Intelligente Puppen zur Rettung von Israelis und Palästinensern

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Foto IDF
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Es ist frühmorgens in der West Bank, und alles scheint friedlich. Plötzlich Chaos. Schreie, Blut, Körper liegen verstreut am Boden. Die vor Ort stationierten Mediziner der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) eilen umgehend zur Stelle und leisten erste Hilfe. Das typische Schreckensszenario nach einem Terroranschlag?

Diesmal glücklicherweise nicht! Es handelt sich vielmehr um ein Trainingsszenario, bei der das medizinische Team der für Jenin und Tulkarm zuständigen Territorial Brigade übt, wie man Traumapatienten am besten und schnellsten behandelt. Die Verletzten sind denn auch weder Soldaten, noch Zivilisten, sondern intelligente Patientensimulatoren. Yvette Schwerdt sprach für Audiatur-Online mit Hauptmann Tal Weizman über das innovative Trainingsprogramm, das sie federführend mitverantwortet.

Yvette Schwerdt: Was sind Patientensimulatoren?

Tal Weizman: Es handelt sich um intelligente Puppen, die physiologische Körperfunktionen und Reaktionen simulieren können. In unserem Programm verfügen wir derzeit über vier weibliche und vier männliche Patientensimulatoren, die atmen, schreien, bluten  und sich übergeben können. In ihrem Nacken und Handgelenk schlägt ein Puls, und ihre Pupillen können sich beliebig erweitern, etwa um ein Gehirntrauma zu simulieren. Die Puppen agieren also wie Menschen und machen damit die Trainingsübung sehr realistisch.

Seit wann läuft dieses medizinische Trainingsprogramm?

Die Übungen mit Patientensimulatoren gibt es bereits seit einiger Zeit. Aber seit knapp einem Jahr haben wir die Puppen und die gesamte Ausrüstung nun bei uns am Stützpunkt vorliegen. Unsere Mediziner müssen nämlich vor Ort bleiben, weil hier leider jederzeit etwas passieren könnte. Deshalb führen wir auch die Übungen bei uns durch.

Was genau ist das Ziel der Übungen?

Das Programm wurde speziell für Militärmediziner im Kampffeld konzipiert und basiert auf Vorfällen, die tatsächlich stattgefunden haben. Wir lernen also aus der Vergangenheit, um unsere Teams optimal auf alle möglichen Begebenheiten in der Zukunft vorzubereiten.

Welche Vorteile bringen die Patientensimulatoren?

In erster Linie Realitätstreue. Sicher, die theoretische Ausbildung ist wichtig. Sie lässt sich aber nicht mit dieser Art von praktischem Training vergleichen. Deshalb sagen uns auch viele Übungsteilnehmer, dass diese Drills das Beste sind, das ihnen passieren konnte. Hier werden sie nämlich mit den echten Konditionen vor Ort konfrontiert, und lernen trotz Stress und Chaos, die richtigen Entscheidungen zu treffen, und die erforderlichen Rettungsmaßnahmen zu setzen.

Sollten Ärzteteams das nicht in jedem Fall können?

Doch natürlich schon. Aber das Training mit Patientensimulatoren bietet viele, wertvolle Vorteile. An echten Patienten und Verletzten kann man keine Probemaßnahmen vornehmen. Man kann sich auch keine Fehler erlauben. Bei den Puppen ist das anders. Wenn ein Trainingsteilnehmer zum Beispiel einen Simulator intubiert, hört er gleich seine Lunge ab und merkt ob er den Tubus richtig gesetzt hat. Sein Trainer verfolgt alles über Bildschirm und kann ermitteln, ob der Puls und die Atmung besser geworden sind, sprich ob die Aktion erfolgreich war. Gleichzeitig wird alles gefilmt und die Teilnehmer können am Ende des Drills ihre Handlungen selber nachverfolgen.

Wie läuft eine typische Trainingsübung ab?

Die Teilnehmer wissen, dass die Übung an einem bestimmten Tag stattfindet. Um welche Vorfälle, sprich welche Art von Verletzungen es aber konkret geht, das wissen sie nicht. Am Vormittag erhalten sie dann drei Unterrichtsstunden, bei der jeweils ein spezifisches Thema erörtert wird. Nachtmittags erfolgen drei Drills mit Patientensimulatoren, bei dem sie das Gelernte praktisch einsetzten können.

Wie häufig wird das Training abgehalten?

In den letzten sechs Monaten hatten wir rund 10 Trainingstage, wobei an jedem dieser Tage  drei medizinische Teams trainiert worden sind

Wie sieht es mit den Ergebnissen aus? Gibt es messbare Resultate?

Wir sehen enorme Verbesserungen in der Qualität der medizinischen Versorgung und in den Reaktionszeiten. Quantifizieren lassen sich diese Ergebnisse aber nur schwer, weil jeder Zwischenfall, jeder Patient, und jede Verletzung eigene Charakteristiken aufweisen. Die Heilungs- oder Überlebenschancen hängen von so vielen, unterschiedlichen Faktoren ab.

Generell sind uns aber zwei deutliche Verbesserungen aufgefallen. Erstens: die Zusammenarbeit und Koordination innerhalb des Teams. So wissen die Teilnehmer beispielsweise, wie lange eine bestimmte Handlung dauert, und das gesamte Team kann sich darauf einstellen. Damit lassen sich weitere erforderliche Maßnahmen zeitnah durchführen.

Zweitens haben wir festgestellt, dass die Teilnehmer im Laufe des Trainingstags immer mehr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Je öfter sie sich nämlich mit den besonderen und realitätsgetreuen Umständen eines Zwischenfalls auseinandersetzen, desto ruhiger und sicherer wird ihr Verhalten. Zudem verbessert sich auch ihr Selbstverständnis. Denn wenn sie ihre Handlungen auf Kamera nachverfolgen und merken, dass sie auch im Stress richtig gehandelt haben, gewinnen sie Sicherheit.

Die Übungen mit Patientensimulatoren vermitteln also wichtige, realitätsnahe Lektionen. An der Praxis mit realen Zwischenfällen fehlt es den IDF-Militärmediziner aber doch ohnehin nicht?

Ja das stimmt leider. Viele Menschen, sowohl Israelis als auch Palästinenser, wurden in den letzten Jahren verwundet. 

Ist es richtig, dass die IDF in der medizinischen Behandlung der Verwundeten keinen Unterschied zwischen Freund und Feind macht?

Ja. Wir leisten einen Schwur, der besagt, dass wir jedem Verletzten und jedem Kranken helfen werden, ob er nun ein Freund oder ein Feind, ein Opfer oder ein Täter ist. Wir kommen deshalb immer wieder von allen Seiten ins Kreuzfeuer. Von palästinensischer Seite werden wir zuweilen kritisiert, dass wir Terroristen oder mutmaßliche Terroristen nicht rasch genug behandeln. Von israelischer Seite wirft man uns manchmal genau das Gegenteil vor, nämlich, dass wir die Angreifer häufig vor den Angegriffenen behandeln. Unsere Vorgabe lautet aber, Patienten nach der Schwere ihrer Verletzung und nicht nach der Natur ihrer Gesinnung oder ihrer Religion zu priorisieren.

Generell kann ich sagen, dass unsere innovativen, medizinischen Trainingsprogramme mehr Palästinensern als Israelis zugute kommen. Letzte Woche, etwa, haben wir eine palästinensische Terroristin mit unserer modernen Ausrüstung behandelt. Danach haben wir sie mit einer israelischen Ambulanz in ein israelisches Spital transportiert, weil wir wussten, dass sie dort die beste Behandlung bekommt.

Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?

Wir wollen das Trainingsprogramm mit den Patientensimulatoren erweitern und künftig noch intelligentere Puppen einsetzten.

Bleibt lediglich zu hoffen, dass sich die Behandlungen auf eben diese intelligenten Puppen beschränken werden können.

Vielen Dank, Frau Weizman, für dieses Gespräch.

Über Yvette Schwerdt

Yvette Schwerdt ist internationale Marketingexpertin und Wirtschaftsjournalistin. Sie schreibt und referiert regelmäßig über neue Trends und Entwicklung in ihrem Fachbereich. Besonders am Herzen liegen ihr auch die Themen Israel, jüdische Geschichte und jüdische Kultur. Yvette ist, aufgrund ihrer mehrsprachigen, multikulturellen Ausbildung und ihrer internationalen Laufbahn, in Israel, Amerika und im deutschsprachigen Raum gleichermaßen zu Hause.

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