Warum Flüchtlinge Saudi Arabien in Angst versetzen

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Heritage Village des Saudi Aramco Kulturprogrammes. Foto Abdallah Abu Ihlaiel, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons
Heritage Village des Saudi Aramco Kulturprogrammes. Foto Abdallah Abu Ihlaiel, CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons
Lesezeit: 5 Minuten

Veränderungen, der Alptraum des Adels, erschüttern die arabische Wüste. Sinkende Öleinnahmen, zahlreiche regionale Kriege und starker Migrationsdruck bedeuten, dass die Zukunft, die vor Saudi Arabien liegt, völlig anders sein wird als die Vergangenheit.

Angesichts eines arabischen Exodus nach Europa sehen sich die Saudis gezwungen zu erklären, warum ihr reiches Land nicht einen Grossteil der Flüchtlinge aufgenommen hat. Leider ist die Reaktion der Saudis darauf nicht ein Wandel, sondern Lüge.

Es geht um das sich abzeichnende Ende einer 70 Jahre währenden Ära, die auf zwei Übereinkünften beruhte.

Nach aussen begab sich Riad in den Orbit Washingtons; im Gegenzug entwickelte Amerika die Ölquellen der Saudis und beschützte ihr Regime.

Im Innern war die Strategie genauso simpel: Man verkaufte Öl, gab gerade so viel davon aus, um sich die Ruhe der Bevölkerung zu erkaufen und brachte die restlichen Petrodollars dem König, seinen Brüdern, Halbbrüdern, Kindern und rund 5.000 anderen Prinzen, Fürsten und Adligen.

Die grösste Bedrohung dieses Gefüges – nach einem Staatsstreich oder einer Invasion – ist etwas, was im Westen hochgeschätzt wird: soziale Mobilität.

Das grosse soziale Ziel des saudischen Königshauses, Chancen, Wohlstand und Macht ausserhalb der Reichweite des gewöhnlichen Bürgers zu halten, ist Ausdruck der Furcht, dass eine wachsende Mittelklasse der saudischen Königsfamilie letztlich das antun könnte, was die Franzosen Ludwig XVI. angetan haben.

Und das ist der Grund, warum Saudi Arabien und auch die anderen arabischen Golfstaaten ihre Einkünfte aus dem Öl nicht benutzt haben, um Fabriken zu bauen und Tausende in Lohn und Brot zu bringen, wie es etwa China, Brasilien, Vietnam oder Indonesien in den vergangenen Jahrzehnten getan haben.

Stattdessen wurden die arabischen Petrodollars, wenn sie nicht für den Luxus mehrerer Tausend Adliger draufgingen, für pharaonische Bauprojekte im Inland verwendet oder in eine Reihe von Anlagen im Ausland, von Aktien und Obligationen bis hin zu Wolkenkratzern und Fussballvereinen, gesteckt. Darüber hinaus wurden Milliarden für den Aufbau des dritt-teuersten Militärs nach den USA und China ausgegeben.

“70 Jahre lang arabische Erdöleinnahmen verschwendet”

Unterm Strich wurden 70 Jahre lang arabische Erdöleinnahmen verschwendet, während in den  nahegelegenen Ländern Ägypten, Syrien, Sudan und Jemen Millionen in Armut, Arbeitslosigkeit und oft auch Analphabetismus dahinvegetierten.

So gross ist die Angst der Saudis vor den arabischen Massen, dass sie sogar für die Hilfsarbeiterjobs an ihren Bauprojekten Ausländer ins Land holten – Inder, Pakistanis, Bangladescher und andere, die alle paar Jahre ausgetauscht wurden, damit sie nicht selbst zu einer politischen Bedrohung würden.

Die Einheimischen genossen zur gleichen Zeit ein steuerfreies und üppig subventioniertes Leben ökonomischen Müssiggangs und trügerischer Stabilität, das nicht ewig so bleiben konnte.

Nun, da die Ölpreise seit dem letzten Jahrzehnt um 65 Prozent gefallen sind, sind die fetten Jahre der saudischen Wirtschaft vorüber.

Nach einem Haushaltsdefizit, das 13 Prozent des Bruttoinlandprodukts entsprach und 20 Prozent der Währungsreserven verschlang, enthüllten die Saudis einen ehrgeizigen Plan zur Beendigung ihrer Abhängigkeit vom Öl.

Mit dem passenden Namen “Vision 2030” verspricht dieser den Aufbau von Industrie, die Verbreitung von Bildung, die Förderung des Tourismus und den Verkauf von 5 Prozent des Erdölmonopols ARAMCO an ausländischen Börsen.

Der Plan wird einige Jahre zu seiner Entfaltung brauchen und erst in Jahrzehnten beurteilt werden können. Nicht lange braucht man hingegen, um die Angst des Königreichs vor arabischer Migration einzuschätzen, die unverändert ist und sich eher noch verstärkt.

Die historisch bedingte Furcht vor den Massen und die neue Angst vor dem finanziellen Kollaps werden nun noch durch die politische Furcht vor dem Aufruhr in den Nachbarländern verstärkt, der die Saudis bereits zwei Mal gefährdete:

Zunächst führten die Demonstrationen, die die arabischen Hauptstädte in den Jahren 2010-2011 erschütterten, zu Befürchtungen, die Unzufriedenheit könne auch ins Königreich überschwappen. Deshalb wurde die Polizeipräsenz vervielfacht und saudische Truppen marschierten im benachbarten Bahrein ein und erstickten die regierungsfeindlichen Proteste.

Als sich dann die arabischen Bürgerkriege ausweiteten und Millionen vertrieben wurden, befürchteten die Saudis, sie könnten von Flüchtlingen überflutet werden. Deshalb hat das Königreich, anders als Jordanien und die Türkei, keine Flüchtlingslager eingerichtet. Lager, von denen man wusste, dass sie eben jene Menschen anziehen würden, die man lieber woanders sehen wollte.

Diese Haltung sorgte erwartungsgemäss für Ärger, sowohl unter den Arabern als auch unter den Europäern, während europäische Länder, allen voran Deutschland, ihre Tore für über eine Million syrische Flüchtlinge öffneten.

Vor diesem Hintergrund verkündete das saudische Aussenministerium in einer Erklärung im Herbst 2015, das Königreich habe 100.000 Syrern eine Aufenthaltserlaubnis erteilt und es lege „Wert darauf, sie nicht als Flüchtlinge zu behandeln“ und ihnen stattdessen „das Recht auf kostenlose Bildung, Gesundheitsfürsorge und Arbeit gemäss einem königlichen Dekret aus dem Jahr 2012“ zu gewähren.

Ein Jahr später wurden diese Zahlen vom Aussenminister Adel Al Jubeir vervielfacht, der nun behauptete, das Königreich habe „fast 2,4 Millionen Syrer“ aufgenommen, von denen „zwischen 6 und 700.000 sich noch immer in Saudi Arabien aufhalten“, neben „fast 1 Million Jemeniten“, die ebenfalls, wie er behauptete, ins Land gekommen seien und von denen sich mindestens 700.000 noch immer in Saudi Arabien aufhielten. „Und keiner von ihnen lebt in einem Zelt“, brüstete sich Al Jubier.

Natürlich nicht. Das Königreich hat zwar ein paar Flüchtlinge hereingelassen, aber nur solche mit Geld oder mit Verwandten in Saudi Arabien, die Geld haben. Wer kein Geld hatte, landete an den Bahnhöfen Europas, in den wütenden Wogen des Mittelmeers oder in den Flüchtlingslagern anderer Länder.

Abgesehen davon sind Al Jubeirs Zahlen einfach absurd. Wären sie korrekt, hätte das bedeutet, dass Riad einen Zustrom von mehr als 10 Prozent seiner ursprünglichen Bevölkerung aufgenommen und in bestehenden Unterkünften untergebracht hätte. Das wäre, als ob Deutschland über 8 Millionen Menschen aufgenommen hätte, ohne eine einzige Behelfsunterkunft zu errichten. Das ist absurd.

“Wo sind sie hin? Zurück in die Ruinen Syriens?”

Ausserdem sollen nach Al Jubair mehr als 2,5 Millionen Syrer, die in sein Land gekommen waren, es wieder verlassen haben. Warum haben sie es verlassen, wenn sein Land ihnen doch so gastfreundlich gegenübergetreten ist? Und wo sind sie hin? Zurück in die Ruinen Syriens?

Traurige Realität ist, dass Saudi Arabien und seine Nachbarn am Golf tatsächlich den mittellosen Massen, die aus ihren vom Krieg zerrissenen Heimatländern flohen, die Türen vor der Nase zugeschlagen haben.

Diese Türen zu öffnen würde bedeuten, die Tür zur Vergangenheit zuzuschlagen, etwas, das Riad unbedingt vermeiden will. So lange es nach dem saudischen Regime geht, bleibt der arabische Reichtum in den Klauen des Adels, der nicht dafür gearbeitet hat und ihn niemals freiwillig teilen wird.

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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1 Kommentar

  1. Fantastischer Artikel – vom Feinsten!

    Wäre bestimmt auch hilfreich gewesen, wenn die Kritik von Osama bin Laden am saudischen Königshaus deutlich gemacht hätte, dass viele Saudis, auch aus den reichen Schichten,
    die Verwendung des Ölreichtums als Verschwendung interpretier(t)en.

    Der Vergleich zwischen dem Hause Saud und Ludwig XVI. ist nicht so ganz gelungen
    – verprasste der Sonnenkönig Ludwig XIV. doch die Gelder, die er nicht hatte
    (was dann seinem Nachfahren Ludwig XVI. den Kopf kostete!),
    während das Haus Saud gar nicht so üppig prassen kann, dass sie selbst in die Schulden
    abrutschen könnten.
    Nicht, dass das Haus Saud nicht jeden denkbaren Versuch unternommen hätte!

    Ludwig XIV. hinterliess eine 16fache Haushaltsverschuldung, während das Haus Saud
    nicht verhindern kann, ewig neues Kapital in den Hintern geschoben zu bekommen.
    Vielleicht sollten die Saudis sich bundesdeutsche Finanzminister aus den Reihen der
    Universalversager von Schwarz, Rot oder Grün heranholen
    – die haben zuhause immerhin schon die 8fache Haushaltsverschuldung geknackt.

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