Anerkennung eines Palästinenserstaates vor einem Friedensvertrag mit Israel untergräbt Völkerrecht

0
Lesezeit: 18 Minuten

Glaubt man der Palästinensischen Autonomiebehörde, dann haben bereits 136 (70.5 Prozent) der 193 UN-Mitglieder und zwei Nichtmitgliedsstaaten einen Palästinenserstaat offiziell anerkannt. [1. “Diplomatic Relations”, Permanent Observer of the State of Palestine to the United Nations: http://palestineun.org/about-palestine/diplomatic-relations/]

An dieser Stelle soll es um die völkerrechtlichen Vorkehrungen gehen, die die Schaffung eines neuen Staates und dessen Anerkennung durch die existierenden Staaten regeln und um die Frage, ob in dieser Hinsicht der Palästinenserstaat tatsächlich bereits gegründet und zur Anerkennung bereit ist.

von Peter Wertheim

Fürsprecher einer unmittelbaren Anerkennung eines palästinensischen Staates ohne vorheriges umfassendes Friedensabkommens mit Israel verweisen häufig auf die zivilen israelischen Siedlungen im Westjordanland als mutmasslich „illegale“ – u.a. nach Artikel 49(6) der Vierten Genfer Konvention – und nennen das Scheitern der Friedensverhandlungen, die wachsende Zahl der Siedler und den fortgesetzten Siedlungsbau als Gründe für eine solche Anerkennung.

Die Vermengung der Frage der Anerkennung eines Palästinenserstaates mit dem rechtlichen Status der Siedlungen beruht jedoch auf einem Missverständnis. Beide Fragen verlangen völlig verschiedene rechtliche und politische Herangehensweisen. Hinzu kommt die Ironie, dass die mutmasslich völkerrechtliche Herangehensweise bei der Behandlung der Siedlungsfrage begleitet wird mit nachlässiger Missachtung desselben Völkerrechts, wenn es um die Gründung und Anerkennung von Staaten geht. Entweder beruft man sich auf das Völkerrecht als allgemeine Grundlage der Diskussion oder nicht. Eine selektive Anwendung ist nicht möglich.

Die Anerkennung von Staaten im Völkergewohnheitsrecht [2. F Malcolm N. Shaw, International Law, (Seventh edition), (Cambridge: Cambridge University Press, 2014), pp. 322-328.]

Im Völkerrecht gibt es im Allgemeinen zwei Theorien, wie Staaten anerkannt werden können.

Die konstitutive Theorie geht davon aus, dass der Akt der Anerkennung durch andere Staaten einem neuen Staat zur Existenz verhilft und ihn zum Subjekt des internationalen Rechts macht.

Die deklarative Theorie vertritt einen entgegengesetzten Ansatz. Ihr zufolge ist die Anerkennung durch andere Staaten nur Bestätigung einer bereits bestehenden Situation. Ein neuer Staat wird zum Rechtskörper nur dann, wenn er in der Realität als Staat zu operieren beginnt. Die Anerkennung ist somit keine Frage, ob der Staat existieren „sollte“, sondern ob er bereits faktisch existiert.

Die konstitutive Theorie steckt voller Probleme. Ein neuer Staat kann nicht einfach herbei gewünscht werden. Verfügt ein mutmasslicher Staat über eine Regierung, die nicht in der Lage ist, ihre Autorität über das Herrschaftsgebiet durchzusetzen oder eingegangene Abkommen einzuhalten, dann kann kein Mass an Anerkennung diese Schwächen beheben. Diese Probleme müssen letztlich von dem mutmasslichen Staat und der von ihm mutmasslich vertretenen Bevölkerung selbst gelöst werden.

Staaten und internationale Organisationen haben grundsätzlich die deklarative Theorie bestätigt und danach gehandelt. Aus diesen Gründen spiegelt sich im Völkergewohnheitsrecht, dem an tatsächlichen Praktiken etablierter Staaten und ihrer rechtlichen Meinungen darüber orientierte Regelwerk, die deklarative Theorie bevorzugt wider. [3. Ibid, p.323: “Practice over the last century or so is not unambiguous but does point to the declaratory approach as the better of the two theories.”] Entsprechend diesem Recht, dem sich alle Staaten verpflichtet haben, wird eine politische Einheit erst dann zu einem neuen Staat, wenn sie bestimmte objektive Kriterien faktisch umsetzt.

Während eine ganze Reihe von Autoren verschiedene Definitionen von Staaten vorgeschlagen haben, [4. Thomas D. Grant, in ‘Defining Statehood: The Montevideo Convention and its Discontents’ in 37 Columbian Journal of Transnational Law, 403 at 409 et seq, 1998-1999: https://www.ilsa.org/jessup/jessup13/Defining%20Statehood,%20The%20Montevideo%20Convention%20and%20its%20Discontents.pdf] enthält die Konvention von Montevideo über Rechte und Pflichten der Staaten von 1933 [5. (1934) 165 League of Nations Treaty Series 19: http://avalon.law.yale.edu/20th_century/intam03.asp] in ihrem Artikel 1 die bekannteste Formulierung für die wesentlichen Kriterien, die für Staatlichkeit erfüllt sein müssen. Der mutmassliche Staat [6. Aaland Islands case (1920), League of Nations Official Journal, Special Supplement No.3, p.3: https://www.ilsa.org/jessup/jessup10/basicmats/aaland1.pdf]muss über (i) eine ständige Bevölkerung, (ii) ein definiertes Staatsgebiet, (iii) eine Regierung, d.h. ein zentrale Administration, die ihre Autorität über die Bevölkerung des behaupteten Staatsgebietes umsetzen und die Ordnung aufrechterhalten kann; und schliesslich (iv) die Fähigkeit, in Beziehung mit anderen Staaten zu treten, einschliesslich, von ihr abgeschlossene internationale Verträge einzuhalten.

Die vierte Bedingung wurde von einigen Autoren in Frage gestellt, [7. Thomas D. Grant, ‘Defining Statehood: The Montevideo Convention and its Discontents’ in 37 Columbian Journal of Transnational Law, 403 at 434-435, 1998-1999: https://www.ilsa.org/jessup/jessup13/Defining%20Statehood,%20The%20Montevideo%20Convention%20and%20its%20Discontents.pdf] während andere wiederum weitere Kriterien vorgeschlagen haben. Doch bis zur Montevideo-Konvention herrschte Konsens, dass mindestens die ersten drei Bedingungen erfüllt werden müssen, damit ein Gebilde sich rechtlich zum Staat erklären kann. [8. Ibid, p.418.]

Daraus ergibt sich, dass Anerkennung ein politisches Gebilde nicht zum Staat macht. Anerkennung ist ein politischer, kein rechtlicher Akt. Sie erfolgt aufgrund der Faktizität von Staatlichkeit und ist daher rein deklarativ. Anerkennung kann keine Staaten schaffen, wo faktisch keine existieren.

Stattdessen kann eine Anerkennung durch andere Staaten dazu dienen, ihrer Haltung Ausdruck zu verleihen, dass das fragliche politische Gebilde die Kriterien von Staatlichkeit erfüllt. Obwohl eine solche Anerkennung ein politischer Akt und damit im Ermessen der jeweiligen Staaten liegt, ist sie doch „den Forderungen des Völkerrechts“ unterworfen. [9. Yugoslav Arbitration Commission, Opinion No. 10, July 1992, para 4: https://www.liverpool.ac.uk/library/sca/colldescs/owen/boda/opac4.pdf] Folglich kann keine noch so grosse Zahl an Staaten, die ein Gebilde anerkennen, die notwendige Bedingung aushebeln, dass zuerst diese Kriterien erfüllt sind.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: die Aufnahme eines mutmasslichen Staates als Mitgliedstaat der Vereinten Nationen. Die Aufnahme als Mitgliedsstaat verlangt eine Entscheidung der Vollversammlung nach Vorlage einer Empfehlung des Sicherheitsrates. [10. Charter of the United Nations, 24 October 1945, 1 United Nations Treaty Series XVI, Article 4, paragraph 2: http://www.un.org/en/sections/un-charter/chapter-ii/index.html] Laut UN-Charta basieren die Vereinten Nationen auf dem Prinzip der gleichen Souveränität aller ihrer Mitglieder. [11. Ibid. Article 2, paragraph 1.]Entsprechend besteht wenig Zweifel, dass eine Akzeptanz als Mitgliedsstaat ein politisches Gebilde zum Völkerrechtssubjekt macht. Wenn dieses jedoch die Kriterien des Völkergewohnheitsrechts zur Staatlichkeit nicht erfüllt, dann ist es zwar rechtlich ein Staat, nur als solcher allenfalls ein „gescheiterter Staat.“ [12. Article 4, paragraph 1 UN Charter]

Wendet man die Montevideo-Kriterien an die Palästinenser an, dann scheinen zumindest die ersten beiden Bedingungen erfüllt. Die Palästinenser erscheinen als ständige Bevölkerung in einem definierten Staatsgebiet – dem Westjordanland und dem Gazastreifen. Beide Gebiete verfügen über „hinreichende Konsistenz“ um als „definiert“ zu gelten, selbst wenn die präzisen Grenzen noch nicht akkurat gezogen wurden. [13. Deutsche Continental Gas Gesellschaft v Polish State (1929) 5 Annual Digest of Public International Law 11, p.15.]

Doch die verbleibenden zwei Kriterien von Montevideo stehen gegenwärtig aus: die Palästinenser verfügen weder über eine wirkmächtige Regierung, noch sind sie in der Lage in entsprechend verbindliche Beziehungen mit anderen Staaten zu treten.

Angesichts des bislang unversöhnlichen philosophischen und politischen Konfliktes zwischen Palästinensischer Autonomiebehörde und Hamas, die jeweils verschiedene Palästinensergebiete kontrollieren, existiert gegenwärtig kein palästinensisches Gebilde, welches die dritte Bedingung einer wirkmächtigen Regierung erfüllt, die ihre Autorität über Territorium und Bevölkerung ausüben kann.

Säkularen Nationalisten und theokratischen Bewegungen

Die PLO und die von ihr kontrollierte Autonomiebehörde haben sich öffentlich der Schaffung eines Palästinenserstaates als Ausdruck der Souveränität des palästinensischen Volkes ausgesprochen. Dieser Konzeption nach soll das Staatsvolk die Entscheidungsgewalt innehaben. [14. Palestine National Charter 1968, Article 3: http://avalon.law.yale.edu/20th_century/plocov.asp] Die Hamas stellt dagegen jedoch den Glauben an die Souveränität Gottes oder – anders ausgedrückt – die „Souveränität des Islam“ [15. Hamas Charter 1988, Article 31: http://avalon.law.yale.edu/20th_century/hamas.asp] und das Primat des Religiösen über dem Säkularen.[16. Hamas Charter 1988, Article 27: http://avalon.law.yale.edu/20th_century/hamas.asp] Entsprechend strebt die Gruppe einen theokratischen Staat an, in welchem das Volk zwar wählen darf, jedoch nicht die letzte Entscheidung innehat. Diese würde stattdessen bei einer Art religiösen Autorität liegen.

Diese Spaltung zwischen säkularen Nationalisten und theokratischen Bewegungen innerhalb der palästinensischen Gesellschaft stellt gegenwärtig vielleicht das grösste Hindernis auf dem Weg zur Staatlichkeit dar. Diese Spaltung ist nicht allein ideologisch, sondern auch geographisch. PLO und PA kontrollieren mit Einschränkungen das Westjordanland, die Hamas effektiv ganz Gaza. Die erbitterte Feindschaft beider Seiten ist zudem häufig in blutrünstige Gewalt umgeschlagen.

Vertreter beider Seiten haben sich in der Vergangenheit häufig direkt oder durch Vermittler getroffen, um die fundamentalen Differenzen zu beseitigen und eine gemeinsame Vision für den zukünftigen Staat Palästina zu entwerfen. Doch alle diese Versuche sind gescheitert, weil die Unterschiede zu gross erscheinen.

Daher besteht aus Gründen, die gänzlich innerhalb der palästinensischen Gesellschaft zu verorten sind, gegenwärtig keine Aussicht auf irgendeine Art von Regierung, die über eine effektive Kontrolle über beide Territorien verfügen könnte. Die Hamas sieht sich oder die von ihr kontrollierte Bevölkerung auf dem Gebiet von Gaza nicht an irgendwelche Abkommen gebunden, die die PLO/PA eingehen könnte. [17. Dov Lieber and Eric Cortellessa, ‘Hamas Rejects Abbas Peace Proposal Outline to Trump’, Times of Israel, 3 May 2017: http://www.timesofisrael.com/hamas-rejects-abbas-peace-proposal-outline-to-trump/] Umgekehrt gilt das Gleiche. Damit ist aber auch das vierte der Montevideo-Kriterien hinfällig, nämlich die Fähigkeit in Beziehungen zu anderen Staaten zu treten und Vertragsverpflichtungen für die palästinensischen Gebiete einzugehen.

Professor Guy Goodwin-Gill, ein renommierter, auf das Völkerrecht spezialisierter Anwalt, der die Palästinenser 2004 vor dem Internationalen Gerichtshof in der Klage gegen die „Mauer“ vertrat, [18. Advisory Opinion, 9 July 2004, International Court of Justice Reports, 2004, p. 136, available at: http://www.icj-cij.org/files/case-related/131/131-20040709-ADV-01-00-EN.pdf]schätzte 2011 die Situation auf eine nach wie vor zutreffende Weise ein:

„Bis zu dem Moment, an dem ein finales Abkommen erreicht wird, wird der mutmassliche Staat Palästina über kein Gebiet verfügen, auf dem er eine effektive Souveränität ausübt. Seine Grenze wird bis dahin unbestimmt und umstritten bleiben, seine Bevölkerung, ob die tatsächliche oder potentielle, unbestimmbar, da viele von ihnen unter Besatzung oder in Zufluchtsstaaten leben. Während es einen Beobachterstatus für diesen Staat in der UN geben mag, wird es ihm doch nicht gelingen, die international anerkannten Kriterien für eine Staatlichkeit zu erringen, mit schwerwiegenden Konsequenzen für alle Palästinenser, v.a. für jene, die gegenwärtig nicht in den besetzten palästinensischen Gebieten leben.“ [19. Guy S. Goodwin-Gill, ‘The Palestine Liberation Organization, the future State of Palestine, and the question of popular representation’, Legal Opinion dated 10 August 2011, para. 9. http://www.jmcc.org/Documentsandmaps.aspx?id=839]

Abgesehen von der politischen Realität, dass es kein politisches Gebilde gibt, das die letzten beiden Kriterien für Westjordanland und Gazastreifen erfüllt, hat auch die international anerkannte Organisation, die die Palästinenser vertritt – die PLO – ihrerseits eine Begrenzung der Macht der Autonomiebehörde akzeptiert (Mehr zu den Details, die sich aus den nach wie vor gültige bilateralen Verträgen zwischen Israel und den Palästinenser ergeben, weiter unten.) Diese Machtbegrenzungen sind per definitionem bereits inkompatibel mit jedem Anspruch auf staatliche Souveränität.

Angesichts der Tatsache, dass keines der derzeit existierenden palästinensischen Gebilde die essentiellen Kriterien von Staatlichkeit oder UN-Mitgliedschaft erfüllt, würde die Anerkennung eines solchen Staates lediglich eine Fiktion bestätigen, die den Forderungen des Völkerrechts widerspricht.

Zudem handelt es sich bei den Kriterien von Montevideo nur um die grundsätzlichen Minimalbedingungen, damit ein politisches Gebilde legitim als Staat anerkannt werden kann. Am 16. Dezember 1991 ratifizierte die Europäische Gemeinschaft eine Erklärung der „Richtlinien für die Anerkennung neuer Staaten in Osteuropa und in der Sowjetunion“, in der folgende zusätzlichen Erfordernisse festgesetzt wurden:

  • Achtung der Bestimmungen der VN-Charta und der Verpflichtungen aus der Schlussakte von Helsinki und der Charta von Paris, insbesondere im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte;
  • Garantien für die Rechte ethnischer und nationaler Gruppen und Minderheiten im Einklang mit den im Rahmen der KSZE eingegangenen Verpflichtungen;
  • Achtung der Unverletzlichkeit aller Grenzen, die nur auf friedlichem Wege und einvernehmlich geändert werden dürfen;
  • Übernahme aller einschlägigen Verpflichtungen in bezug auf Abrüstung und nukleare Nichtverbreitung sowie auf Sicherheit und regionale Stabilität;
  • Verpflichtung zur Regelung aller Fragen im Zusammenhang mit Staatennachfolge und regionalen Streitigkeiten durch Vereinbarung und, wo angebracht, durch Rückgriff auf Schiedsverfahren. [20. European Journal of International Law (1993), p. 72: http://www.ejil.org/pdfs/4/1/1227.pdf]

Die Europäische Gemeinschaft verlangte desweiteren „dass sich die jugoslawische Republik verpflichtet, verfassungsmässige und politische Garantien zu beschliessen, die sicherstellen, dass sie keine Gebietsansprüche gegen einen benachbarten Gemeinschaftsstaat hat und keine feindlichen Propagandaaktivitäten gegen einen benachbarten Gemeinschaftsstaat unternehmen wird“ [21. Reproduced at 4 European Journal of International Law (1993), p. 73: http://www.ejil.org/pdfs/4/1/1227.pdf]

Würde man identische Forderungen an einen mutmasslichen Palästinenserstaat als Vorbedingungen einer Anerkennung anlegen, wäre praktisch ausgeschlossen, dass diese erfüllt wären.

Verpflichtungen, die Unverletzlichkeit aller Grenzen mit Israel zu achten, Gebietsansprüche gegen Israel aufzugeben und alle Streitigkeiten mit Israel nur auf friedlichem Wege zu lösen sind gegenwärtig politisch nicht akzeptabel weder für die PLO/PA, die Hamas noch, wie festgestellt werden muss, die meisten Palästinenser.

Dies ergibt sich aus den Umfrageergebnissen unter Palästinensern. Regelmässig erheben eine ganze Reihe namhafter Institute qualitativ wertvolle Umfragen. Jüngst wurden die Ergebnisse von 400 solcher von fünf palästinensischen Forschungszentren in Gaza und im Westjordanland durchgeführten Erhebungen untersucht:

  1. Gefragt, welche der drei möglichen Optionen – friedliche Koexistenz eines israelischen und eines palästinensischen Staates Seite an Seite, ein Einheitsstaat mit gleichen Rechten von Palästinensern und Israelis und ein Palästinenserstaat, der vom Jordan zum Mittelmeer reicht (d.h. eine Auslöschung Israels) – sie wählen würden, entschieden sich die meisten Palästinenser für die letzte Option.
  2. Gefragt, was palästinensische Politiker tun sollten, um eine Zweistaatenlösung mit Israel zu erreichen, erklärten die meisten, dass der Kampf fortzuführen sei bis das gesamte „historische Palästina“ „befreit sei. Nur eine Minderheit bevorzugte eine Zweistaatenlösung als dauerhafte Lösung. Diese Minderheit hat innerhalb der letzten 20 Jahre die 30 Prozent nicht überschritten. [22. Daniel Polisar, ‘Do Palestinians Want a Two-State Solution?’, Mosaic Magazine, 3 April 2017: https://mosaicmagazine.com/essay/2017/04/do-palestinians-want-a-two-state-solution/]

Die Anerkennung eines Palästinenserstaates unter solchen Bedingungen stünde nicht nur den Minimalbedingungen des Völkergewohnheitsrechts und den zusätzlichen Richtlinien der EG-Erklärung von 1991 entgegen, sondern würde auch die Grundlage legen für eine neue Phase offenen Konflikts der Palästinenser mit Israel anstatt diesen zu beenden. Damit würde eine solche Anerkennung dem primären Zweck der UN-Charta und der gegenwärtigen völkerrechtlichen Ordnung widersprechen, deren Ziel die Aufrechterhaltung von internationalem Frieden und Sicherheit ist.

Die Rolle der bilateralen israelisch-palästinensischen Abkommen und internationaler Vereinbarungen

Die Anerkennung eines palästinensischen Staates ausserhalb eines umfassenden Friedensvertrages zwischen Israel und den Palästinensern steht im Widerspruch zu Wort und Geist der zwischen Israel und der PLO unterzeichneten Abkommen.

Das erste solcher Abkommen findet sich in dem Briefwechsel zwischen dem israelischen Premier Yitzhak Rabin und PLO-Chef Yasser Arafat vom 9. September 1993. Die Briefe legen die Grundlage für die Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung (auch bekannt als „Osloer Abkommen“ oder „Oslo I“), die vier Tage später von beiden Seiten in Washington unterzeichnet wurde. [23.  http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/declaration%20of%20principles.aspx]

In dem Brief Arafats an Rabin verpflichtete sich die PLO zur Lösung, „alle[r] ausstehenden Fragen über den dauerhaften Status durch Verhandlungen“:

9. September 1993
Herr Ministerpräsident, die Unterzeichnung der Prinzipienerklärung kennzeichnet eine neue Ära in der Geschichte des Nahen Ostens. Fest überzeugt vom Inhalt dieser Erklärung bestätige ich hiermit wie folgt:
Die PLO erkennt das Recht des Staates Israel auf Existenz in Frieden und Sicherheit an.
Die PLO akzeptiert die UN-Sicherheitsratsresolutionen 242 und 338.
Die PLO verpflichtet sich auf den Nahost-Friedensprozess und auf eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen den zwei Parteien und erklärt, dass alle ausstehenden Fragen über den dauerhaften Status durch Verhandlungen geregelt werden…. (Hervorhebungen nachträglich) [24. http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/mfadocuments/yearbook9/pages/107%20israel-plo%20mutual%20recognition-%20letters%20and%20spe.aspx]

Zweifelsohne gehört die Angelegenheit einer palästinensischen Staatlichkeit zu den „Fragen über den dauerhaften Status.“ Versuche der PLO oder der PA, das Thema durch etwas anderes als „durch Verhandlungen“ zu regeln, sei es durch UN-Resolutionen oder durch die politische Anerkennung durch Staaten oder Parlamente, sind daher unvereinbar mit der Verpflichtung und ein klarer Bruch von Oslo.

Das israelisch-palästinensische Interimsabkommen für das Westjordanland und den Gazastreifen („Oslo II“) wurde 1995 zwischen Israel und der PLO unterzeichnet. [25.  http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/the%20israeli-palestinian%20interim%20agreement.aspx] Es legt ausdrücklich fest, dass die Palästinensische Autonomiebehörde über keine Rechtssprechung und Kontrolle über die Grenzen des von ihr verwalteten Gebiets verfügt (Artikel XII) oder den entsprechenden Luftraum (Artikel XIII, Annex 1 §4), die auswärtigen Beziehungen (Artikel IX, §5), israelische Bürger und Siedlungen auf dem Gebiet (Artikel XII) und Elemente der Sicherheitskräfte (abhängend von dem jeweiligen Gebiet A, B oder C). Die Tatsache, dass die PA durch dieses Abkommen über keine Rechtssprechung oder Kontrolle dieser Bereiche verfügt – essentiell für den Begriff von Souveränität – widerspricht der Behauptung, dass „Palästina“ ein Staat wäre.

Wenn in den von PLO und PA eingegangenen Abkommen von ihrer Seite her anerkannt wurde, dass die Frage der Staatlichkeit Teil der Verhandlungen über einen dauerhaften Status zu sein habe, dann heisst dies ausdrücklich, dass vor Abschluss solcher Verhandlungen ein palästinensisches Gebilde nicht als Staat gesehen werden darf. Ein Gebilde, das sich selbst nicht als Staat sieht, kann weder logisch noch rechtlich von anderen als solcher anerkannt werden. [26. See European Centre for Law and Justice, Legal Memorandum Opposing Accession to ICC Jurisdiction by non-State Entities, 9 Sept. 2009, pp. 12-15: http://iccforum.com/media/background/gaza/2009-09-09_European_Centre-Memo.pdf]

Oslo II trifft ferner Vorkehrungen für die Endstatusfragen. Artikel XXXI, §7, legt fest:

Keine der beiden Seiten soll Schritte einleiten oder unternehmen, die den Status von Westjordanland und Gazastreifen vor Abschluss dauerhafter Statusverhandlungen verändern.

Sollten die Palästinenser daher das Westjordanland und den Gazastreifen zu Teilen des souveränen Territoriums eines Palästinenserstaates erklären, würden sie den Status dieser Gebiete ändern und entsprechend völkerrechtlich bindende Verträge brechen.

Daraus ergibt sich, dass eine Ausrufung eines Palästinenserstaates, die auf anderer Weise als durch das direkt ausgehandelte Abkommen mit Israel erfolgt, eine klare Verletzung von Oslo II darstellen würde und dass die Anerkennung eines solchen Staates durch Parlamente und Regierungen der internationalen Gemeinschaft mitschuldig an einem solchen Vertragsbruch sein würde. [27. ‘Opinion in the Matter of the Jurisdiction of the ICC with regard to the Declaration of the Palestinian Authority’, by Professor Malcolm Shaw QC, 9 September 2009, p.18, paras 41-42: https://www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/D3C77FA6-9DEE-45B1-ACC0-B41706BB41E5/282851/OTP2010000035449SupplementaryOpinionMalcolmShaw.pdf] Es ist ein allgemein anerkanntes völkerrechtliches Prinzip, dass ein Staat nicht aufgrund eines Völkerrechtsverstosses entstehen soll, da ein illegaler Akt kein bindendes Recht sprechen kann – ex injuria non oritur jus. [28. Ibid, p.20, para 46. James Crawford, The Creation of States in International Law, (Oxford: Oxford University Press, 2nd edition, 2006), Chapter 3, ‘International Law Conditions for the Creation of States’,]

Der „ergebnisorientierte Fahrplan für eine dauerhafte Zwei-Staaten-Regelung zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konfliktes“ – die „Roadmap“ – wurde vom Nahostquartett (UN, Vereinte Nationen, Russland und EU) 2003 angenommen und vom UN-Sicherheitsrat mit Resolution 1515 bestätigt. Am 1. Juli 2003 kamen der israelische Premierminister Ariel Sharon und der PA-Premier Mahmoud Abbas zu einer zeremoniellen Eröffnung von Friedensverhandlungen in Jerusalem zusammen, die sowohl auf Hebräisch als auch Arabisch im Fernsehen übertragen wurden. Beide Regierungschefs betonten, dass die Gewalt im Konflikt schon zu lange angedauert hätte und sie der Roadmap zum Frieden verpflichtet wären. [29. Chris McGreal, Sharon and Abbas warm to road map, The Guardian, 2 July 2003: https://www.theguardian.com/world/2003/jul/02/israel]

Die Roadmap verlangt von beiden Seiten auf unilaterale Schritte zu verzichten und stattdessen zu versuchen, den Konflikt auf der Verhandlungsebene zu lösen. Die Schaffung eines Palästinenserstaates wäre das Ergebnis des letzten Verhandlungsstadiums:

Eine Zwei-Staaten-Regelung zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts, kann nur erreicht werden, wenn Gewalt und Terrorismus ein Ende haben, wenn das palästinensische Volk eine Führung hat, die entschieden gegen den Terrorismus vorgeht sowie willens und fähig ist, eine funktionierende, auf Toleranz und Freiheit gegründete Demokratie aufzubauen, wenn Israel bereit ist das Notwendige zu tun, um die Errichtung eines demokratischen palästinensischen Staates zu ermöglichen, und wenn beide Parteien das Ziel einer Verhandlungslösung, wie im Folgenden beschrieben, klar und unmissverständlich akzeptieren.

Eine zwischen den Parteien ausgehandelte Einigung wird dazu führen, dass ein unabhängiger, demokratischer und lebensfähiger palästinensischer Staat entsteht, der in Frieden und Sicherheit mit Israel und seinen anderen Nachbarn zusammenlebt. [30. ‘A Performance-Based Roadmap to a Permanent Two-State Solution to the Israeli-Palestinian Conflict’, 30 April 2003: http://www.mfa.gov.il/mfa/foreignpolicy/peace/guide/pages/a%20performance-based%20roadmap%20to%20a%20permanent%20two-sta.aspx] (Hervorhebung nachträglich)

Das Nahostquartett hat dieses Prinzip wiederholt bestätigt, ganz besonders in einer in München am 5. Februar 2011 verabschiedeten Erklärung:

Das Quartett bekräftigt, dass Verhandlungen zu einem Ergebnis führen sollen, das die 1967 begonnene Besatzung beendet und alle dauerhaften Statusfragen klärt; […] dass unilaterale Handlungen einer der beiden Seiten das Ergebnis von Verhandlungen nicht vorwegnehmen und daher von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt werden. [31. Middle East Quartet Statement, Munich, February 5, 2011: http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/wgme/dv/201/201103/20110309_3_quartetstatement_munich_en.pdf] (Hervorhebung nachträglich)

Daraus folgt, dass die Erklärung der Errichtung eines Palästinenserstaates ausserhalb von Verhandlungen mit Israel eine Bruch der Verpflichtung darstellen, die die PLO und PA im Rahmen der Roadmap eingegangen sind, „und daher von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt werden.“

Strittige Fragen

Die Anerkennung eines Palästinenserstaates ausserhalb eine umfassenden Friedensvertrages mit Israel würde keinerlei Hilfe bei der Lösung der Kernfragen des Konfliktes darstellen, insbesondere bei den Themen Jerusalem, Grenzen, Siedlungen, Sicherheit und Wasser. Die komplexe Gestaltung, die benötigt wird, um diese Fragen zu lösen verlangt eine Kooperation beider Seiten auf Grundlage eines detaillierten Abkommens und nicht grossspurige und symbolische Anerkennungserklärungen von Drittparteien.

Der Versuch einer dritten Partei, eine Grenze zwischen Israel und den Palästinensern zu ziehen, wäre rechtlich wirkungslos. Es ist allgemein akzeptiertes Prinzip im Völkerrecht, dass nur die betroffenen Staaten im wechselseitigen Einvernehmen offene Grenzkonflikte lösen können. Aussenstehende Kräfte, die nicht Teil des Konfliktes sind, können eine solche Lösung nicht erzwingen. [32. Michael Bothe, ‘Boundaries’, in Rudolf Bernhardt (ed.), Encyclopedia of Public International Law, Vol. I, (North-Holland, 1992), p.444.]

Aktuell existieren bilaterale Abkommen in über 40 Bereichen der zivilen Zusammenarbeit, die die Basis für wirtschaftliche, rechtliche und sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Israel und der PA, wie z.B. Steuerfragen und Wasserverteilung. Die Gründung eines Palästinenserstaates ausserhalb eines umfassenden Friedensabkommens mit Israel würde die fundamentalen Vorkehrungen dieser Abkommen verletzen und deren fortgesetzte Umsetzung gefährden. Staaten, die dies billigen, untergraben zudem die Integrität des Völkerrechts.

Würde das Gebiet eines solcherart anerkannten Palästinenserstaates das Westjordanland und den Gazastreifen umfassen, dann würde ferner die Frage aufgeworfen, was für ein Rechtsstatus der Autonomiebehörde zukäme, die im Westjordanland herrscht, welcher der Hamas in Gaza. Trotz der jüngsten Ergänzung ihrer berüchtigten Charta hat letztere diese nie aufgehoben und erklärt, dass die Charta immer noch vollständig in Kraft sei. Die Hamas gilt in vielen Ländern als Terrororganisation, so auch in den Vereinigten Staaten und der EU. Die Hamas bestreitet das Existenzrecht Israels, lehnt die bestehenden Abkommen ab, bekennt sich zur terroristischen Gewalt und ruft unablässig zur Vernichtung Israels auf. [33 ‘Leading Hamas official says no softened stance toward Israel’, Reuters, 10 May 2017: http://www.reuters.com/article/us-israel-palestinians-hamas-idUSKBN1862PK]

Das Bemühen der Palästinenser, Stimmen zur Anerkennung eines Palästinenserstaates von anderen Staaten einzusammeln, ist letztlich wie deutlich der Versuch, zur Staatlichkeit zu gelangen, ohne den Konflikt mit Israel zu lösen. Auf diese Weise werden jedoch nur die Hardliner auf beiden Seiten in den Augen der jeweiligen Bevölkerung in ihr Recht gesetzt, was die unversöhnlichen Positionen von Israelis und Palästinensern nur weiter zementieren wird und eventuell zu mehr Blutvergiessen denn zu weniger führen wird.

Historische Analogien

Fälschlicherweise ist der Vorschlag einen Palästinenserstaat solcherart ohne Friedensvertrag zwischen beiden Seiten anzuerkennen verglichen worden mit der Anerkennung des jüdischen Staates durch die Annahme von Resolution 181 durch die UN-Vollversammlung am 29. November 1947. Die Resolution empfahl die Teilung des Gebietes des ehemaligen Palästinamandats in einen jüdischen und einen arabischen Staat. Sie gab aber nicht vor, einen der beiden Staaten anzuerkennen, da beide zu dem Zeitpunkt nicht existierten. Die Resolution wurde auch nie umgesetzt, da die arabischen Staaten sie ablehnten und ihre Umsetzung durch die Kriegserklärung gegen die jüdische Bevölkerung auf dem Gebiet erklärten und schliesslich gegen den neuen israelischen Staat.

Peter Wertheim ist Geschäftsführer des Executive Council of Australian Jewry (ECAJ). Auf Englisch zuerst erschienen bei Jerusalem Center for Public Affairs.