Der Jemen versinkt im Chaos. Die Huthi, eine schiitische Gruppe, der enge Kontakte zum Iran nachgesagt werden, haben vor drei Jahren die Macht ergriffen. Seither tobt ein Bürgerkrieg, der das ärmste arabische Land an den Rand einer katastrophalen Hungernot rückt. Der Konflikt entwickelt sich zu einer regionalen Krise. Saudi-Arabien führt seit 2015 eine Koalition sunnitischer Staaten in einer militärischen Intervention an, um den vermeintlichen Einfluss des schiitischen Iran einzudämmen. Um was geht es im Jemen? Und was bedeutet der Krieg für Israel?
von Marcel Serr
Wie alles begann: „Arabischer Frühling“ im Jemen
Von den Ereignissen in Tunesien und Ägypten inspiriert, forderten junge Jemeniten 2011 in grossen Demonstrationen Langzeit-Machthaber Ali Abdullah Saleh zum Rücktritt auf. Nach mehreren Monaten blutiger Auseinandersetzungen stimmte Saleh im November 2011 einem Übergangsplan des Golf-Kooperationsrates zu, der Saleh Immunität im Gegenzug für seine Abdankung zusicherte. Im Februar 2012 hielt der Jemen Präsidentschaftswahlen ab; einziger Kandidat war der frühere Vizepräsident Abed Rabbo Mansour al Hadi. Eine Konferenz des nationalen Dialogs wurde einberufen, die eine Verfassungsreform erarbeiten sollte. Doch die Versammlung löste sich im Januar 2014 ergebnislos auf, da sich die Delegierten nicht über die Gestaltung eines föderalen Regierungssystems einigen konnten.
Die Huthi greifen nach der Macht
Die Huthi, eine schiitische Bewegung im Norden des Landes (auch bekannt als Ansar Allah, die Partisanen Gottes), nutzten die zunehmende Frustration in der Bevölkerung, um eine Offensive gegen Hadi zu starten. Sie verstehen ihr Handeln in erster Linie als Reaktion auf die saudi-arabische Einflussnahme im Jemen und die wahhabitische Missionierung in schiitischen Gegenden. Im September 2014 gipfelte ihre Kampagne in der Einnahme Sanaas und weiter Teile Nord- und West-Jemens. Dabei verbündeten sich die Huthi mit Ex-Präsident Saleh, der noch über ein ausgezeichnetes Netzwerk im Militär, der Wirtschaft und der Politik verfügt. Darüber hinaus unterstützte der ebenfalls schiitische Iran die Huthi. Auch wenn das tatsächliche Ausmass iranischer Unterstützung umstritten ist, gilt als gesichert, dass Teheran den Huthi begrenzte militärische Hilfe zukommen lässt.
Im Januar 2015 setzten die Huthi die Regierung Hadi unter Hausarrest. Einige Wochen später etablierten sie einen „Revolutionsrat“ und andere Regierungseinrichtungen. Damit machten sie den Staatsstreich komplett.
Die Huthi/Saleh-Gegner: eine „bunte“ Mischung
Hadi floh daraufhin nach Aden. Dort erklärte er sich zur einzig legitimen Regierung des Jemen und organisierte ein Bündnis aus den Feinden der Huthi: Separatisten im Süden des Landes, die eine Abspaltung vom Nord-Jemen anstreben, sowie sunnitischen Stämmen und Islamisten, die den schiitischen Huthi aus religiösen Gründen feindlich gesonnen sind. Derweil stiessen die Huthi gen Süden vor und versuchten, das gesamte Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Im März 2015 belagerten sie Aden, sodass Hadi nach Saudi-Arabien floh.
In dieser Situation entschied sich Saudi-Arabien zur einer militärischen Intervention im Jemen. Riad betrachtet den Bürgerkrieg als Konflikt zwischen der legitimen Regierung Hadis und einer vom Iran gelenkten Miliz, die die Stabilität der gesamten Arabischen Halbinsel gefährdet. Saudi-Arabiens ehrgeiziger Königssohn Mohammed bin Salman, der mittlerweile zum Kronprinzen ernannt wurde, sammelte eine sunnitisch-arabische Koalition aus neun Staaten um sich und gab als Ziel vor, den Vormarsch der Huthi zu stoppen und Hadis Regierung über den Jemen wiederherzustellen. Die USA, Grossbritannien und Frankreich unterstützen die arabische Kriegsallianz militärisch und politisch. Für Washington handelt es sich dabei um den Preis, für Riads Tolerierung des Nuklearabkommens mit dem Iran.
Die aktuelle Lage: eine blutige Pattsituation
Nach zwei Kriegsjahren konnte bislang keine Partei die Oberhand gewinnen. Anti-Huthi/Saleh Kräfte hatten die Rebellen nach einer viermonatigen, verlustreichen Schlacht an der Einnahme Adens hindern können. Die Koalitionsstreitkräfte etablierten einen Brückenkopf in der Hafenstadt und konnten die Huthi aus weiten Teilen des Südens zurückdrängen. Hadi kehrte nach Aden zurück und errichtete dort seinen provisorischen Regierungssitz.
Die Lufteinsätze und die maritime Blockade der arabischen Koalitionsstreitkräfte haben den Vorstoss der Huthi verlangsamt. 2017 konzentrierten die Koalitionsstreitkräfte ihre Operationen auf Jemens Küste am Roten Meer, um den Huthi-Saleh Block in Zentral-Jemen zu isolieren. Nach Angaben jemenitischer Militärs sind die Koalitionstruppen mittlerweile nur noch rund 50 km von Sanaa entfernt. Doch der Huthi-Saleh Block ist alles andere als besiegt: Sanaa ist noch immer unter Kontrolle der Huthi. Ausserdem unternehmen sie nach wie vor Ausfälle und Raketenangriffe auf Saudi-Arabien sowie auf Kriegsschiffe der arabischen Koalition.
Luftschläge mit katastrophalen Folgen
Die zu ungenauen Luftschläge und die wirtschaftliche Isolation der arabischen Allianz treffen die Zivilbevölkerung weit stärker als die Huthi. Insbesondere die Blockade des Seezugangs, die den Huthi die Versorgung mit Waffen und Munition erschweren soll, wirkt als Kollektivstrafe. Dadurch ist die humanitäre Lage höchst alarmierend. Im Frühjahr 2017 war bereits von 10.000 Toten auszugehen. Die weitflächige Zerstörung von ziviler Infrastruktur und die eingeschränkte Lebensmittel- und Wasserversorgung rücken den Jemen an den Rand einer Hungersnot. Da das Gesundheitssystem des Landes vollständig kollabiert ist, wird der Jemen zudem von einer Cholera-Epidemie heimgesucht.
Derzeit bemühen sich die UN den Hafen von Hodeidah für Hilfslieferungen offen zu halten. Die arabische Allianz bezichtigt die Huthi die Stadt am Roten Meer zum Schmuggel von Waffen zu missbrauchen und nahm die Hafenanlagen unter Beschuss. Dies ist besonders problematisch, weil in Hodeidah rund 80 Prozent der Lebensmittelimporte des Jemen ankommen und der Hafen damit eine essentielle Lebensader des Landes ist.
Die weiteren militärischen Schritte der saudi-arabischen Kriegsallianz könnten die katastrophale humanitäre Lage im Jemen noch weiter verschlimmern. Ein Angriff auf Hodeidah oder gar auf die 2-Mio.-Einwohner Stadt Sanaa mag militärisch sinnvoll erscheinen, würde aber die Versorgungslage massiv verschlechtern und zu einem Blutbad unter der Zivilbevölkerung führen.
„Grünes Licht“ aus Washington?
Donald Trumps erste Auslandsreise als US-Präsident nach Saudi-Arabien im Mai 2017 wertete Riads Position erheblich auf. Der angekündigte Waffendeal über 110 Mrd. US-Dollar kann als Washingtons Zustimmung zu Saudi-Arabiens Vorgehen im Jemen gewertet werden. Es handelt sich dabei um eine radikale Wende zur Politik von Präsident Obama, unter dessen Administration das Weisse Haus Waffengeschäfte nach Riad auf Eis gelegt hatte, nachdem die arabischen Koalitionsstreitkräfte im Oktober 2016 versehentlich eine Beerdigungsgesellschaft bombardiert hatten.
Ausserdem weiteten amerikanische Spezialkräfte die Terrorbekämpfung im Jemen unter Präsident Trump erheblich aus. Ende Mai 2017 wurden Details über eine Operation des SEAL-Team 6 bekannt, dass nach Pentagon-Angaben so tief in jemenitisches Gebiet eingedrungen war wie niemals zuvor und dabei Erkenntnisse über Anführer, Taktiken und Einsätze von Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel einholte.
Waffen aus dem Iran?
Sollte sich die angedeutete Intensivierung der US-Beteiligung im Jemen fortsetzen, wird dies zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes beitragen. Bereits jetzt ist eine verstärkte Unterstützung des Iran an die Huthi nachzuweisen. Die Miliz nutzt bspw. iranische Drohnen zur Zerstörung der gegnerischen Luftverteidigungssysteme. Im Januar 2017 griffen die Huthi zudem eine saudi-arabische Fregatte vor der Küste Jemens mit einem unbemannten, ferngesteuerten Boot an. Im Juni 2017 beschossen sie ein Kriegsschiff der VAE nahe der Bab al-Mandab. Derlei Operationen dürften mit einer verstärkten Unterstützung aus Teheran häufiger werden. Dabei hat Washington bereits unmissverständlich klargemacht, dass es eine Einschränkung der freien Schifffahrt an der strategisch wichtigen Meerenge nicht hinnehmen werde.
Profiteure: Al-Qaida und der IS
Derweil sind Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel und die „Provinz Jemen“ des Islamischen Staates die Hauptprofiteure des Konflikts. Die Schwächung der Zentralregierung und die allgemeine Erosion staatlicher Struktur erlaubt beiden Organisationen, die Kontrolle von Territorien und die Rekrutierung neuer Kämpfer zu intensivieren. Der lokale Al-Qaida Zweig gilt dabei als besonders gefährlich, weil die Gruppe auch ausserhalb Jemens Anschläge verüben kann (bspw. der Angriff auf das Charlie Hebdo-Magazin im Januar 2015 in Paris).
Ausblick
Im dritten Jahr der von Saudi-Arabien angeführten Intervention im Jemen ist kein Ende der Kampfhandlungen in Sicht. Die arabische Militäroperation konnte den Huthi-Saleh Block nicht derartig schwächen, um die Akteure an den Verhandlungstisch zu zwingen. Die Konzentration auf Luftschläge führte zudem zu einer hohen Zahl ziviler Opfer und zur weitgehenden Zerstörung der jemenitischen Infrastruktur. Als Folge wird der ohnehin schon ärmliche Jemen nach dem Konflikt kaum in der Lage sein, als Staat zu funktionieren. Saudi-Arabien wird daher mittelfristig mit einem gescheiterten Staat in direkter Nachbarschaft leben müssen, in dem die Huthi als vom Iran unterstützter Schlüsselakteur erhalten bleiben wird, und die Bedingungen für die Radikalisierung und Rekrutierung von Dschihadisten ideal sind. Der Jemen steuert damit auf einen langwierigen Bürgerkrieg mit enger Verstrickung regionaler Akteure zu. Keiner der Beteiligten im Jemen kann einen solchen Krieg gewinnen; es profitieren allein Al-Qaida und der IS, für die sich der Jemen zu einer optimalen Basis entwickelt.
Implikationen für Israel
Die Huthi sind Israel offen feindlich gesonnen. Ganz offensichtlich wird dies an ihrem Motto, das die Aussagen „Tod Israel, Verflucht seien die Juden“ enthält. Insofern wird sich die Situation für die im Jemen verbleibenden rund 50 Juden unter der Huthi-Herrschaft vermutlich noch verschlimmern (49.000 Juden waren 1949/50 nach Israel ausgeflogen worden). Dabei hatte Israel in den 1960er Jahren den jemenitischen Schiiten militärischen Beistand geleistet. Im Bürgerkrieg Nordjemens (1962-70) unterstützte Jerusalem die schiitischen Royalisten gegen die Revolutionäre, die von Ägypten erheblichen militärischen Beistand erhielten. Israel erhoffte sich davon geheimdienstliche Erkenntnisse über die ägyptischen Streitkräfte – v.a. mit Blick auf die von Nasser eingesetzten Chemiewaffen.
Von dieser historischen Fussnote abgesehen, hat der Konflikt im Jemen zumindest drei nennenswerte sicherheitspolitische Rückwirkungen für Israel:
- Die militärische Unterstützung der Huthi erlaubt Teheran, neue Waffensysteme und Taktiken auf dem Schlachtfeld zu erproben, die auch in die Hände der Hisbollah oder der Hamas gelangen und damit zu einer zukünftigen Bedrohung für Israel werden könnten. Bemerkenswert ist insbesondere der Einsatz von Drohnen in der Luft und im Wasser als kinetische Projektile (sog. Kill Vehicle) gegen feindliche Radarpositionen und Schiffe. Diese könnten zu einer ernsthaften Bedrohung für Israels Gasförderanlagen im Mittelmeer werden.
- Israelische Politiker haben ihre Befürchtungen geäussert, dass der amerikanisch-saudische Waffendeal die regionale militärische Überlegenheit Israels gefährden könnte. Die Details des Abkommens sind bisher nicht bekannt. Klar ist belang lediglich, dass F-15 Kampfjets, Blackhawk-Hubschrauber, das Raketenabwehrsystem THAAD und präzisionsgelenkte Munition im Gespräch waren. Doch bei aller Aufregung gilt zu bedenken, dass König Salman und Präsident Trump vorerst lediglich eine Absichtserklärung unterschrieben haben. Die einzelnen Posten des Waffengeschäfts müssen noch die regulären administrativen und demokratischen Hürden passieren. Insofern ist der Deal noch weit davon entfernt, Wirklichkeit zu werden.
- Die Gegenmachtbildung der sunnitischen Staaten unter der Führung Saudi-Arabiens gegen das iranische Hegemoniestreben im Nahen und Mittleren Osten etabliert eine stillschweigende Interessenskonvergenz zwischen den Golfstaaten und Israel. Unter Vermittlung des Weissen Haus ergibt sich in dieser Situation verstärkt die Chance auf konkrete Annäherungsschritte. So wurde im Mai und Juni 2017 in Medienberichten bekannt, dass die Golfstaaten und Israel die teilweise Normalisierung ihrer Beziehungen hinter verschlossenen Türen diskutieren. Obgleich der Wahrheitsgehalt solcher Meldungen schwer abzuschätzen ist, stellt die verstärkte Wahrnehmung des Irans als gemeinsamer Feind eine günstige Gelegenheit für Israel dar, eine vorsichtige Kooperation mit den Golfstaaten aufzubauen.
Insgesamt hat der Konflikt im Jemen damit durchaus erhebliche sicherheits- und aussenpolitische Auswirkungen auf Israel, die sowohl Chancen (vorsichtige Annäherung an die Golfstaaten) als auch erhebliche Risiken (mögliche Aufrüstung der Golfstaaten) darstellen. Jedenfalls werden Israels Sicherheitskräfte sehr genau auf die weitere Entwicklung und die Taktiken der Huthi achten.
Marcel Serr ist Historiker und Politikwissenschaftler.
Israel ist letztlich großteils schuld an der Krise in SW-Asien. Der bewusst nicht gelöste Nahostkonflikt, der anhaltende Landraub, dessen Unterstützung durch die USA etc. bewirken seit Jahrzehnten die Radikalisierung der islamischen Welt, mit all den bekannten Folgen.
Israel weiß das sicherlich auch und profitiert ja vom ständigen Konflikt, das Gejammer und die beliebte Opferrolle sind nur Theater, insofern ist mir Israel bei dem ganzen Chaos auch egal. Mir tut nur die jemenitische Bevölkerung leid, die für die Spielchen der faschistischen Politiker der islamischen Welt, der USA und Israels nicht selten mit dem Leben bezahlt.
Die Realität zeigt, das Gewalt nur noch mehr Gewalt erzeugt. Die Luftangriffe sind somit letztlich wirkungslos und bewirken mehr Schäden an der Zivilpersonen als an den Oppositionisten. Insofern sind sie an sich einzustellen. Schnelle Lösungen werden sich in dieser Hinsicht sowieso nicht einstellen und bewirken nur weiteres Blutbad.
Es ist richtig, daß das Problem an sich polititisch und auf diplomatischer Weise gelöst werden müßte. Damit ist die Aufnahme des Dialoges mit längerfristiger Gesprächsführung nötig, bis Entspannung und Konfliktlösung einsetzt.
Alle weiteren Maßnahmen sind ansonsten in rein passiver Weise herzustellen, insbesondere die Verhinderung der Belieferung von Kriegsmaterial mit entsprechenden Blockaden des Seeweges. Alle hierbei beteiligten Drittstaaten werden die Auferlegung von Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt. Hilfslieferungen werden dagegen kontrolliert und nachvollziehbar ungehindert durchgelassen.
Eine Verschlechterung des Zustandes der Bevölkerung ist auf jeden Fall zu verhindern. Ansonsten besteht militärisch lediglich eine passive Blockade mit der Option der Einnahme gewaltloser Zugewinne. Die Zielsetzung ist generell in einer allgemeinen Konfliktlösung zu sehen, die innerhalb eines gewaltlosen Disputwechsels zu suchen ist bis sich die Konfrontationen entschärfen und entspannen.
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