Mit dem Duden auf der Suche nach den „Palästinensergebieten“

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Symbolbild. Foto Fotolia / Stefan Gräf
Symbolbild. Foto Fotolia / Stefan Gräf
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Jeder Zeitungsleser kennt den Begriff „Palästinensergebiete“. Doch wo liegen die, wie verlaufen die Grenzen? Was ist genau gemeint?

Im Duden steht nach „palastartig“: „Pa­läs­ti­nen­ser­ge­biet“: Substantiv, Neutrum von Palästinensern bewohntes, kontrolliertes Gebiet“

Ein „Deutschengebiet“ oder „Franzosengebiet“ kennt der Duden nicht. Es gibt allerdings auch einen „Palästinenserpräsidenten“ aber keinen „Amerikanerpräsidenten“ oder eine „Deutschenkanzlerin“. Beim Duden gibt es sogar den Begriff „Palästinenserstaat“. Aber einen Deutschenstaat oder Franzosenstaat sucht man vergeblich.

Also suchen wir das „von Palästinensern bewohnte, kontrollierte Gebiet“ auf der Landkarte

  1. Von Palästinensern bewohnt und kontrolliert

Die rund 2 Millionen Bewohner des Gazastreifens und bestenfalls 1,5 Millionen Bewohner der Autonomiegebiete können als Palästinenser bezeichnet werden. Nur sie besitzen seit 1995 die palästinensische Staatsbürgerschaft und einen palästinensischen Pass. Diese Palästinenser „kontrollieren“ im Westjordanland einzig die Städte (Hebron, Bethlehem, Ramallah, Nablus usw.). In ihnen wurde im Rahmen der Osloer Verträge die „Autonomie“ (Selbstverwaltung) eingerichtet.

Innerhalb der Autonomiegebiete existiert übrigens keine jüdische Siedlung. Kein Jude lebt dort. Die „Palästinensergebiete“ sind also „judenfrei“.

  1. Palästinenser ist ein Gefühl

In jedem anderen Land gilt die Staatsangehörigkeit, wie sie in den persönlichen Papieren (Pass oder Ausweis) steht. In offiziellen Statistiken der Palästinensischen Behörde werden jedoch auch die rund 300.000 arabischen Bewohner Jerusalems mitgezählt. Die besitzen jedoch einen jordanischen Pass und israelische Ausweise, aber keine palästinensischen Papiere. Mitgezählt werden auch ausgewanderte Palästinenser und noch ungeborene Babys.

Die Bevölkerungsstatistiken zu Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland sind höchst umstritten. Die offizielle Statistikbehörde der Palästinenser (PCBS) gibt für Ende 2017 inzwischen 3 Millionen Palästinenser im „Staat Palästina“ und weitere 2 Millionen im Gazastreifen an. Ausdrückliches Ziel ist es, den Juden im „historischen“ Palästina (also Israel und besetzte Gebiete) zu zeigen, dass die Palästinenser über eine Bevölkerungsmehrheit verfügen.

Mitgezählt werden die arabischen Bewohner Ost-Jerusalems, die einen jordanischen Pass haben, zahlreiche „eingewanderte“ Palästinenser, die aber an den von Israelis kontrollierten Grenzübergängen nie gesichtet worden sind, im Ausland lebende Palästinenser sowie ungeborene Babys, entsprechend der Vorhersage der Neugeburten entsprechend der angenommenen Fruchtbarkeit der Frauen. Die angegebenen Zahlen widersprechen der Zahl der jährlich eingeschulten Kinder, die anderswo gezählt werden. Hinzu kommt, dass Todesfälle nicht oder nur verspätet registriert werden. Mehrere amerikanische wie israelische Forschungsinstitute haben diese offiziellen palästinensischen Angaben geprüft und sind zum Schluss gekommen, dass im Westjordanland etwa 1 Million weniger Palästinenser leben, als offiziell angegeben.

Bei diesen eher pro-israelischen Untersuchungen besteht der ausdrückliche Wunsch, eine möglichst grosse jüdische Bevölkerung vorzustellen, ebenfalls aus politischen Gründen.
Alle „offiziellen“ Zahlen sollten nur mit gebührender Vorsicht genossen werden. Teilweise handelt es sich um Schätzungen handelt, da seit vielen Jahren weder in Israel noch in den „Palästinensergebieten“ (was immer damit gemeint ist) eine Volkszählung stattgefunden hat.
Zu beachten ist auch, was bei den palästinensischen Angaben mit „Staat Palästina“ gemeint ist oder mit „historisches Palästina“. Da dürfte das heutige Jordanien ausgeschlossen sein, obgleich auch das Teil des „historischen Palästina“ bis 1921 war.

Vor kurzem wurde in Berlin ein Humus-Lokal als Modell für den Nahostfrieden gefeiert, weil es gemeinschaftlich von einem Israeli und einem Palästinenser geführt werde. Ein paar Telefonate mit beiden Betreibern ergab, dass der „Israeli“ ein israelischer Jude war, während der „Palästinenser“ in Wirklichkeit ein israelischer Araber war, mit eigenem Restaurant in der israelischen Stadt Ramle. Er gestand, nur einen israelischen Pass zu besitzen, sich aber als „Palästinenser“ zu empfinden.

Gemäss dem gleichen Prinzip veranstalten christliche und andere Organisationen mit Millionensummen aus staatlichen Mitteln geförderte „Versöhnungsprojekte“, bei denen israelische und palästinensische Kinder zusammengeführt werden. Bei genauem Hinschauen stellt sich in vielen Fällen heraus, dass da (jüdisch) israelische Kinder mit (arabisch) israelischen Kindern „Frieden“ schliessen sollen.

  1. Von Palästinensern bewohnt, aber nicht von Palästinensern kontrolliert

Zum Beispiel Jordanien. Palästinenser machen rund 75% der Bevölkerung des Haschemitischen Königreichs aus. Gleichwohl rechnet heute niemand mehr Jordanien zu den „Palästinensergebieten“, obgleich dessen Territorium bis 1921 Teil des britischen Mandatsgebiets „Palästina“ war. 82% des Westjordanlandes stehen bis heute unter israelischer Militärverwaltung und nicht unter palästinensischer „Kontrolle“. Die Behauptung, dass Israel „illegale jüdischen Siedlungen“ in Palästinensergebieten errichtet habe, ist deshalb in jedem Fall falsch.

  1. Palästinenser ohne Palästinensergebiete und Araber aus Palästina

Dank Google Ngram kann man feststellen, dass das Wort „Palästinensergebiete“ erstmals 1993 in Büchern Eingang fand. Wer und wann das Wort erfunden hat und was damit gemeint war, lässt sich nicht ermitteln. Im Englischen gibt es „Palestinian territories“ schon ab 1968.

Niemand redete von „Palästinensergebieten“, als der Gazastreifen von Ägypten „verwaltet“ wurde und das Westjordanland unter jordanischer Kontrolle stand. Die Araber haben sich erst 1968 mit der zweiten PLO-Charta den Volksnamen „Palästinenser“ gegeben. Sogar die UNWRA, die UNO-Flüchtlingshilfe-Organisation für Palästinenser, achtet bis heute in ihren Pressemitteilungen darauf, nicht „Palästinenser“ zu erwähnen. Entsprechend ihrer Statute ist da die Rede von „arabischen Flüchtlingen aus Palästina“, also dem britischen Mandatsgebiet.

  1. Israel als Palästinensergebiet

In manchen Publikationen zählen sogar Akko, Jaffo und Nazareth zu den „israelisch besetzten Palästinensergebieten“. Anders formuliert: Mit diesem ungenauen Begriff wird der Staat Israel abgeschafft. Und selbst in Fällen, wo nur neben dem 2005 von Israel geräumten Gazastreifen und das Westjordanland gemeint sind, wird die politische Realität einer israelischen Kontrolle in 82% des Westjordanlandes ausgeblendet. Manchmal wird in der israelischen Propaganda gefragt, warum denn die Palästinenser ihren gewünschten Staat nicht vor der israelischen Eroberung 1967 ausgerufen haben, als die „Palästinensergebiete“ unter arabischer Kontrolle standen. Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es damals die „Palästinenser“ noch gar nicht gab und die Araber nicht auf die Idee gekommen waren, einen separaten Nationalstaat für sich einzufordern. Ebenso gab es damals auch keine Palästinensergebiete.

Realität trifft auf Propaganda

Vor Ort, in Nahost, hat die Spielerei mit solchen Begriffen keine Bedeutung. Palästinensische Polizei darf nur innerhalb der Autonomiegebiete wirken, während Israelis die restlichen von ihnen besetzten und verwalteten Gebiete sowie die Aussengrenzen kontrollieren. Solange diese Gebiete nicht per Vertrag den Palästinensern übergeben worden sind, kann man nur von „Ansprüchen“ reden.

Mit dem Begriff „Palästinensergebiete“ greifen freilich die Europäer und pro-palästinensische NGO´s einer politischen Verhandlungslösung vor. Illegal, ohne Genehmigung der Israelis, errichtet die EU in den besetzen Gebieten Schulen und andere Gebäude. Argumentiert wird da, dass „humanitäre Hilfe“ internationales Recht sei und lokales Recht ausser Kraft setze. Kein Staat in der Welt würde ein solches Eingreifen akzeptieren, weder in seinem souveränen Territorium oder in dessen besetzten Gebieten wie Nordzypern, Tibet oder auf der Krim.

Die „Zweistaatenlösung“

Mit dem Wort „Palästinensergebiete“ wird eine politische Stimmung geschaffen, die dann zu Forderungen wie der „Zweistaatenlösung“ führt.

Duden: Zweistaatenlösung
Substantiv, feminin – Vorschlag, den Nahostkonflikt durch einen eigenständigen palästinensischen Staat neben Israel zu lösen. 

Die „Zweistaatenlösung“ wurde fast zeitgleich in Deutschland und in Nordvietnam „erfunden“.

Der jugoslawische Diktator Tito empfahl 1969 in Ostberlin die „Zweistaatenlösung“ für Deutschland. Die Palästinenser griffen das Wort mitsamt dem politischen Programm in Hanoi auf. Die Nordvietnamesen wollten so ihre Absicht kaschieren, Südvietnam zu schlucken. Die Bonner Republik hätte sich selber die Wiedervereinigung, das Einverleiben der DDR, verbaut durch die Zustimmung zu einer „Zweistaatenlösung“. Aus guten Gründen lehnt Israel beide historischen Vorbilder ab, zumal den Palästinensern das vietnamesische Modell vorschwebt. Durch eine Rückkehr von 5 Millionen Flüchtlingen nach Israel wollen sie erst einen Staat mit palästinensischer Mehrheit schaffen und sich dann das Land einverleiben. Auf palästinensischem Briefpapier prangt schon das Wappen und der Spruch „State of Palestine“. International fordern die Palästinenser eine Anerkennung ihres Staates, ohne ihn ausgerufen zu haben.

Warum wird der palästinensische Staat nicht ausgerufen?

  • Die Verkündung eines Staates wäre ein Verstoss gegen die Osloer Verträge und eine Aufhebung des delikaten Gefüges der Beziehungen mit Israel. Das hätte verheerende Folgen für die Wirtschaft, die Einreise von Arbeitern nach Israel oder die Ausreise über die israelisch kontrollierten Grenzübergänge.
  • Jeder militärische Angriff auf Israel, von der Hamas-Rakete bis zum Selbstmordattentäter oder Messerstecher käme laut Völkerrecht einer formalen „Kriegserklärung“ gleich. Militärische Reaktionen Israels auf Beschuss von „Terror-Organisationen“ waren bisher keine „Kriege“, sondern „Militäroperationen“.
  • Heute erhalten die Palästinenser Milliardenbeträge von Geberländern unter dem Titel „Aufbauhilfe für den künftigen Staat“. Sowie sie ihren Staat offiziell aufgerufen haben, müssten sie sich wie Äthiopien, Burundi, Botsuana oder Eritrea als „Entwicklungsland“ bewerben und würden dann nur noch einen Bruchteil der jetzigen Zuwendungen erhalten.
Foto: Google Books Ngram Viewer; Screenshot: Ulrich W. Sahm

Nachbemerkung: Natürlich gibt es heute Palästinenser und eine palästinensische Nationalbewegung. Ebenso beanspruchen sie bestimmte Gebiete, darunter ganz Jerusalem und manchmal auch ganz Israel für sich. Doch was sie durch Verhandlungen am Ende erhalten, kann niemand vorhersehen.

Auch der Duden vermeldet korrekt: „Leider haben wir zu Ihrer Suche nach ‘Palästinensischer Staat’ keine Treffer gefunden.“


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Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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