Vom Loser zum „Helden“ mit Pensionsberechtigung – das Geschäft mit den „einsamen Wölfen“ aus Palästina

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Im Janaur 2017 wurden 4 Israelis getötet und 16 verwundet, als ein palästinensischer Terrorist mit eine Bus in Gruppe Menschen fuhr. Foto Sebi Berens / Flash90
Im Janaur 2017 wurden 4 Israelis getötet und 16 verwundet, als ein palästinensischer Terrorist mit eine Bus in Gruppe Menschen fuhr. Foto Sebi Berens / Flash90
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Die schweren Unruhen infolge der Errichtung von Metalldetektoren an den Eingängen zum Tempelberg sind inzwischen wieder abgeflaut. Dennoch gab es auch dieser Tage wieder Angriffe „einsamer Wölfe“.

Drei Mitglieder einer Familie in der Siedlung Halamisch wurden ermordet und der Mitarbeiter eines Supermarkts in Javne lebensgefährlich mit Stichen in Hals und Rücken verletzt. Bei der Gusch Etzion Kreuzung verhafteten Soldaten eine junge palästinensische Frau, die sich mit einem Messer bewaffnet dem Kontrollpunkt näherte.

90 Prozent der Attentate können verhindert werden

Seit Oktober 2015 ermorden solche “Einsamen Wölfe” willkürlich Menschen in Israel. Die Täter – meist junge Männer oder Frauen – sind weder Aktivisten politischer Parteien noch radikaler Organisationen. Ihre Waffen sind Alltagsgegenstände: Jedes Messer und jedes Auto kann zur Gefahr werden. Auf der palästinensischen Seite bemerkte man schnell, dass die jungen Angreifer unkontrolliert und „ziellos“ handelten und damit auch die Stabilität der Autonomiebehörde gefährdeten. Präsident Mahmoud Abbas hatte zwar jüngst ein Aussetzen der Sicherheitskooperation mit den Israelis angekündigt, aber die Telefone funktionieren noch. Denn beide Seiten haben ein jeweils eigenes Interesse, die „einsamen Wölfe“ unter Kontrolle zu bekommen.

Anfangs gab es bis zu fünf Attacken pro Tag. Das traf die israelischen Geheimdienste und die Sicherheitsorgane völlig unvorbereitet. Inzwischen gelingt es, etwa 90 Prozent der geplanten Angriffe zu verhindern, die potentiellen Täter abzufangen, zu verhaften und ihre Pläne zu durchkreuzen. Amos Harel, Militärkorrespondent des Haaretz, hat Einblicke in die Methoden der Geheimdienste geliefert, die diese neue Form des Terrors bekämpfen. Nach den ersten Anschlägen gab es nur eine einfache Excel Tabelle, in die alle gesammelten Informationen über die ersten 80 Terroristen eingetragen wurden.

Dabei kamen klare Muster zum Vorschein. 40 Prozent der Terroristen der ersten Welle stammten aus sieben Dörfern der Westbank und arabischen Vierteln Jerusalems. Ebenso stellte sich heraus, dass die Hälfte der Angriffe an ganz bestimmten Orten passierte. Besonders anfällig war die Gush Etzion Kreuzung südlich von Bethlehem. Daraufhin wurden dort besondere Sicherheitsvorkehrungen eingeführt.

Wenn der Loser zum „Helden“ wird 

Ein Täter hatte sich mit seinem Vater gestritten, der ihm das Smartphone zertrümmert hat. Der Sohn eines wohlhabenden Geschäftsmannes berichtete, aus Wut mit dem Mercedes seines Vaters Israelis überfahren zu haben, nachdem er erfahren hatte, dass die Eltern seinem Bruder und nicht ihm den Familienbetrieb übergeben wollten. 

Eine Analyse des Hintergrunds dieser ersten 80 Terroristen ergab Schlüsselelemente, die sie von früheren Terroristen-Generationen unterschieden. Sie waren nicht „tiefreligiös“ und nicht aktiv in bekannten Terror-Organisationen. Sie zählten zum sozialen Mittelstand. Nur wenige stammten aus einem Flüchtlingslager. Viele litten unter „persönlichen Problemen“. Die jungen Männer und ganz besonders die jungen Frauen litten unter Missbrauch, Familienstreit oder galten als gesellschaftlich Ausgestossene. Durch Attacken auf Israelis und der Möglichkeit, selber ein Schahid (Märtyrer) zu werden, bot sich ihnen die Chance, ihrer Not zu entfliehen.

Manche verhafteten Terroristen erzählten beim Verhör, einem „plötzlichen Impuls“ gefolgt zu sein. Ein Mitarbeiter des Geheimdienstes bezeichnete das Profil dieser Täter als „Rache der Verstossenen“. Der Griff zum Messer verwandelt diese gesellschaftlich Diskriminierten in Superhelden. Indem sie eine Attacke ausführten, waren sie augenblicklich „berühmt“. Selbst „gefallene Mädchen“, die bei vorehelichem Sex erwischt worden sind, werden nach Mordattacken plötzlich zu Ikonen des „Widerstands“. Wer bei dem Angriff gar ums Leben kommt, kann sicher sein, in den sozialen Netzwerken über alle Massen verherrlicht zu werden. Je grösser der Schaden, den einer angerichtet hat, desto besser für seinen Nachruhm. Plakate junger Mörder hängen öffentlich aus und auf Facebook werden die „Helden“ gefeiert wie Popstars.

Die Al-Aksa Kampagne

Eine bedeutende Rolle spielte die Kampagne der verbotenen „Islamischen Bewegung“ aus dem Norden Israels, angeführt von dem inzwischen verhafteten Scheich Raed Salach. Dessen Schlachtruf, Israel gefährde die Jerusalemer Al-Aksa Moschee, hat auch in Ost-Jerusalem und im Westjordanland verfangen. Die meisten Terroristen der vergangenen Monate hätten El-Aksa als Motiv angegeben. Nach Angaben des israelischen Geheimdienstes sei bei palästinensischen Jugendlichen die Bereitschaft, wegen El Aksa Terror-Attacken durchzuführen, um „hunderte Prozente“ angestiegen.

Sicherheit durch Schnelligkeit

Die israelische Antwort darauf besteht nicht nur aus einer verstärkten Beobachtung des Internets, sondern erforderte auch eine enge Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften vor Ort. Innerhalb von nur 24 Minuten war es einmal gelungen, einen potentiellen Angreifer auszumachen und auf dem Weg zum geplanten Attentat zu verhaften. In vielen Fällen konnten mögliche Täter innerhalb von einer oder zwei Stunden verhaftet werden. In manchen Fällen wurde auch der palästinensische Geheimdienst informiert. Der lud dann die möglichen Angreifer „zu einem warnenden Gespräch“ ein.

Terroristen mit Pensionsberechtigung

Während ein junger Polizist bei der Autonomiebehörde ein Gehalt von knapp 500 Euro im Monat bezieht, erhält ein Terrorist schon ab dem ersten Tag nach seiner Verhaftung mehr Geld. Wer zu längerer Haft verurteilt wird, wird sogar mit über 3000 Euro pro Monat entlohnt.

Wer mehr als 5 Jahre im israelischen Gefängnis absitzt, ist lebenslang pensionsberechtigt. Die israelische Armee hat Palästinenser gestellt, die mit einem Messer zu einem Checkpoint gekommen sind und sich dann beim Verhör bitter darüber beklagten, dass sie bei einem vorangegangenen Angriff keine ausreichende Haftstrafe bekommen hätten, sodass ihnen keine Rente zustehe.

In den USA und in Europa fordert Israel deshalb, die Zuwendungen an die Autonomiebehörde zu reduzieren, um diesen irrwitzigen staatlich finanzierten Terror junger Palästinenser zu stoppen und die horrenden Zahlungen an Terroristen in israelischen Gefängnissen und an deren Familienangehörige zu unterbinden.

Wie kann man die Geldquelle austrocknen?

Für die Israelis stellte sich auch die Frage, wie man lebensmüde Jugendliche oder solche, die nur verhaftet werden wollten, abschrecken könne. Manche junge Menschen zögern angeblich, wenn ihre Familien einen hohen Preis für die begangenen Taten zahlen müssen. Gegen den Widerstand von vielen Sicherheitsleuten hat Israel deshalb die längst ausgesetzte Abschreckungsmethode erneuert, Häuser und Wohnungen der Terroristen zu zerstören. Ebenso wurden Gelder und Autos beschlagnahmt.

Der Terror als Gewerbe

Die israelischen Soldaten wurden trainiert, besser mit den Messerstechern umzugehen und Opfer zu verhindern. Bei den potentiellen Terroristen führte das zur Suche nach alternativen Mord-Methoden, darunter dem Einsatz von „Carlo“ (Karl Gustav) Schnellfeuer-Gewehren. Die werden in kleinen Werkstätten im Westjordanland hergestellt. Die drei Attentäter des Sarona-Marktes in Tel Aviv, die vier Israelis ermordeten, besorgten sich ihre drei Waffen für nur 1500 Euro. Die massgeschneiderten Anzüge, mit denen sie sich als „Geschäftsleute“ verkleidet hatten, seien teurer gewesen. Der Anschlag in Tel Aviv veranlasste die Israelis verspätet, gezielt jene Werkstätten zur Waffenherstellung im Westjordanland zu suchen und zu zerstören. 70 solcher „Fabriken“ wurden inzwischen entdeckt und hunderte „Carlos“ beschlagnahmt. Jedes einzelne „Carlo“ Gewehr kostet wegen des entstandenen „Mangels“ inzwischen über 2000,- Euro.

Die Planung und Durchführung vieler Angriffe sind etwas amateurhaft. Der Terrorist, der mehrere Israelis verwundete, als er sich 2016 in einem Bus in Jerusalem sprengte, hatte für das Material zum Bau seiner Bombe weniger als 20 Euro entrichtet. Im Verhältnis zur Intensität ihrer Motivation waren die reinen Mord-Ergebnisse dieser verstreuten Terrorattacken also ziemlich bescheiden. Aber die zweite Intifada ab Herbst 2000 lehrte, dass solche Lücken schnell geschlossen werden können. Die Hamas und der islamische Dschihad in Gaza sind weiterhin bereit, grosse Geldsummen an Westbank-Zellen zu liefern, um ihnen bei der Durchführung von grossen Angriffen zu helfen.

Es soll jedoch Fälle von Palästinensern geben, die das Geld ihrer Möchtegern-Financiers gerne annahmen, aber keine Absicht hatten, es für den gewünschten Zweck einzusetzen.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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