Er ist der Sohn eines Gründers der Terrororganisation Hamas. Sein Weg an die Spitze dieser Bewegung war damit vorgezeichnet. Er wurde 1996 von den Israelis verhaftet, und sein Weltbild geriet durcheinander. Die Israelis erwiesen sich als besser und die Hamas als brutaler und menschenverachtender, als er es erwartet hatte. Mosab Hassan Yousef arbeitete später als Informant Israels im innersten Zirkel der Hamas, bevor er 2007 ausstieg und in die USA floh. Kürzlich trat er in Bern vor Parlamentariern auf und erzählte aus seinem Leben als Terrorist und Spion. Mosab hat eine ganz eigene Vorstellung davon, wie im Nahen Osten Frieden entstehen könnte.
von Dominik Feusi,
Mosab Hassan Yousef ist auf der Durchreise. Am Vortag hatte er einen viel beachteten Auftritt vor dem Menschenrechtsrat der UNO in Genf. Auf der Traktandenliste stand da – wie in jeder Session – Israel und die Palästinensergebiete. Kein anderes Land, weder Syrien noch Nordkorea oder Venezuela, hat ein eigenes Traktandum, nur Israel. Es lief so ab wie immer: Reihum ergriff jedes muslimische Land das Wort und verurteilte die behauptete «Apartheid» und den «Staatsterror», den Israel gegenüber den Palästinensern ausübe.
Diesmal war etwas anders: der Auftritt von Mosab Hassan Yousef. Er schockierte die Anwesenden, als er als Vertreter der Organisation UN Watch das Wort ergriff und sich direkt an die Palästinensische Autonomiebehörde richtete, die seit Jahren herrscht, ohne je Wahlen durchzuführen. Die Behörden in Ramallah profitierten vom Konflikt und ignorierten deshalb die Menschenrechte der eigenen Bevölkerung. Sie verhafteten willkürlich Leute, folterten und verurteilten sie ohne Grund. Die sonst geschäftigen und höchstens halb zuhörenden Diplomaten im Saal drehten sich plötzlich zu Mosab um. Die Palästinenserführung solle endlich Verantwortung für ihre Taten übernehmen, sagte dieser. Und direkt an den palästinensischen Vertreter im Saal: «Sie missbrauchen die politische Bühne, um die Welt und die Palästinenser glauben zu machen, Israel sei verantwortlich für alle die Probleme, welche sie selber verursachen.» Nach seinen zwei Minuten Redezeit herrschte betretene Stille im Saal. Die palästinensische Delegation – sichtbar ebenso irritiert und konsterniert – musste sich zuerst einmal fangen. So hatten sie sich das Traktandum Israel nicht vorgestellt.
Geboren in Ramallah
Die Irritation hat einen Grund: Mosab Hassan Yousef weiss, wovon er spricht. Er ist selber Palästinenser, 1978 in Ramallah in der Westbank geboren, und zwar in eine ganz besondere Familie. Sein Vater ist Hassan Yousef, einer der Gründer der militanten religiösen Terrororganisation Hamas. Seine Familie ist seit Generationen eine religiöse Autorität in der Gegend. Davon erzählt er einen Tag später in Bern vor Parlamentariern aus allen grossen Parteien.
Mosab ist der «grüne Prinz». So nannten ihn die Israelis. Er war auf dem Weg, ein Terrorist zu werden, wie er selber sagt. Dann wurde er, 18-jährig, kurz vor seinem Schulabschluss von den Israelis verhaftet. Er wird dabei geschlagen, mit Gewehrkolben traktiert und getreten, obwohl er sich nicht gegen die Verhaftung wehrt. Die israelischen Soldaten waren genau so, wie Mosab sie in der palästinensischen Propaganda kennengelernt hatte. Doch das würde sich bald ändern.
BaZ: Warum wurden Sie verhaftet?
Mosab Hassan Yousef: Ich habe Waffen gekauft, um damit Israelis zu erschiessen. Sie fanden meinen Plan heraus und holten mich.
Was waren Sie für ein Jugendlicher?
Ich war ein wütender, eigentlich abscheulich. Ich hatte genug von der Gesellschaft, der Enge, von der Schule. Ich wollte etwas Grosses machen, eben «Freiheitskämpfer» werden – so nannten wir das damals. So nennt das die Hamas noch heute. Für sie gibt es keine «Terroristen», nur «Freiheitskämpfer».
Schon als Kind habe er Steine auf israelische Autos und Soldaten geworfen, Reifen angezündet und Slogans gesprayt. «Ich machte schon als 10-Jähriger bei der ersten palästinensischen Intifada mit.» Das war Ende der Achtzigerjahre. Seine Mutter schlug ihn deswegen. Sein Vater, Prediger in der Moschee von Ramallah, war die meiste Zeit im Gefängnis. Mosab machte weiter. Ob in der Schule, in der Moschee, im Koran oder in den Medien: Er lernte, alle Israelis, alle Juden zu verachten, ja zu hassen, so erzählt er. An dieser Propaganda habe sich bis heute nichts geändert. Die palästinensische Gesellschaft sei durchtränkt mit Gewalt, vor allem mit Gewalt gegen Juden. «Die Gewalt ist überall, alle Kinder wachsen damit auf», sagt Mosab. Die palästinensischen Kinder würden so von der Führung «missbraucht».
Nun sass Mosab im Gefängnis. Die Israelis wussten, wer er war, und fragten ihn deshalb, ob er für sie arbeiten wolle. Mosab Hassan Yousef willigte ein – mit dem Plan, ein Doppelagent zu werden und die israelischen Pläne und Spione wiederum der Hamas zu verraten. Es hätte ihn zum Helden der Palästinenser gemacht.
Er sass trotzdem 16 Monate. Eine rasche Freilassung hätte die Palästinenser misstrauisch gemacht. Man brachte ihn in einen Trakt mit Hamas-Leuten im Gefängnis von Megiddo. Die Hamas hatte da ein internes Regime aufgezogen. «Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wie die Hamas in den Gefängnissen regiert», sagt Mosab heute. Wer in Verdacht stand, mit den Israelis zusammenzuarbeiten, wurde bedroht und gefoltert, manchmal bis zum Tod. Mosab erzählte den Hamas-Chefs im Gefängnis von seinem Plan, Doppelagent zu werden. «Ich war stolz darauf, mich auf die Israelis einzulassen und sie dann zu verraten», erzählt Mosab. Doch die Hamas-Leute glaubten ihm nicht. Aber foltern wie die anderen Verdächtigen mochten sie ihn wegen seines Vaters auch nicht.
Der Albtraum
«Das Gefängnis war ein Albtraum», sagt Mosab heute. «Die Gefolterten nannten unter den Qualen irgendwelche Namen, nur um weiterer Folter zu entgehen.» So seien Hunderte von Leuten von der Hamas gefoltert worden. Es erschütterte sein Selbstverständnis. Hatte er nicht gelernt, in der Hamas die moralisch Überlegenen zu sehen? War er, der Sohn eines Hamas-Gründers, nicht bei den Guten? Jetzt hatte er die Hamas als das pure Gegenteil erlebt.
Nach der Haft wartete er auf Aufträge von den Israelis. Aber die kamen nicht. Dafür erhielt er zuerst einmal Geld, um seine Ausbildung zu beenden. «Die Israelis waren genau das Gegenteil dessen, wie sie in der Propaganda der Hamas dargestellt wurden.» Er wurde neugierig. «Ich wollte mehr von den Israelis lernen.» Die ersten drei Jahre erhielt er keinen einzigen Auftrag.
Zum ersten Mal in seinem Laben habe er sich mit Demokratie, mit Rechtsstaat und mit Menschenrechten befasst. Noch immer wollte er Doppelagent werden, aber er erfuhr gar nichts, was für die Hamas von Interesse gewesen wäre. «Meine ersten Aufträge verwirrten mich», sagt Mosab, «ich musste zum Beispiel sicherstellen, dass vor einer Operation der Israelis in einem bestimmten Gebiet keine Frauen und Kinder waren, damit es nicht zu zivilen Opfern komme.» Dabei hatte er in der Schule gelernt, dass Israelis am liebsten alle Palästinenser umbringen würden.
Im September 2000 begann die zweite palästinensische Intifada. Mosab erlebte die palästinensischen Vorbereitungen und den Startschuss dazu als Sekretär und Chauffeur seines Vaters. Und er merkte, wie die Öffentlichkeit in die Irre geführt wurde, damit sie noch heute glaubt, dass es sich um einen spontanen Aufstand der Palästinenser gegen die Israelis gehandelt habe.
Es sollte noch schlimmer kommen. Die für die Folter im Gefängnis verantwortlichen Hamas-Chefs bildeten in Freiheit den militärischen Flügel der Hamas. Einer der ersten echten Aufträge Mosabs war es, einen Verantwortlichen für Dutzende von Selbstmordattentaten zu identifizieren, den er im Gefängnis gesehen hatte, Ibrahim Hamed, den «Mastermind der Selbstmordattentate», wie ihn Mosab heute nennt. Er machte mit, weil er ihn verabscheute.
BaZ: Wie ging Ihre Wandlung vom angehenden Terroristen zum Helfer Israels vor sich?
Mosab Hassan Yousef: Ich wollte Rache nehmen, Rache an Israel. Dann drehte sich meine Rache gegen mich selber. Aus den Leuten, von denen ich Hilfe gegen Israel erwartete, wurden meine Feinde. Und meine Feinde wurden zu meinen Helfern gegen jene, von denen ich gedacht hatte, dass sie meine Freunde seien.
In den zehn Jahren seiner Tätigkeit für die Israelis hörte er nie den Namen eines anderen Agenten. So konnte er seinen Plan, Israelis und Kollaborateure zu verraten, gar nie ausführen. Und bald schon wollte er das nicht mehr. 2007 floh Mosab, der mittlerweile Christ geworden war, in die USA und stellte Antrag auf Asyl. Der Flüchtlingsstatus wurde ihm jedoch 2009 verweigert, ausgerechnet, weil er der Hamas nahestehe. Erst in der Berufung wurde er 2010 als Flüchtling anerkannt. Sein israelischer Führungsoffizier hatte die US-Behörden über seine Tätigkeit unterrichtet. 2010 erschien das Buch «Sohn der Hamas – mein Leben als Terrorist», das zum Bestseller wurde. 2014 wurde sein Leben unter dem Titel «Der grüne Prinz» verfilmt.
Der Konflikt bringt Geld
Was die Zukunft der Region angeht, ist Mosab pessimistisch. Es gebe in der palästinensischen Gesellschaft wenige, die bereit seien, tatsächlich etwas für den Frieden zu tun.
BaZ: Warum setzt sich seitens der Palästinenser kaum jemand für einen echten Frieden ein?Mosab Hassan Yousef: Die meisten Leute haben etwas zu verlieren. Sehen Sie, wenn jemand in den Palästinensergebieten nur schon etwas Positives über Israel sagt, macht er sich verdächtig. Niemand sagt, «Ich mag Israelis». Das geht nicht.
Die Führung der Palästinenser sei der grösste Feind des palästinensischen Volkes, sagt Mosab. Sie mache alles, damit die Bevölkerung das nicht merke und wer es merke, es nicht sage. Die Führung kümmere sich nicht im Geringsten um die Einwohner, sondern darum, den Konflikt am Leben zu erhalten. Ohne ihn käme kein Geld aus Europa und den USA in die Region. Dieses Geld fliesse vor allem in die Kassen der Führung und in den Terror. Der Konflikt sei die Lebensgrundlage der Chefs der Autonomiebehörde und der Hamas. «Deshalb fordert die Führung der Palästinenser politisch Zugeständnisse für einen Frieden, die für Israel nicht zu erfüllen sind, beispielsweise das Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge inklusive alle ihre Nachkommen nicht bloss in einen palästinensischen Staat, sondern genau in den Ort in Israel, wo sie herkommen.» Das sei unmöglich, und genau darum gehe es.
In seinem Buch schreibt Mosab, dass darum alle Lösungen des Konflikts, bei denen die Palästinenser fast alles Land erhalten hätten, schliesslich von den Palästinensern abgelehnt worden seien. «Was ist Mahmud Abbas, der Präsident der Autonomiebehörde, ohne den Konflikt?», fragt Mosab und gibt die Antwort gleich selber: «Nichts.» Mosab glaubt nicht, dass die Politik den Konflikt lösen werde.
«Statt die Behörden und Nichtregierungsorganisationen zu unterstützen, sage ich: Fördert die Leute, die kreativen Köpfe, die Unternehmer.» Das Geld solle direkt in die Wirtschaft fliessen, findet Mosab. Die NGOs seien von Dieben geführt. «Sie lassen sich hohe Löhne bezahlen und machen nichts.» Auch sie wollten nur, dass der Konflikt weitergehe. In seinem Buch beschreibt Mosab, wie scheinbar harmlose «Forschungszentren» von der Hamas zur Terrorfinanzierung verwendet werden. Die Schweiz macht dabei mit. Sie bezahlt einem Direktor einer Organisation in Ramallah 10 000 Dollar pro Monat, zuzüglich Spesen, etwa zehn Mal so viel wie ein normaler Lohn. «Das Geld ist das Problem», sagt Mosab. «Ich bin dagegen, den NGOs und der Autonomiebehörde noch Geld zu geben.» Statt die Führung zu stärken, müsse die Bevölkerung gestärkt werden – gegen die Palästinenserführung.
Mosab schweben «Sicherheitszonen» vor, in denen Israelis und Araber zusammenarbeiten und investieren würden. Das wären Brücken zwischen den Palästinensern und den Israelis.
BaZ: Was sollen diese Zonen konkret für den Frieden bringen?
Mosab Hassan Yousef: Da würde zusammengearbeitet und neue Produkte würden entwickelt. Davon profitieren beide Seiten. Und daraus würde dann auch Frieden entstehen. Es wird Freundschaften und Beziehungen geben, irgendwann sogar Ehen zwischen Israelis und Palästinensern und dann Kinder!
Mosabs Augen glänzen, wenn er von seiner Ideen erzählt. So könne eine neue Generation entstehen. «Unser Problem ist nicht der Besitz von Land, sondern der Wohlstand», findet Mosab. Die Palästinenser könnten von der innovativen israelischen Gesellschaft und Wirtschaft nur profitieren. «Gemeinsam werden wir unsere Produkte in der ganzen Welt verkaufen.»
Was hält er von der BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestment, Sanktionen), welche Israel wirtschaftlich, wissenschaftlich und kulturell boykottieren, international isolieren will und auch in Basel Anhänger hat? «Das ist das pure Gegenteil von meinem Weg», sagt Mosab. Auf einer Konferenz im letzten Jahr ergänzte er, damit werde die internationale Gemeinschaft manipuliert und die Freunde Israels irritiert – bloss damit der Konflikt weitergehe. «Wir sollten aufhören, BDS und deren Tarnorganisationen vor Ort Geld zu geben.»
Mosab hat einen hohen Preis bezahlt. Er hat heute keinen Kontakt zu seiner Familie mehr. Das tue zwar weh, aber er habe sich entschieden, weiterzugehen. Er werde zu Hause als «Verräter» bezeichnet, als «Schande» für die Familie. Doch das mache ihm nichts aus. «Ich habe die Freiheit gewählt», sagt er. Angst habe er deswegen nicht, sagt er und lacht.
Im Buch schreibt er: «Ich war ein Gefangener der Israelis, als meine Augen für die Tatsache geöffnet wurden, dass die Palästinenser ebenso von ihren eigenen Anführern unterdrückt werden wie von Israel.» Es ist seine Geschichte in einem Satz.
Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Basler Zeitung.