Jerusalem – Eskalation mit Ansage

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Israelische Sicherheitskräfte auf dem Tempelberg. Foto: Israel Police
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Wenn Menschen zu Hass erzogen werden bedarf es nur eines geringen Anlasses, sie zu Gewalttaten zu verleiten. Keine Region ist in Europa so regelmässig in den Schlagzeilen wie der Nahe Osten. In der Krisenregion brodelt es derzeit wieder: Mit dem steigenden Einfluss des Iran in Syrien und Gaza werden auch die palästinensischen Bestrebungen nach einer zumindest zeitweilig friedlichen Koexistenz mit den israelischen Nachbarn zur Farce.

 

von Dr. Nikoline Hansen

Wie u.a. die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete, hatte die Hamas im Februar Jahia Sinwar in Gaza zum „Premierminister“ gewählt – eine Persönlichkeit, die vom Konflikt mit Israel geprägt ist: Geboren 1962 im Flüchtlingslager Khan Yunis, wegen Mord an zwei israelischen Soldaten verurteilt, im Gefangenenaustausch gegen Gilad Shalit nach 22 Jahren Haft freigelassen und an keinem Frieden mit Israel interessiert. Diese Situation sowie die Anwesenheit iranischer Truppen in Syrien setzt die Nachbarn, insbesondere die schwächelnde Fatah unter Mahmud Abbas im Westjordanland, stark unter innenpolitischen Druck.

Die Schlagzeilen der deutschsprachigen Medien sprechen für sich: „Streit um Tempelberg eskaliert“ titelt die Tagesschau, „Gewaltexplosion nach Gebeten am Tempelberg“ lesen wir bei t-online und die Welt schreibt über „Die gefährliche Eigendynamik im ewigen Streit um den Tempelberg“. Dabei kamen die gewaltsamen Auseinandersetzungen beim Freitagsgebet am 21. Juli keinesfalls überraschend. Eine Woche zuvor hatten drei Attentäter am Löwentor in der Nähe des Tempelbergs zwei israelische Polizisten ermordet und anschliessend versucht, auf den Tempelberg zu fliehen um den israelischen Sicherheitskräften zu entkommen. Diese verfolgten die Attentäter, erschossen sie und durchsuchten das Areal nach Waffen. Wie erwartet wurden sie fündig und erstmals seit den Unruhen im Jahr 2000 sperrten sie deshalb den Zugang zum von der jordanischen Waqf-Stiftung verwalteten Areal und verhinderten so das Freitagsgebet in der Al-Aksa Moschee auf dem Tempelberg.

In der Folge riefen der Mufti von Jerusalem und die Fatah dazu auf, zum Tempelberg zu gehen. Am Dienstag, dem 18. Juli kam es zu Unruhen, weshalb die israelische Armee in Alarmbereitschaft versetzt war und am folgenden Freitag den Zugang einschränkte. Zudem installierte sie Metalldetektoren um das neuerliche Einschmuggeln von Waffen auf den Tempelberg zu verhindern – wie der Name sagt liegt die Al-Aksa Moschee auf einer Anhöhe, einem Berg, deren unterer Teil die Klagemauer ist, die besonders an Schabbat von gläubigen Juden aufgesucht wird, was die strategische Problematik der Situation vor Ort zeigt: Es ist der Platz, an dem Juden und Muslime in unmittelbarer Nachbarschaft beten. Die aus dieser Situation resultierende Spannung entlädt sich regelmässig in Gewaltexzessen, lediglich die teilweise massive Polizeipräsenz in der Jerusalemer Altstadt verhindert Schlimmeres.

Die Tagesschau berichtete am 21. Juli 2017 unter der Überschrift „Tote und Verletzte nach Freitagsgebet“, dass Tausende Muslime aus „Protest gegen die verschärften Sicherheitsvorkehrungen am Tempelberg“ auf der Strasse gebetet hätten: „Als Auslöser der Unruhen gilt ein Streit um Metalldetektoren, die Israel nach einem tödlichen Anschlag am Tempelberg an Eingängen zu der heiligen Stätte in Jerusalems Altstadt aufgestellt hatte. Zudem war muslimischen Männern unter 50 Jahren der Zugang zur Altstadt und zum Tempelberg für das Freitagsgebet untersagt worden.“ Bei den darauf folgenden Auseinandersetzungen starben drei Menschen, etwa 400 wurden verletzt.

Schuldzuweisungen bleiben einseitig

Es ist ein Symptom insbesondere der deutschen Medien, über den Konflikt ohne differenzierte Betrachtung der Hintergründe zu berichten. Die Schuldzuweisungen bleiben einseitig: So wird Scharons Besuch des Tempelbergs im September 2000 zum „Funke, der die zweite Intifada mitentfachte, den blutigen Aufstand der Palästinenser. Und auch in den Jahren 2014 und 2015 kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, weil radikale jüdische Gruppen immer wieder versuchten, auf den Tempelberg zu gelangen, um dort zu beten“ (Lissy Kaufmann am 21.07.2017 im Tagesspiegel). Die Schuld an der Eskalation wird in der gegenwärtigen Situation in der „Besetzungs- und Siedlerpolitik“ Israels gesucht, nicht in dem politischen Machtkampf, der sich in der arabischen Welt abspielt, insbesondere dem Vormachtstreben des Iran, der nach wie vor die Vernichtung Israels nicht aus seiner Agenda gestrichen hat, sondern im Gegenteil jedes Jahr mit dem „Al Quds Tag“ den muslimischen Anspruch auf die alleinige Herrschaft in Jerusalem einfordert. Das sind keine guten Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten, egal welche Politik Israel betreibt.

Innenpolitisch hatte Mahmud Abbas deshalb kaum eine andere Wahl als zu einem „Tag des Zorns“ aufzurufen. Damit einhergehend folgte offiziell der Abbruch der Kontakte zu Israel solange „bis die Besatzungsmacht Israel die Massnahmen aufhebe“ (tagesschau, 21. Juli).

Testlauf im Machtspiel um Jerusalem

Unter der Überschrift „Sechs Tote nach Streit um Tempelberg“ berichtet Benjamin Hammer am 22. Juli 2017 aus dem ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv auch über die Ermordung von Mitgliedern einer jüdischen Familie im Westjordanland, um dann vor den Berichten über weitere Auseinandersetzungen festzustellen: „Damit sind am Freitag drei Israelis und drei Palästinenser getötet worden.“ Fast kann man für dieses implizite „Unentschieden“ dankbar sein, denn die meisten anderen Medien verschweigen die bestialische Ermordung der jüdischen Familie. Der Bericht fährt allerdings fort mit den israelischen Sicherheitskontrollen in Jerusalem: „Aus Sicht der Palästinenser wurde mit dieser Massnahme eine rote Linie überschritten. Sie befürchten, dass Israel das Areal mit den heiligen Stätten noch stärker unter seine Kontrolle bringen will. Bisher verwaltet eine islamische Stiftung den Hügel und die Palästinenser haben dort relativ viel Freiheit.“ Die israelische Regierung versichert, dass sie an der Verwaltung des Areals durch die jordanische Waqf-Stiftung nichts ändern wolle – der „Zorn“ ist also ein weiterer Testlauf im Machtspiel um Jerusalem und die Verwendung des Wortes „bisher“ erzeugt einen falschen Eindruck der Situation.

Lizzy Kaufmann schreibt am 23. Juli im Tagesspiegel: „Der Nahe Osten wird von Gewalt erschüttert – wieder einmal: Ein Palästinenser hat am Freitag drei Israelis erstochen, bei Demonstrationen kamen Medienberichten zufolge vier Palästinenser ums Leben. Auslöser sind Metalldetektoren, die Israel als Reaktion auf eine Terrorattacke am Tempelberg installiert hat. Die aufgeheizte Stimmung verheisst nichts Gutes für die nächsten Monate.“ Und weiter: „Am Tempelberg, einem der heikelsten Orte der Welt, geschichtsträchtig und religiös umstritten, bedeutet jede noch so winzige Veränderung Risiko für Unruhen. Selbst einfache Metalldetektoren haben hier enorme Symbolkraft. Muslime sehen darin eine Veränderung des fragilen Status quo, der seit Israels Eroberung von Ostjerusalem 1967 besteht“. Nicht nur schafft sie es, mit dieser Vermischung der Ereignisse das Verhältnis der Toten wieder „zu Gunsten“ der Palästinenser auszulegen, darüber hinaus schiebt sie die Fragilität der Situation auf den für Israel siegreichen Ausgang des Sechs-Tage-Kriegs, in den einzutreten sich Israel angesichts der Bedrohung durch seine Nachbarn genötigt sah. Wie ihr Kollege erweckt sie den Eindruck, Israel wolle etwas an diesem Status zu Ungunsten der Palästinenser ändern. Über den Mord an der jüdischen Familie schreibt sie: „Die Tat ist bislang grausamer Höhepunkt der blutigen Auseinandersetzungen der vergangenen Tage. Familien wie die Salomons haben natürlich eigentlich nichts mit Metalldetektoren zu tun. Doch der Hass der Palästinenser richtet sich undifferenziert und schonungslos gegen alle Israelis. Taten wie diese werden in der muslimischen Gesellschaft als heldenhafte Verteidigung des Tempelberges und der Ehre gesehen.“ Eigentlich? Und woher stammt dieser Hass? Was hat „Ehre“ damit zu tun?

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes äusserte sich am 22. Juli zu den Vorfällen :

„Wir verurteilen die heimtückische Ermordung von drei Mitgliedern einer israelischen Familie im besetzten Westjordanland. Auch die gewaltsamen Auseinandersetzungen, die drei Menschenleben und so viele Verletzte gefordert haben und die Ost-Jerusalem und andere Orte des Westjordanlands erschütterten, verurteilen wir. Gewalt gegen Menschen ist durch nichts zu rechtfertigen. Wir trauern mit den Familien der Opfer und sind in Gedanken bei den Angehörigen. Wir rufen alle Seiten auf, ihren Beitrag zu leisten, die Situation zu de-eskalieren, und nicht denjenigen das Wort zu überlassen, die zur Gewalt aufrufen oder diese in Kauf nehmen. Es ist dringend nötig, Gesprächskanäle nicht abreissen zu lassen und den Parteien Raum zu geben, zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen, die – unter Wahrung des Status Quo am Tempelberg/Haram al-Sharif – den Sicherheitsbedürfnissen aller Seiten und der Bedeutung der heiligen Stätten für die drei monotheistischen Religionen Rechnung trägt.“

Es stellt sich die Frage was der Sprecher mit „Wahrung des Status Quo“ meint.

„Wie raus aus der Gewaltspirale?“ titelte die Tagesschau am vergangenen Sonntag und zeigt dazu ein durch die Perspektive ausgesprochen heroisch wirkendes Bild eines sehr jungen Palästinensers, der eine Tränengasgranate wirft, „die zuvor von israelischen Sicherheitskräften abgefeuert worden war“. Das gewohnte Bild des Konflikts aus deutscher Perspektive ohne Nachrichtenmehrwert.

Die Verdrehung in der Berichterstattung verselbständigt sich weiter. So schreibt die Heilbronner Stimme am 23.7.: „Als Auslöser der Unruhen galt die Installation von Metalldetektoren am Tempelberg, der Muslime und Juden heilig ist. Israel hatte sie nach dem Anschlag dreier Muslime aufgestellt, bei dem am 14. Juli zwei israelische Polizisten getötet worden waren.“

Wie die Bundesregierung zeigt sich auch die UN besorgt und mahnt beide Seiten zur Mässigung. Am Montag wird auf Antrag von Schweden, Ägypten und Frankreich der Sicherheitsrat der UN zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Es stellt sich die Frage, was dabei heraus kommen kann. Bereits am 21. Juli hatte eine internationale Zusammenkunft des „Komitees für die unveräusserlichen Rechte des palästinensischen Volkes“ in Baku ein Kommuniqué verfasst, in der die Schliessung der Al-Aksa Moschee am 14. Juli und die „Einschränkungen des Zugangs im Zusammenhang mit der seit 50 Jahren anhaltenden Besatzung“ verurteilt wurden. Einmal mehr wurde eine Parallele zwischen der Situation der Palästinenser und den „ehemals besetzten Völkern in Afrika und anderswo in der Welt“ gezogen. Zuvor hatte der Vertreter des Gastlandes Shahin Abdullayev (Aserbaidschan) die Hoffnung geäussert, dass das Treffen dazu beitragen würde den Weg für eine Resolution zur Jerusalemfrage zu ebnen, indem er betonte, dass Jerusalem nicht nur dem palästinensischen Volk sondern der gesamten arabischen und islamischen Welt gehöre. Es bleibt zu hoffen, dass vernünftige Stimmen diesem absurden Treiben einen für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiss entgegen setzen um die Lage zu entspannen. Nachdem eine am Sonntag aus Gaza abgefeuerte Rakete bereits so frühzeitig explodierte, dass in Israel noch nicht einmal Alarm ausgelöst wurde, bleibt zu hoffen, dass der letzte Gazakrieg 2014 mit der Zerstörung der Tunnel und Waffenarsenale eine effektive Kriegsoffensive der Hamas zumindest aus diesem Gebiet heraus in absehbarer Zeit unmöglich gemacht hat.

Darüber hinaus wird es eine wichtige Aufgabe sein, die Menschen in der Region von den Vorteilen einer friedlichen Koexistenz zu überzeugen. Das gilt auch für das Zusammenleben der Religionen in Jerusalem.

Nikoline Hansen ist Literatur- und Kommunikationswissenschaftlerin.

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2 Kommentare

  1. Ich kann dem Kommentar von Nussknacker56 100% beipflichten, er nennt die Dinge wie sie tatsächlich sind! Vielleicht noch eine kleine Anmerkung meinerseits, ich vermute dass gewisse Leute in der deutschen Medienszene heute immer noch ein wenig mit dem “tausendjährigen Reich” infiziert sind…

  2. Falls palästinensische Judenmörder jemals nach passenden „Begründungen“ für das Ausleben ihrer Hasskultur suchen sollten: Vor allem in der deutschen Presselandschaft, aber auch von etlichen Parteienvertretern aus der Linken und SPD werden sie mit entsprechenden „Argumenten“ auf das Beste bedient. Die Souffleure und Relativierer von Spiegel, SZ, Stern und provinzielle Ableger wie FR oder KStA impfen ihre Leserschaft seit vielen Jahren mit entsprechenden „Informationen“.

    Nein, es gibt keine „Lügenpresse“. Aber es gibt eine Presse, ÖR-Anstalten und Journalisten, die – entgegen ihrem behaupteten Anspruch – keine Skrupel haben, Partei für sogenannte „Freiheitskämpfer“ zu ergreifen, obwohl es sich bei ihnen ausnahmslos um pathologische Killer handelt, und die bei der systematischen Ausgrenzung und Diffamierung von Israelis bzw. dem jüdischen Staat aktiv und gezielt mitzuarbeiten.

    Ausgerechnet in der BILD-Zeitung findet sich ein Kommentar von Julian Reichelt, der das präzise auf den Punkt bringt: „Über kein Land, das unter ständigem Terror leidet, wird in Deutschland so zynisch, eiskalt und herzlos berichtet wie über Israel.“

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