Die Tragödie Kurdistans

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Foto Kurdishstruggle - Yezidi YBŞ Fighters, CC BY 2.0, Link
Lesezeit: 5 Minuten

„Wenn ihr frei sein wollt, müsst ihr aufhören, euch gegenseitig zu bekämpfen“, mahnte Freiheitskämpfer Qazi Muhammed seine kurdischen Landsmänner am Tag, als er unter der Regierung des Schahs von Persien öffentlich hingerichtet wurde und sagte weiter: „Die Feinde der Kurden sind zahlreich.“

 

Es war das Jahr 1947, als der angesehene Richter, der eine kurzlebige kurdische Republik im West-Iran anführte, das Opfer eines weiteren Betrugs an seiner Nation wurde – in diesem Fall durch die Sowjetunion, die zuerst seinen Staat unterstützte, ihn dann aber im Rahmen eines umfassenderen geopolitischen Schachzugs im Stich liess.

Die Kurden, eine Volksgruppe von der Grösse der Bevölkerung Kanadas auf einer Fläche so gross wie Japan, sind vermutlich die am meisten ausgeplünderte Nationalität der Welt.

Separatisten an anderen Orten – von Katalonien und der Lombardei über Schottland bis hin zu Quebec – können die linguistische Unverwechselbarkeit der Kurden für sich nicht beanspruchen. Keiner von ihnen kann eine Bevölkerungsstatistik für sich beanspruchen, die auch nur annähernd an die der 35 Millionen Kurden heranreicht oder aber eine Geschichte, die Tausende Jahre zurückreicht, so wie die der Kurden, die von den bereits in der Bibel erwähnten Medern abstammen.

Die Kurden können die Palästinenser nur beneiden, die keine eigene Sprache haben und erst in der Moderne zu einer Nation wurden, aber dennoch in der UN vertreten sind, grosszügige internationale Finanzhilfen erhalten und die man, dank der europäischen Haltung seit den 1980er Jahren, weithin eines eigenen Staates für wert erachtet.

Wären die europäischen Regierungen aufrichtig oder zumindest konsequent gewesen, hätten sie ein unabhängiges Kurdistan ebenso unterstützt. Stattdessen ist Kurdistan, das sich von der südöstlichen Türkei und Nord-Syrien über den Norden des Iraks bis in den Westen des Iran erstreckt, derzeit nur eine rein geographische Bezeichnung, wie etwa die Walachei oder Savoyen.

DAS RECHT DER KURDEN auf nationale Einheit wurde bereits nach dem Ersten Weltkrieg anerkannt, als US-Präsident Woodrow Wilson ihnen und ihren armenischen Nachbarn unabhängige Staaten auf den Ruinen des osmanischen Reiches versprach.

Beide Versprechen wurden jedoch zusammen mit dem 1920 geschlossenen Vertrag von Sèvres, in dem sie verankert waren, von Kemal Atatürks Türkischer Republik, die auf die Osmanen folgte, schlichtweg ignoriert. Seither brodelten in Kurdistan zahlreiche Aufstände gegen verschiedene türkische, syrische, irakische und iranische Regimes, die allesamt die kurdische Unabhängigkeit als eine strategische Bedrohung ansahen.

Tödlicher Gasangriff

Dies ist auch der Grund, warum die Türken das Unterrichten der kurdischen Sprache verboten; die Iraner verboten die Gründung kurdischer Parteien; die Syrer gewährten ihrer kurdischen Minderheit nicht einmal Staatsbürgerschaft und Saddam Husseins Irak verübte 1988 einen tödlichen Gasangriff auf die in seinem Lande lebenden Kurden, bei dem 5.000 von ihnen zu Tode kamen.

Trotz all dem erwies sich die kurdische Identität als unausrottbar und die rebellische Gesinnung der Kurden als zu kraftvoll, um sie zu unterdrücken, selbst für Diktatoren wie den Schah von Persien oder Saddam Hussein im Irak.

In der Türkei, wo nahezu ein Fünftel der 79 Millionen Türken Kurden sind, wird die kurdische Eigenstaatlichkeit – egal an welchem Ort – als Auslöser für einen Zerfall der Türkei gefürchtet.

Im Irak fand ein derartiger Zerfall tatsächlich statt, als Nord-Irak – das derzeit rund acht Millionen Kurden beherbergt – nach dem Ersten Golfkrieg autonom wurde und sich eine dynamische Demokratie und Wirtschaft etablierte. Die geschätzten zwei Millionen Kurden Syriens flohen bereits zu Beginn des derzeitigen Bürgerkriegs vor der Herrschaft von Baschar al-Assad. Und im Iran waren es Gruppen wie die Partei für ein Freies Leben in Kurdistan, die sich der Herrschaft des Ajatollahs widersetzten, während Hunderte Aktivisten verhaftet und einige ermordet wurden, wie etwa Abdul Rahman Ghassemlou 1989 in Wien oder die Tochter von Muhammed Efat, die 1990 in Västerås in Schweden Opfer einer Briefbombe wurde.

Das einzige Land im Nahen Osten, das schon lange die Unabhängigkeit der Kurden unterstützt, ist Israel.

Bereits in den 1960er Jahren begann Israel, den irakischen Kurden mit Waffenlieferungen und militärischen Schulungsprogrammen zur Seite zu stehen. Israel konnte jedoch nur etwas bewirken, wenn auch andere in der Region aktiv wurden, wie etwa als sich der Schah im Rahmen des Konflikts mit dem Irak um die Kontrolle des Grenzflusses Schatt al-Arab, mit den irakischen Kurden verbündete. Als dieser Konflikt 1975 durch ein Abkommen beigelegt wurde, wurden die irakischen Kurden jedoch wieder fallengelassen und Israel verlor seinen Zugang zu ihnen.

Das gleiche Spiel wiederholt sich auch jetzt wieder.

Der Versuch DER IRAKISCHEN KURDEN, im letzten Monat ihre Unabhängigkeit durch ein Referendum einzuleiten, hatte eine iranisch-türkische Verschwörung zur Folge, ähnlich dem antikurdischen Deal von 1975 zwischen Saddam und dem Schah.

Der aktuelle Deal sah vor, dass iranische Einheiten und Milizen die kurdischen Ölfelder in Kirkuk einnehmen, während die türkische Armee den Keil vergrössert, den sie zwischen die syrischen Kurden getrieben hat.

Die irakischen Kurden wurden von dem iranischen Angriff überrumpelt und verloren in der Folge wertvolle Einnahmen aus der Erdölproduktion. Das Ganze geschah, weil sie den Willen des alten Qazi Muhammed ignoriert hatten.

Die Iraner umgingen Masud Barzani, den Präsidenten der autonomen Region Kurdistan, indem sie seinen Erzrivalen Bafel Talabani einspannten, dessen Kräfte auf mysteriöse Weise aus Kirkuk verschwanden, als die Iraner sich näherten.

Auch in Syrien sind die Kurden gespalten und die Tatsache, dass es kurdische Einheiten waren, die diesen Monat bei der Einnahme von Raqqa – der Hochburg des Islamischen Staats – an der Spitze standen, ändert nichts an dem umfassenderen Bild, das sich so darstellt, dass die regionale Gepflogenheit, die Kurden zu spalten und zu beherrschen, nach wie vor lebendig ist – auch ein Jahrhundert nach dem Untergang des Osmanischen Reichs.

Die irakischen Kurden begehen einen Fehler, wenn sie ihr Referendum durchführen, ohne im Vorfeld zu prüfen, ob nicht wenigstens die USA sie dabei unterstützen. Der Verlust der Einnahmen aus der Erdölproduktion wird ein grosses Problem für sie darstellen, ebenso wie das von einigen Ländern verhängte Flugverbot in ihre Hauptstadt Erbil.

Dennoch kann niemand die Topografie des kurdischen Teils des Irak verändern, die einfach zu bergig ist, als dass die irakischen oder iranischen Streitkräfte sie erobern könnten, besonders, wenn man die militärische Unerschrockenheit und Effizienz der Kurden berücksichtigt. Die kurdische Autonomie im Irak wird daher vermutlich überleben und ein potentieller Kern für einen zukünftigen kurdischen Staat sein.

Nein, die irakischen Kurden werden sich wohl in allzu naher Zukunft nicht mit den Kurden Syriens, der Türkei oder des Iran zusammentun, aber ihre Autonomie wird diese möglicherweise inspirieren. Die Situation wäre bestimmt wesentlich einfacher, wenn Europa die kurdische Selbstbestimmung ebenso unterstützt hätte, wie sie derzeit die palästinensische Eigenstaatlichkeit unterstützt. Ganz gewiss aber wäre sie gerechter gewesen.

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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1 Kommentar

  1. Hallo Herr Asa-El,

    danke für diesen Bericht.
    Darf ich Ihren Bericht auf youtube etc. veröffentlichen? Ich möchte, dass mehr Leute das lesen.
    Lang lebe Israel, lang lebe Kurdistan !

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