Die Pilgerfahrt und der Kampf um die Vorherrschaft im Islam

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Bild: Flickr/Nacizane
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Mittwoch, der 23. August 2017, ist der erste Tag des Dhū l-Hiddscha, des muslimischen Monats, in dem zwei wichtige Ereignisse stattfinden: die Pilgerfahrt nach Mekka, eines der wichtigsten der fünf islamischen Gebote, und das Opferfest, Eid al-Adha, mit dem diese zu Ende geht.

Von Mordechai Kedar

Die Haddsch-Zeremonien in Mekka und Umgebung dauern neun Tage, vom ersten bis zum neunten des Monats, wobei jeder Tag seine eigenen, besonderen Rituale hat. Am zehnten Tag beginnt das Eid al-Adha, das Opferfest, das vier Tage andauert, bis zum 13. Die Dynastie der Saud hat sich 1925 selbst zum „Hüter der heiligen Stätten“ ernannt, als sie den Haddsch übernahm. Sie organisiert den Haddsch mit starker Hand und sorgt dafür, dass alle Pilger die Rituale auf traditionelle islamische Art befolgen, wie sie die saudische Monarchie interpretiert. Diese Tatsache ist von grosser Bedeutung, weil sie belegt, dass der saudische Herrscher, und niemand sonst, die wichtigste Gestalt in der islamischen Welt ist.

Die Entscheidung darüber, wann der Monat des Haddsch beginnt, ist ein Beispiel dieser Macht. Der erste Tag jedes Monats des islamischen Jahrs wird vom Sharia-Gericht jedes Landes festgelegt. Dabei hört man Zeugen, die den Neumond mit eigenen Augen sehen und vor Gericht aussagen. Das führt natürlich dazu, dass die Monate und das 30-tägige Ramadan-Fasten in unterschiedlichen Ländern zu verschiedenen Tagen beginnen, denn wenn es wolkig ist und der Mond in einem bestimmten Land nicht gesehen werden kann, dauert der Monat 30 Tage, während er anderswo nur 29 Tage dauern kann. Aus diesem Grund beginnt der Ramadan, der am ersten Tag des neunten Monats des islamischen Kalenders seinen Anfang nimmt, nicht überall in der islamischen Welt am selben Tag.

Der Monat des Haddsch unterscheidet sich von anderen Monaten, weil die gesamte islamische Welt an der Pilgerfahrt teilnimmt und den saudischen Kalender akzeptieren muss, um an den datumsabhängigen Zeremonien teilnehmen zu können. Das betrifft auch die Schiiten, die die Vorherrschaft der Sunniten über die heiligen islamischen Stätten nicht anerkennen, aber das Diktat der Saudis akzeptieren müssen. Die Saudis nutzen ihre Macht aus und betonen die Einheit des Islam, die in der Zeit unter ihrer Kontrolle erreicht wurde. Es gab Jahre, in denen die Schiiten, vor allem Iraner, die saudischen Vorschriften ablehnten und Rituale durchführten, die der sunnitischen Tradition fremd waren, was zu Aufruhr und zum Tod einer grossen Zahl von Pilgern führte.

Die wachsenden Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien infolge ihrer grossen Konflikte wegen Syrien, dem Jemen, dem Irak und dem Libanon liessen den obersten Religionsführer des Iran, Ajatollah Ali Chāmeneʾi, befürchten, beim Haddsch des Jahres 2016 könne es ein Blutbad geben. Daher verlegte er die Pilgerfahrt nach Kerbela im Irak, wo im Jahr 680 Mohammeds Enkel Husain von der Armee des sunnitischen Kalifen Yazid ben Mu’awiya enthauptet wurde. Eine Million iranischer Pilger kam nach Kerbela, wo sie das Fest im Gedenken an Husain ben Ali feierten.

Sunnitische Älteste, darunter der ägyptische Scheich al-Azhar, veröffentlichten Kommentare, in denen sie den iranischen Schritt kritisierten und Chāmeneʾi beschuldigten, die Spaltung im Islam weiter voranzutreiben. Andere Sunniten, überwiegend Saudis, meinten, die Schiiten folgten dem Teufel, nicht Allah, wenn sie den Haddsch von Mekka entfernten.

Was können wir in diesem Jahr erwarten, da der Haddsch nach Mekka näher rückt? Ich weiss es nicht, aber ich wäre nicht überrascht, wenn die politischen Spannungen zwischen den Saudis und dem Iran, insbesondere nach den Niederlagen des sunnitischen IS, Siegen der schiitischen Hisbollah und dem Vordringen des Iran in den Irak, nach Syrien und in den Libanon hinein, während des Haddsch ein Ventil fänden. Das könnte sich in Gestalt eines schiitischen Boykotts von Mekka oder saudischer Gewalt gegen Schiiten, die versuchen, nach Mekka zu pilgern, äussern.

Im Juni wurde Jerusalem Schauplatz des Ringens („Ribat“) zwischen dem Islam, der Religion, die den Platz des Judentums und des Christentums einnehmen möchte, und dem Judentum, das inmitten einer Rückkehr zu seinem früheren Status als lebendige, würdige Religion steckt. Hintergrund der Auseinandersetzungen ist die Wiederherstellung der jüdischen Souveränität auf dem Tempelberg. Während der kurzen Zeit muslimischer Demonstrationen für das Recht, die al-Aqsa-Moschee ohne „jüdische“ Sicherheitschecks betreten zu dürfen, blieb die Stimme Saudi-Arabiens auffallend still.

Grund für das saudische Schweigen war die Sorge, die Muslimbruderschaft und alle, die unter deren Einfluss stehen, könnten der al-Aqsa-Moschee eine Bedeutung zumessen, die der zentralen Rolle Mekkas im Islam gefährlich werden könnte.

Diesen Plan konnte man Medienäusserungen der Muslimbruderschaft entnehmen. So sagte beispielsweise Safwat Higazi, oberster Wortführer der Muslimbruderschaft in Ägypten, im Jahr 2012, die Hauptstadt des islamischen Kalifats, das alle arabischen Nationen vereinen könne, „ist nicht Mekka, nicht Medina, nicht Kairo, sondern Jerusalem.“

Eine ähnliche Äusserung erfolgte 2014 bei einer Demonstration in Jerusalem durch Kamal Khatib, den stellvertretenden Leiter des nördlichen Zweigs der Islamischen Bewegung in Israel, der Scheich Raad Salah vorsteht.

Scheich Raad Salah selbst erklärte, er plane, Wasser aus der Quelle Zamzam in Mekka mitzubringen und in die Zisterne am Tempelberg zu giessen, um die al-Aqsa-Moschee durch die Heiligkeit Mekkas zu weihen. Die Saudis sehen dies als unzulässigen Wettbewerb und gestatteten Salah nicht, am Haddsch in Mekka teilzunehmen. Die Herausforderung Mekkas durch Jerusalem wird auch im Boykott ersichtlich, den die Saudis gegenüber Katar erklärt haben, einem Land, das die Ableger der Muslimbruderschaft, wie etwa die Hamas, für die der Kampf um Jerusalem und Palästina, von ihnen als Aknaf Bayt al-Maqdis – die Sektoren von Jerusalem – bezeichnet, die Raison d’Être ist, offen unterstützt.

Die saudische Empfindlichkeit hinsichtlich des Hedschas rührt von der Tatsache her, dass die herrschende Dynastie der Saud nicht eigentlich aus dem Teil des Hedschas auf der westlichen arabischen Halbinsel stammt, sondern aus dem zentral gelegenen Hochland Nadsch. Dass sie das Gebiet 1925 von den Würdenträgern des Sherif erobert haben, die behaupten, direkte Nachkommen Mohammeds zu sein, wirft einen Schatten auf die Legitimität der Familie Saud. Das ist der Grund, warum sich der saudische König als „Hüter der heiligen Stätten“ bezeichnet; dieser Titel soll ihm einen „koscheren“ islamischen Status verleihen. Das glauben viele Menschen in der sunnitischen Welt nicht und akzeptieren auch nicht uneingeschränkt das Recht der Familie Saud, ihre wahhabitischen islamischen Traditionen als Norm an Stätten zu setzen, die allen Muslimen heilig sind.

Das Haus Saud investiert grosse Geldsummen, um die Stätten zu erhalten und so eine Legitimität für die Herrschaft über Mekka und Medina zu erlangen und baut Strassen, Brücken, Eisenbahnstrecken und Einrichtungen, die es den zwei Millionen Muslimen, deren Pilgerfahrten es jedes Jahr zulässt, einfacher machen, komfortabel und sicher unterwegs zu sein. Saudi-Arabien importiert Hundertausende Schafe, hauptsächlich aus Australien, und übergibt sie den Pilgern für das am zehnten Tag des Haddsch-Monats gefeierte Fest.

Nächsten Monat wird der Haddsch die Spannungen bezüglich der Vorherrschaft im Islam wieder zum Kochen bringen, wenn die beschriebenen Spaltungen im Innern des Islam drohen, die aktuelle Situation während und wegen des Haddsch zu destabilisieren: Die ethnische Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten entspricht der politischen Spaltung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, der ideologischen Spaltung zwischen Wahhabismus und Muslimbruderschaft und der historischen Spaltung zwischen der Türkei und Saudi-Arabien.

Es steht zu hoffen, dass diese tiefgreifenden Unterschiede nicht wieder zu toten und verletzten Pilgern führen, von denen die meisten anreisen, um Allah nahe zu sein, die wichtigsten Gebote im Zusammenhang mit dem Haddsch zu befolgen und Vergebung für ihre Sünden zu erlangen. Sie sind an all diesen ethnischen, politischen, ideologischen und historischen Betrachtungen überhaupt nicht interessiert; ihr einziger Wunsch ist es, dem Himmel näher zu kommen, Allahs Gebote zu befolgen und seinen Willen zu tun.

Ich wünsche allen Pilgern nach Mekka: Haj mabroor wa-saiy mashkoor wa-dhanb maghfoor – ein reines Fest, Herzen voller Dankbarkeit und vergebene Sünden. Mögen Sie sicher nach Hause zurückkehren.

Gekürzte Version; ursprünglich auf IsraelNationalNews.com veröffentlicht.