahl der palästinensischen Beschäftigten in Israel war bereits im Zuge der Gewalt des vergangenen Jahrzehnts auf 28.000 zurückgegangen, nachdem sie vor Ausbruch der ersten Intifada im Jahr 1987 ihren Höchststand von 110.000 palästinensischen Arbeitnehmern erreicht hatte.
Mittlerweile ist die offizielle Zahl wieder auf 75.000 angestiegen. Hinzu kommen 30.000 weitere, die in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland beschäftigt sind, sowie 30.000 illegal in Israel Beschäftigte. Zusammengenommen verdienen diese Arbeiter jährlich insgesamt einen Betrag, der einem Drittel des Jahresbudgets der Palästinensischen Autonomiebehörde entspricht, welches sich auf 5,6 Mrd. USD beläuft.
Nach einem Treffen zwischen dem israelischen Finanzminister Mosche Kachlon und dem palästinensischen Premierminister Rami Hamdallah letzten Monat in Ramallah, diskutieren jetzt die israelische und palästinensische Regierungen erneut die Erschaffung einer Industriezone ausserhalb von Hebron im Sinne der Vision von Peres.
Heute ist aber beinahe ein Viertel der arbeitsfähigen Bevölkerung im Westjordanland von Arbeitslosigkeit betroffen, im Gazastreifen – dessen Arbeiter nach den Raketenangriffen im letzten Jahr keinen Zugang mehr zu Israel haben – ist fast jeder zweite arbeitslos.
Mit anderen Worten, 21 Jahre nachdem Arafat einen Plan ausschlug, der den Palästinensern volle Erwerbstätigkeit verschafft und ihre Wirtschaft von Israel unabhängig gemacht hätte, steht eine kritische Masse von Palästinensern vor der Wahl, entweder für Israelis oder überhaupt nicht zu arbeiten.
IM JAHR 1946 adressierte der Führer der Zionisten, Chaim Weizmann – zu diesem Zeitpunkt bereits gebrechlich und nahezu blind – den Zionistenkongress in Basel, wo er einer Mehrheit jüngerer Delegierter gegenüber stand, die seine Mässigung infrage stellten und einen gewaltbereiten Kampf gegen die Regierung des britischen Mandats forderten.
„In jedem Haus und jedem Kuhstall in Nahalal [eine Bauernkommune im Jezreel-Tal] und in jeder kleinen Werkstatt, sei es in Tel Aviv oder in Haifa – ist ein Tropfen meines Bluts!“, sagte ein wütender Weizmann zu den Delegierten und schlug dabei auf das Rednerpult.
Die Delegierten, wenngleich nicht überzeugt, was Grossbritannien anging, standen trotzdem intuitiv auf, aus Respekt für den Mann, der sein Leben der Schaffung einer autarken Wirtschaft für den zukünftigen jüdischen Staat geweiht hatte.
Diese Art von Führer ist es, die Jassir Arafat nie war und den die palästinensische Wirtschaft so händeringend braucht.
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