Beim Evangelischen Kirchentag 2017 in Berlin tummelten sich auch allerlei Gegner Israels – teilweise sogar an prominenter Stelle. Die Verantwortlichen hatten damit jedoch kein Problem. Sie hielten das vielmehr für einen Beitrag zu Austausch und Dialog.
Deidre Berger, die Direktorin der Berliner Dependance des American Jewish Committee (AJC), hatte schon vor dem Beginn des 36. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Berlin so ihre Befürchtungen. Am «Markt der Möglichkeiten» beispielsweise, einem ganztägig geöffneten Forum mit Workshops und Informationsständen von Organisationen und Initiativen, nahm auch der Verein Flüchtlingskinder im Libanon aus dem baden-württembergischen Pfullingen teil. Dieser tourt seit neun Jahren mit seiner Wanderausstellung «Die Nakba – Flucht und Vertreibung der Palästinenser 1948» durch Deutschland – einer Schau, die Berger gegenüber dem Deutschlandfunk «sehr verhetzend und ausserordentlich einseitig und gefährlich in der Manipulation von Information» nannte. Zu Recht, denn auf den Tafeln, die auch beim Kirchentag zu sehen waren, werden die Araber respektive Palästinenser durchweg als so unschuldige wie harmlose Opfer einer generalstabsmässig geplanten zionistischen Aggression präsentiert, die in der «Katastrophe» der israelischen Staatsgründung und der angeblich a priori vorgesehenen Flucht und Vertreibung der arabischen Bevölkerung kulminiert habe. Der Ton der Ausstellung ist zwar scheinbar sachlich und vermeintlich faktenbasiert, doch sogar historisch unstrittige Tatsachen werden durch Auslassungen, Verkürzungen und Verdrehungen grob verfälscht.
Auf dem «Markt der Möglichkeiten» war auch das Ökumenische Begleitprogramm in Palästina und Israel (EAPPI) vertreten, eine Organisation, über die Deidre Berger sagt: «Wenn man schaut in ihren eigenen Angaben, was sie machen, wenn sie in Israel sind, ist es sehr klar, dass diese EAPPI eine sehr einseitige extrem pro-palästinensische Sichtweise hat. Es ist bestimmt kein ausgeglichener Versuch, Israel heute zu verstehen.» In der Tat: EAPPI unterstützt beispielsweise die antisemitische «Boycott, Divestment, Sanctions»-Bewegung (BDS), die zu einem umfassenden wirtschaftlichen, politischen, akademischen und kulturellen Boykott Israels sowie zu Kapitalabzug, Embargos und Zwangsmassnahmen gegen den jüdischen Staat aufruft. Die EAPPI-Aktivisten geben sich gerne humanitär und unparteiisch, beteiligen sich jedoch regelmässig an antiisraelischen Demonstrationen und anderen Aktivitäten zur Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates. Zudem machen sie Werbung für das Kairos-Palästina-Dokument, ein Manifest palästinensischer Christen, das im Dezember 2009 in Bethlehem veröffentlicht wurde. In ihm erscheint ganz Israel als besetztes palästinensisches Land, das es zu «befreien» gelte; schon die Gründung des jüdischen Staates im Jahr 1948 sei ein schwerer Fehler gewesen, heisst es dort.
Auf dem «Markt der Möglichkeiten» ist Antisemitismus nicht unmöglich
Ellen Ueberschär, die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, hielt Bergers Kritik gleichwohl für unbegründet. «Wir versuchen immer ein Gleichgewicht herzustellen zwischen der israelischen Perspektive und der palästinensischen Perspektive», sagte sie dem Deutschlandfunk. Für den «Markt der Möglichkeiten» könne sich «grundsätzlich jede und jeder bewerben». Die Idee dieses «Marktes» sei es, «den Austausch und den Dialog zu ermöglichen und mit den Teilnehmenden in individuelle Gespräche zu kommen». Man kontrolliere nicht, «wer sich da geschäftlich in welchen Dingen engagiert», und nehme auch «keine Gesinnungskontrolle» vor. Ausserdem fügte Ueberschär hinzu: «Wir haben keine Position zum Thema Boykott gegen Israel. Es gibt keine Position des Kirchentages zum Thema BDS. Der Kirchentag selber nimmt keine Positionen ein, sondern er ist ein offenes Forum.»
Grossscheich Ahmad Mohammed Al-Tayyeb: „Im Islam sollten unbussfertige Apostaten getötet werden; Homosexualität ist eine Krankheit.“ Quelle und Übersetzung MEMRI, The Middle East Media Research Institute
Offen für alle und alles, heisst das, auf dem «Markt der Möglichkeiten» ist auch Antisemitismus nicht unmöglich. Der Kirchentag hat da keine Position, er ist indifferent. Die einen sind eben für ein Ende Israels, die anderen dagegen, das verkauft man dann als «Gleichgewicht» der «Perspektiven». Dialog, Austausch, keine Gesinnungskontrolle – alle «Narrative» sollen gleichwertig sein, man muss über alles reden können, alle sind Gottes Schäfchen, niemand wird ausgegrenzt, auch keine Menschen, die Juden und deren Staat nicht mögen. Einen davon hatte man sogar eingeladen, um mit dem deutschen Innenminister Thomas de Maizière über religiöse Toleranz zu plauschen, den Islamgelehrten und Grossscheich Ahmad Mohammed Al-Tayyeb nämlich, Imam der Azhar-Moschee in Kairo und hohe religiöse Autorität des sunnitischen Islam. Seine «Perspektive» hat er schon im April 2002 überdeutlich werden lassen, als er sagte, dem «israelischen Terror» sei nur beizukommen mit «einer Ausweitung von Märtyrerangriffen» – also Selbstmordattentaten –, «die den Horror in die Herzen der Feinde Allahs schlagen». Die islamischen Länder und deren Führer müssen diese Anschläge unterstützen.
Ein Antisemit diskutiert über Toleranz
Auf einer Veranstaltung der Muslimbruderschaft in Kairo im November 2011 verbreitete Al-Tayyeb zudem die antisemitische Verschwörungstheorie, die Al-Aksa-Moschee werde von den Juden angegriffen, und sprach von einer «Judaisierung Jerualems» durch «die Zionisten». Im Oktober 2013 sagte er im ägyptischen Staatsfernsehen: «Seit der Offenbarung des Islam vor 1400 Jahren haben wir unter jüdischen und zionistischen Einmischungen in die Angelegenheiten der Muslime gelitten.» Den Juden sei es erlaubt, «Wucherei gegenüber Nichtjuden zu betreiben», zudem praktizierten sie eine «furchtbare Hierarchie» gegenüber anderen, etwa «durch Mord und Sklaverei». Sie «schämen sich nicht dafür, weil es in der Torah festgeschrieben ist», glaubt der Imam. Den Islamischen Staat lehnt Al-Tayyeb zwar ab, aber nur, weil dieser das Produkt einer «zionistischen Verschwörung» sei, die dazu diene, weitere «kolonialistische» amerikanische Militärinvasionen im Nahen Osten zu rechtfertigen.
So einen hielten die Kirchentagsverantwortlichen für geeignet, über Toleranz zu sprechen, und man ersparte ihm freundlicherweise auch jede kritische Nachfrage, schliesslich war sein Kommen ja «eine grosse Ehre», wie die Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au befand. Und so konnte der Grossscheich unwidersprochen beteuern, der Terror – den er befürwortet, wenn er sich gegen Juden richtet – sei «unser gemeinsamer Feind» und «des Teufels». Für einen «wegweisenden Vortrag, der zu Herzen gegangen ist» bedankte sich der Moderator anschliessend bei seinem ägyptischen Gast, und niemand widersprach ihm.
Grossscheich Ahmad Mohammed Al-Tayyeb über Juden und Christen im ägyptischen Fernsehen im Oktober 2013. Quelle und Übersetzung MEMRI, The Middle East Media Research Institute.
Auch als die Nachricht, dass bei einem Anschlag auf koptische Christen in Ägypten 28 Menschen ums Leben gekommen waren, die Veranstaltung erreichte, sorgte das nicht für eine nennenswerte Störung des Protokolls. «Wer so etwas tut, ist kein Ägypter», bürgerte Al-Tayyeb das Böse einfach kurzerhand aus. Das musste genügen, schliesslich sind die Veranstalter des Kirchentags ausweislich eines (später gelöschten) Tweets ja selbst der Ansicht, es sei «nicht unbedingt hilfreich, immer wieder zu sagen, dass Christen verfolgt werden».
Unsägliche Gleichsetzung von «Nakba» und Shoa
Bei einer weiteren Podiumsdiskussion forderte der frühere Präsident des Lutherischen Weltbundes, der palästinensische Bischof Munib A. Younan, Druck auf Israel auszuüben und einen palästinensischen Staat mit Jerusalem als Hauptstadt durchzusetzen. «Gott will die Besatzung nicht«, sagte er. Die unbestreitbare Feststellung des früheren ARD-Korrespondenten in Tel Aviv, Richard C. Schneider, dass in palästinensischen Schulen antijüdische Lieder gesungen werden, stellte Younan rundweg in Abrede. Über eine solche «Behauptung» sei er «schockiert». Die Jerusalemer Soziologin Eva Illouz fand derweil, für die Palästinenser sei die «Nakba» ebenso traumatisch wie für die Juden die Shoa. Ausserdem würden beide Ereignisse von Politikern benutzt, um einen gerechten Frieden im Nahen Osten zu verhindern. Mit dieser unsäglichen und historisch wie politisch falschen Gleichsetzung, die den jüdischen Staat zudem implizit mit dem nationalsozialistischen Deutschland auf eine Stufe stellt, wird Illouz vermutlich vielen Zuhörern aus der Seele gesprochen haben. Aber wahrscheinlich hält die Generalsekretärin des Kirchentages das für eine «israelische Perspektive», auch wenn solche Äusserungen in Israel aus gutem Grund randständig sind.
Die AJC-Direktorin Deidre Berger hatte zu ihren Befürchtungen also allen Anlass. «Was für einen Eindruck werden Besucher von dem Kirchentag bekommen über das heutige Israel?», hatte sie im Deutschlandfunk gefragt. Die Gegner des jüdischen Staates konnten sich in Berlin jedenfalls ungehindert entfalten und waren teilweise prominent platziert, ihr Ansinnen wurde als Beitrag zum Dialog verstanden.
- Die Unbelehrbarkeit der Documenta-Verantwortlichen - 3. August 2022
- Documenta-Macher wollen BDS salonfähig machen - 26. Mai 2022
- Der Mythos von der israelischen »Wasser-Apartheid« - 21. Oktober 2021
Frau Ueberschär meint also: «Wir haben keine Position zum Thema Boykott gegen Israel. Es gibt keine Position des Kirchentages zum Thema BDS.“ Nun, keine Position dazu zu haben ist auch eine Position. Ein solches Wegducken vor gesellschaftlicher Verantwortung kann mit bloßer Dummheit nicht mehr erklärt werden. Die faktische Toleranz gegenüber menschenverachtenden Positionen und die offene Kumpanei mit islamistischen Multiplikatoren sagt vieles aus über den geistigen Zustand von christlichen Instanzen in Europa aber auch viel über Politiker, die vom Appeasement gegenüber der gleichen Spezies nicht mehr nur angeheitert sondern geradezu besoffen sind.
Kommentarfunktion ist geschlossen.