ARD zeigt „Auserwählt und Ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa“

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"Al Quds" Tag 2016 in Berlin. Foto Frederik Schindler
"Al Quds" Tag 2016 in Berlin. Foto Frederik Schindler
Lesezeit: 10 Minuten

Eigentlich kann man dem deutsch-französischen Fernsehsender Arte dankbar sein: Wäre der Film „Auserwählt und Ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa“ regulär ausgestrahlt worden hätte ihn vielleicht ein kleines Publikum mit Befriedigung zur Kenntnis genommen und einige andere hätten sich gestört gefühlt durch die Präsentation eines Dokumentarfilms, der ihr Weltbild ausnahmsweise einmal nicht bestätigt sondern Aspekte des Antisemitismus zeigt, die in weiten Kreisen in Europa nicht beziehungsweise nur sehr ungern zur Kenntnis genommen werden.

von Dr. Nikoline Hansen

Es kam anders: Der Film wurde zwar von der zuständigen Redakteurin abgenommen aber nicht gesendet. Das kommt gelegentlich vor, trotzdem verwundert es in diesem Fall, da alle Vorwürfe unkonkret im Bereich der Spekulation bleiben oder leicht widerlegbar sind. So reklamiert der Sender selbst in einem Antwortschreiben an den Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland Josef Schuster „ehrenwerte und gute Gründe“ für die Nichtausstrahlung, die, wie Arte-Programmdirektor Alain Le Diberder selbst schreibt, in „Verfahrensentscheidungen, die die editoriale Qualität und Verantwortung sicherstellen“ zustande gekommen seien (Jüdische Allgemeine am 08.06.2017). Offensichtlich war dem Sender die Schwerpunktsetzung des Films, der sehr deutlich die gegenwärtig in Europa verstärkt wieder aufflammenden antisemitischen Ressentiments durch palästinensische Propaganda reflektiert unangenehm.

Sensibles Thema

Die Dokumentation schreckt auch nicht davor zurück, junge Deutsche zu zeigen, die der Ansicht sind, dass die gefälschten „Protokolle der Weisen von Zion“ wenn es sie nicht schon gäbe hätten erfunden werden müssen. Angesichts des mit grossem Propagandaaufwand jährlich in Berlin durchgeführten Qudstags, der dieses Jahr für den 23. Juni wieder auf dem Kurfürstendamm angekündigt wird, ist das kein Wunder – wenn es um Antisemitismus geht funktioniert die Zusammenarbeit zwischen der europäischen und der arabischen Welt reibungslos, und das gelingt es Joachim Schröder und Sophie Haffner zu dokumentieren. Das entsprach wohl nicht den Vorstellungen der Auftraggeber, wie der evangelische Pressedienst (epd) in einem Artikel unter der Überschrift „Sensibles Thema“ bereits am 19. Mai meldete: „Nach Auskunft von Arte entspricht der produzierte Film nicht dem vereinbarten Projekt. „Vereinbart war ein von zwei Koautoren erstelltes Panorama des Antisemitismus heute in Europa. Zum Grossteil spielt aber der von einem einzigen Autor erstellte Film zwischen Berlin und dem Nahen Osten. Zum Inhalt des Films möchten wir uns nicht weiter äussern.“

Das stimmt so nicht: Ein weiterer Schwerpunkt des Films liegt auch in Frankreich und eröffnet wird er mit einem Ausschnitt aus der Rede von Mahmud Abbas vor dem europäischen Parlament, in dem er israelischen Rabbinern vorwirft, Brunnenvergiftung zu betreiben – das Wasserthema ist ja ein beliebtes Motiv, das in Europa seit dem Mittelalter immer wieder für antisemitische Hetze benützt wurde. Insofern verwundert es nicht, dass die Palästinenser sich immer wieder gerne darauf beziehen und es –  wie der Film ebenfalls zeigt, offensichtlich sehr erfolgreich – für ihre eigene Propagandazwecke in Europa nutzen. An dieser Stelle zeigt sich der Film erfrischend unkommentierend – und ihm pro-israelische Propaganda vorzuwerfen ist angesichts der historischen Bezüge, die er eingangs setzt und in denen er die Wirkungsweise dieser Propaganda analysiert, wohl die einzige Möglichkeit, sich gegen ein derart schlüssiges Narrativ zu wehren.

So lässt der Deutschlandfunk am 15.6.2017 die Journalistin und frühere Nahostkorrespondentin der Frankfurter Rundschau Gemma Pörzgen zu Wort kommen:

„Ich habe mir natürlich auch neugierig diesen Film angeguckt nach der ganzen Debatte und war dann doch sehr erschreckt, dass er noch viel schlechter ist, als ich es ursprünglich gedacht hatte. Er hat einfach eine sehr klare propagandistische Linie und zeigt aus meiner Sicht eben diese ganze Thematik sehr einseitig, indem er sehr gezielt bestimmte Gesprächspartner auswählt, andere weglässt und eben eine ganz klare Zielrichtung hat. Wenn man mit Kollegen spricht, die vor Ort ein bisschen mitbekommen haben, wie diese Dreharbeiten gelaufen sind, bestätigt sich dieser Eindruck. Da kamen Leute, die hatten ganz Festes vor, und das haben sie eben umgesetzt.“

Auf die Frage, was sie vor hatten antwortet sie:

„Sie hatten meiner Ansicht nach vor, Dinge sehr stark zu vermischen.“

Vermischen? Ganz offensichtlich haben sie ein komplexes Thema angepackt und sehr ausführlich und von Seiten beleuchtet, die in Deutschland gewöhnlich tabuisiert werden. Sie zeigen eine Perspektive, die üblicherweise in den deutschen Medien nicht präsent ist. Für Pörzgen „lenkt das eben sehr ab vom eigentlichen Thema, mit dem wir uns in Europa beschäftigen sollten“. Leider versäumt es der Redakteur nachzufragen was sie damit meint, stattdessen erwähnt er, dass 200.000 Menschen den Film gesehen haben, darunter sicher aber nicht alle Zuhörer, und deshalb bittet er sie, ein Beispiel für die Einseitigkeit zu nennen. Das folgt prompt – in Gaza wird nämlich das gezeigt, was üblicherweise im deutschen Fernsehen nicht gezeigt wird: „Man hat natürlich Luxushotels, es gibt Sushi-Bars, aber es gibt eben auch sehr viel Elend. Und dieses Elend zeigen die überhaupt nicht.“

Das Elend der Besatzungspolitik

Das ist logisch, denn das Thema ist ja gerade einmal nicht „das Elend der Besatzungspolitik“ sondern der Versuch, ein falsches Bild gerade zu rücken, das den Antisemitismus in Europa nährt. Da darf man durchaus auch einmal „einseitig“ sein. Die Autoren haben versucht, diese geballt anderen Informationen kurzweilig aufzulockern, indem sie  – durchaus legitim – sich selbst ins Bild gesetzt haben. Pörzgen empfindet dies als „aufgeregten Stil“. Das Interview endet mit der Bemerkung: „Es ist traurig, dass ausgerechnet die „Bild“-Zeitung diesen Film jetzt in dieser Breite so lanciert.“

Anspruchsvoller, wichtiger Beitrag zur Aufklärung über den grassierenden Antisemitismus

In der Tat war es einer Aktion der Bildzeitung, die den „geleakten“ Film 24 Stunden online stellte, zu verdanken, dass er einem breiteren Publikum zugänglich gemacht wurde – 200.000 Zuschauer in 24 Stunden sind schon ein beachtlicher Erfolg. Ganz anders als Pörzgen im Deutschlandfunk beurteilt das Jörg Taszman im Mitteldeutschen Rundfunk mdr. Nach einer umfänglichen Diskussion darüber, ob Bild gegen Urheberrechte verstossen habe und der Feststellung, dass man es bei Arte „zur Kenntnis nehme und juristisch nichts in den Weg legen“ würde, lobt Taszman die umfangreiche Recherche und die Tatsache, dass der Film „mal was erzählt, was wirklich nicht so bewusst ist“: „Informationslücken, auf die der Film einfach mal aufmerksam macht“. Er sei polemisch, sarkastisch und pro-jüdisch, aber „das allein ist noch kein Grund ihn nicht zu zeigen“. Auch die Frankfurter Rundschau scheint inzwischen eine andere Meinung als ihre frühere Nahostkorrespondentin zu vertreten. Christian Bommarius schreibt dort über die Dokumentation:

„Sie ist unausgewogen im besten Sinne. Sie ist unausgewogen, weil sie entschieden gegen den Antisemitismus Partei ergreift. Sie ist unausgewogen im besten Sinne, weil sie linke und rechte, arabische und europäische Antisemiten zu Wort kommen lässt, die sich damit selbst als Antisemiten überführen. Die Dokumentation ist ein anspruchsvoller, wichtiger Beitrag zur Aufklärung über den grassierenden Antisemitismus. Umso verstörender ist die Zensur des Arte-Programmdirektors, der die Ausstrahlung verhindert, und umso verdienstvoller die Entscheidung der Bild-Zeitung, ihn der Öffentlichkeit nun doch noch zugänglich zu machen.“

Auf Nachfrage des epd, ob der Film Arte zu israelfreundlich und zu islamkritisch sei, hatte Arte im Mai geantwortet: „Mit einer inhaltlichen Wertung über die Qualität des Films oder den darin vertretenen Standpunkt (sic!) hat die Entscheidung nichts zu tun.“ Was also dann? Die Diskussion hat erfreulich hohe Wellen geschlagen und sie zeigt, dass es in einer aufgeklärten Gesellschaft im Rahmen der Presse- und Meinungsfreiheit Chancen gibt, Stereotypen zu durchbrechen und erfolgreich gegen Vorurteile anzugehen, auch wenn es ein langer und schwieriger Weg ist.

Gespaltene Presselandschaft

Es zeigt sich in dieser Diskussion auch einmal mehr, dass die deutsche Presselandschaft wenn es um Israel und um Antisemitismus geht zutiefst gespalten ist. Nach wie vor ist das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, eine beliebte Quelle, die auch gerne in deutschen Schulbüchern zitiert und im Unterricht eingesetzt wird, wenn es um Berichterstattung über Israel geht, sehr dezidiert in seinem Hass auf jene, die sich gegen den mehrheitlichen Einheitsblick in der deutschen Medienlandschaft zur Wehr setzen – und er unterstützt die Ausrede von Arte mit der Bemerkung, der Film habe „schlicht handwerkliche Mängel“. So schreibt Arno Frank: „Inhaltliche Schwächen, handwerkliche Fehler, redaktionelle Bedenken aller Art – wenn öffentlich-rechtliche Sender eine bestellte und gebührenfinanzierte Dokumentation nicht ausstrahlen, kann das viele Gründe haben, gute wie schlechte. Die durchtriebenste Annahme aber ist jene, mit der Bild.de für 24 Stunden einen Leak von „Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf die Juden in Europa“ präsentiert: „Der Verdacht liegt nahe“, heisst es da, „dass die Dokumentation deshalb nicht gezeigt wird, weil sie ein antisemitisches Weltbild in Teilen der Gesellschaft belegt, das erschütternd ist“.“ Durchtrieben? Eine merkwürdige Wortwahl. Die handwerklichen Mängel sieht der Autor in einem „unfertigen Produkt“. Und weiter: „Entlarvende Ausschnitte aus dem arabischen Fernsehen sind noch nicht untertitelt, maliziöse Kommentare wären womöglich noch einer weiteren Bearbeitung zum Opfer gefallen. So heisst es, nachdem Annette Groth von der Linken den Israelis mal eben die Vergiftung der Brunnen, pardon, die Einleitung toxischer Chemikalien ins Meer zum Vorwurf gemacht hat: „Schade um das schöne Mittelmeer, wir haben es so sehr gemocht“.

Oder, nach der Aussage einer wirren Protestantin auf dem Kirchentag: „Dieser Holocaust-Vergleich wurde Ihnen von ‚Brot für die Welt‘ präsentiert“. Solcher Wertungen hätte es nicht bedurft. Aber sie zeigen die Galle, die den Machern (Sophie Hafner und Joachim Schroeder) bei den Recherchen völlig zu Recht hochgekommen sein muss. Sie haben sich mit philosemitischem Elan in ein Minenfeld gestürzt – und die Minen sind alle hochgegangen.“ Wie bitte? Über Stil lässt sich debattieren, darüber wo die Minen vergraben waren allerdings nicht: Die präsentierten Äusserungen zeigen ein antisemitisches Weltbild in der Mitte der Gesellschaft, das die Autoren zurecht dokumentieren. Preview Production, die den Film von Joachim Schröder und Sophie Haffner im Auftrag von Arte produziert hat, teilt dazu am 14. Juni in einer Presseerklärung mit: „Gelegentlich wird bei unserem Film von handwerklichen Fehlern gesprochen. Das ist falsch. Die gestern geleakte Version war scheinbar die Arte Fassung ohne Untertitel, denn diese werden zweisprachig von Arte eingeblendet. Wenn Arte oder WDR oder die ARD den Film senden, dann werden alle Untertitel vorhanden sein.

Zum Vorwurf des Spiegel, „ausnahmslos alle Araber grinsen provokante Fragen orientalisch weg oder geben unkommentiert entsetzlichen (eben: antisemitischen) Quark von sich.“ Das stimmt nicht. Die sich antisemitisch äussernden Personen im Film sind bis auf eine Ausnahme – Fuad Afane, der sich völkisch auf einer Berliner Demo äussert – alles Deutsche, Franzosen und Schweizer. Der Kollege wirft uns zudem philosemitischen Elan vor. Das ist seine Übersetzung dafür, dass wir als Autoren eine Haltung haben. Er befindet sich damit in guter Tradition. Bereits Heinrich von Treitschke argumentierte gegenüber seinen nicht-jüdischen Gegnern mit der Formulierung: „philosemitischer Eifer!“.

Totschlagargument „Israel-Lobby“

Beunruhigend ist tatsächlich, wie geschichtsvergessen und ohne einen Blick auf die komplexen Zusammenhänge das Thema Antisemitismus in den Medien regelmässig präsentiert und aus der Mitte der Gesellschaft weggeleugnet wird und dass denjenigen, die sich dagegen zur Wehr setzen, ebenso regelmässig „Philosemitismus“ vorgeworfen wird oder sie seien Teil der „Israel-Lobby“. So etwas kann man auch als Totschlagargument bezeichnen um Debatten abzuwürgen und eine Person in eine bestimmte Ecke zu drängen mit der Implikation, sie sei einseitig und damit kein gleichwertiger Diskussionspartner.

Erfreulicherweise hat der massive Protest diesmal Erfolg gezeitigt: Am 16. Juni teilte das Erste Deutsche Fernsehen ARD mit, dass die Dokumentation „Auserwählt und Ausgegrenzt – der Hass auf Juden in Europa“ am Mittwoch, dem 21. Juni um 22:15 gesendet wird. Volker Herres, Programmdirektor der ARD: „Ich halte es für richtig, die umstrittene Dokumentation jetzt einem breiten Publikum zugänglich zu machen, auch und trotz ihrer handwerklichen Mängel. Nur so kann sich das Fernsehpublikum ein eigenes Bild machen. Die ja längst stattfindende öffentliche Diskussion bekommt so eine Grundlage, auf der sich jeder sein eigenes Urteil bilden kann. Im Anschluss an die Dokumentation wird auch die Gesprächsrunde bei Sandra Maischberger das Thema aufgreifen.“

Die handwerklichen Mängel waren dem WDR übrigens erst bei einer nochmaligen Überprüfung der Ablehnung durch Arte aufgefallen. In der Presseerklärung heisst es weiter: „So enthält der Film Tatsachenbehauptungen, für die es nach jetzigem Kenntnisstand des WDR keine ausreichenden Belege gibt. Auch sind Betroffene mit den im Film gegen sie erhobenen Vorwürfen nicht konfrontiert worden. Das aber gehört zu den Standards der journalistischen Arbeit. Darüber hinaus sind offenbar Persönlichkeitsrechte verletzt worden. Die Mängel der Dokumentation werden im Verlauf des Abends deshalb thematisiert und kommentiert.“ Man darf gespannt sein. Hoffentlich wird den Autoren bei dieser Gelegenheit eine ausreichende Möglichkeit eingeräumt, die ungerechtfertigten Vorwürfe zu entkräften.

Nikoline Hansen ist Literatur- und Kommunikationswissenschaftlerin.

1 Kommentar

  1. Nun war ich 12 Monate auf Alpha Centauri, komme endlich zur Erde zurück, nur um festzustellen, dass die Meinungs- und Pressefreieht noch stärker abgebaut wurde. Ich wollte mir die Originaldoku anschauen, Fehlanzeige! Überall gesperrt aus demselben fadenscheinigen Grund.
    Auch bei euch nicht mehr zu sehen. Lemmy Caution

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