Metalldetektoren und das “Syndrom der geringen Erwartungen”

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Foto Kobi Richter/TPS
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Warum beharren Muslime darauf, minderwertig zu sein? Warum weigern sie sich, sich selbst als Gleichberechtigte zu betrachten? Sie dürfen nach der Vernichtung anderer verlangen, sie publizieren antisemitische Karikaturen. Sie legen jedem Mekka-Pilger elektronische Armbänder an – tun dies jedoch andere, dann ist dies eine ‚Beleidigung der muslimischen Ehre‘.

 

Von Ben-Dror Yemini

Es gibt ein Problem mit Muslimen. Sie sind menschliche Wesen. Sie sind genauso wie alle anderen. Aber manchmal bestehen sie darauf, wie kleine Kinder behandelt zu werden. Zuletzt war es der Disput über den Gebetsruf der Muezzins. Nicht, dass der „Muezzin-Gesetzentwurf“ besonders intelligent gewesen wäre, denn es ist eine Tatsache, dass es auch in islamischen Ländern ähnliche Einschränkungen gibt. In Saudi-Arabien existiert sogar eine Fatwa gegen zu hohe Lärmbelästigung. Dennoch brachten sie das Argument eines „Angriffes auf unsere Ehre“ vor.

„Angriff auf unsere Ehre“

Als die Person, die als ihr bedeutendster religiöser Führer gilt, Yusuf al-Qaradawi, die Muslime dazu aufrief, Hitlers Arbeit zu vollenden, hörte man keinerlei Proteste im Westen. Und wenn regelmässig antisemitische Karikaturen in den Nachrichtenblättern der islamischen Welt veröffentlicht werden, gibt es keine wütenden Reaktionen der Juden. Muslime wurden nicht mit Steinen beworfen. Auch hat man bei uns noch nie etwas von einem „Angriff auf unsere Ehre“ gehört. Als jedoch die Mohammed-Karikaturen in Dänemark veröffentlicht wurden, traten sie weltweit eine Lawine blutiger Proteste los. Dutzende Menschen wurden getötet. Konsulatsgebäude wurden in Brand gesetzt. Schliesslich hatte es „einen Angriff auf ihre Ehre“ gegeben.

Aktuell sind es die Metalldetektoren, die die islamischen Gemüter erhitzen. Wahr ist, dass es sich dabei um eine Massnahme der Terrorprävention handelt. Wahr ist, dass sie die Hauptopfer des Terrors sind. Wahr ist, dass die Idee, die Metalldetektoren aufzustellen, aufkam, nachdem drei Dschihadisten den Tempelberg mit Waffen betreten hatten. Und wahr ist auch, dass es wieder passieren könnte. Aber all das zählt nicht. Wieder einmal muss das Argument des „Angriffs auf unsere Ehre“ herhalten.

In der Stadt Mekka in Saudi-Arabien gibt es ähnliche Bedenken. Dort hat man mittlerweile 5.000 Videoüberwachungskameras installiert. Jeder Augenblick wird aufgezeichnet. Jedem Verdacht wird nachgegangen. Mehr noch, das für die Sicherheit zuständige Unternehmen, G4S, ist ein britisches Unternehmen. Eine der Sicherheitsmassnahmen besteht darin, dass jedem der Millionen Pilger ein elektronisches Armband für die gesamte Dauer seines Aufenthalts im Königreich angelegt wird, das den Behörden ermöglicht, jeden einzelnen von ihnen zu überwachen. Die Briten haben die Kontrolle über die Informationen. Dies hat jedoch die Pilgerreisen nicht beendet. Vielleicht sollte Israel, anstatt Metalldetektoren aufzustellen, klarmachen, dass jede Massnahme, die an der heiligsten Stätte der Muslime zumutbar ist, auch an deren drittheiligster Stätte verwendet werden darf.

Keine Friedensaktivisten

Das Traurige an der Sache ist jedoch, dass die Drohungen wirken. Die Metalldetektoren werden vermutlich wieder entfernt werden. Denn – neben der Kooperation zwischen der Fatah und dem Jerusalemer Mufti, Muhammad Hussein, sowie der Aufwiegelung durch die Hamas – die wütende Reaktion ist vollkommen irrational. Der Grund dafür ist der Besetzung? Damit machen sie sich doch lächerlich. Sie sind keine Friedensaktivisten.

In einem im palästinensischen Fernsehen übertragenen Festakt sagte ein Mitglied der Fatah: „Unser Krieg mit den Nachkommen von Affen und Schweinen ist ein Religions- und Glaubenskrieg.“ Hussein, der nach ihm sprach, zitierte einhergehend mit einem Aufruf zum Töten von Juden die bekannten beleidigenden Verse, nach denen „Die Auferstehung der Toten nicht erfolgen wird, bevor ihr nicht die Juden bekämpft und tötet“. Das war war 2012. Damals gab es keine Metalldetektoren auf dem Tempelberg. Aber der Tenor ist derselbe.

Es geht nicht um die Muslime. Weit gefehlt. Aber wo sind die gemässigten Muslime? Die vernünftigen? Warum schweigen sie? Warum lassen sie diese Doppelmoral zu, die sie nach dem „Syndrom der geringen Erwartungen“ behandelt, bei dem erst einmal geringe Erwartungen von bestimmten Bevölkerungsschichten gestellt werden. Letzten Endes ist das im Grunde nichts anderes als Rassismus.

Nur wenige Menschen machen den Mund auf. Es sind die, die die Nase voll haben von diesem Rassismus. Die, die sich selbst als Gleichberechtigte sehen. Sie sind diejenigen, die sich trauen, ihre Stimme gegen die Selbsttäuschung zu erheben. Aber es gibt nur wenige von ihnen. Ab und zu sagen sie ihre Meinung, selbst in den panarabischen Medien. Einige von ihnen sind gezwungen, ein Leben in ständiger Angst oder mit dem Schutz von Bodyguards zu führen.

Wenn aus diesen wenigen Menschen eines Tages eine bedeutende Bewegung erwachsen sollte, wird dies eine wundervolle Neuigkeit für die Welt im Allgemeinen und die Muslime im Besonderen sein. Wenn nicht, dann hat das nichts mit der Besetzung zu tun. Es hat mit Rassismus zu tun und damit, dass sich Muslime selbst zu Minderwertigen machen. Und solange dieser Selbst-Rassismus weitergeht, so lange wird es auch mit der Minderwertigkeit weitergehen.

Nach dem Attentat auf dem Tempelberg äusserten Knesset-Abgeordnete der Vereinten Liste und Vertreter des Arabischen Hohen Komitees schwache Kritik.  Sie lehnen Gewalt ab. Wie nett von ihnen. Dann jedoch kam das „Aber …“, mit dem die gesamte Verantwortung Israel zugeschoben wurde. Wir sind dagegen, sagten sie, aber wegen der Besetzung. Der Teil, der den Vorbehalten gewidmet war, machte vielleicht ein Zehntel oder ein Fünftel ihrer Stellungnahme aus, während sich der Grossteil des Textes mit der Rechtfertigung „des legitimen Widerstands gegen die Besetzung“, bla, bla, bla … beschäftige. Mit anderen Worten, man nutzte die Gelegenheit nicht, um Gewalt zu verurteilen. Es war eine weitere Gelegenheit, um etwas gegen Israel vorzubringen.

„Aber…“

Die Reaktionen der führenden Vertreter der arabischen Öffentlichkeit erinnern mich an die Reaktionen intellektueller Vertreter der „Kräfte des Fortschritts“ – wenngleich nicht aller, aber vieler – nach dem Anschlag auf die Büros der Satirezeitung Charlie Hebdo. Auch sie äusserten sich gegen Gewalt. Und dann kam das „Aber…“, das in einer Anklage gegen den Westen bestand, gegen die Bombardements im Irak, in Syrien, in Afghanistan. Kurzum, es war die Schuld des Westens. Die Terroristen hatten gar keine andere Wahl, als zu reagieren. Die Reaktionen von Noam Chomsky, der Galionsfigur der Kräfte des Fortschritts der freien Welt, und Tariq Ramadan, dem bekannten Sprecher der europäischen Muslime, fallen beide unter die selbe Rubrik.

Salman Rushdie nannte diese Interviewten die „Aber-Brigade“. Sie kommen mit einer schwachen Verurteilung, um ihrer Pflicht zu genügen, und dann warten sie unmittelbar mit dem „Aber …“ auf, gefolgt von einer ganzen Reihe von Rechtfertigungen.

Es scheint keinen Unterschied zu geben zwischen den Reaktionen auf den Terroranschlag in Paris und den Reaktionen auf den Terroranschlag auf dem Tempelberg. Es ist eine Krankheit, an der viele leiden.

Ben-Dror Yemini ist Jurist, Wissenschaftler und Kolumnist der israelischen Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“. Auf Englisch zuerst erschienen bei Yedioth Ahronoth.