Was verbirgt die Purim-Maske?

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Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz
Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz
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Wenn man das Purim-Fest betrachtet, kommt es manchen sehr komisch vor: kaum Gebete, das Wein-Trinken bis zum Umfallen, das Verkleiden, als ob es ein Karneval wäre. Was ist die Idee dahinter?

von Rabbiner Elischa Portnoy

Die merkwürdigen Gesetze von Purim

Dabei sind gerade übermässiges Trinken und das Verkleiden zu Purim einzigartig im jüdischen Gesetz (Halacha): ist es normalerweise verboten zu viel Alkohol zu konsumieren (auch an den Feiertagen), so ist es am Purim sogar ein Gebot (Schulchan Aruch, Orach Chaim 695:2)!
Beim Verkleiden ist es noch erstaunlicher: es gibt in der Thora ein Verbot für Männer Frauenkleider anzuziehen und umgekehrt. Und am Purim wird sogar das erlaubt, wie es Rema (Rabbi Mosche Isserlis, 1525-1572, Krakau) in seinem Kommentar auf Schulchan Aruch (Orach Chaim 696:8) anbringt. Und obwohl es auch grosse Rabbiner gab, die ein solches Verkleiden für unzulässig hielten, entscheidet Rema, dass dieser Brauch doch seine Berechtigung hat.

Nur Stimmungsmacher?

Was hat das zu bedeuten? Wollten unsere Weisen dem einfachen Volk die Stimmung nicht verderben und einmal im Jahr eine ausgelassene Feier erlauben? Dem ist natürlich nicht so.

„nur ein wenig Wein und anschliessende Bettruhe.“

Wenn man die Gesetze von Purim lernt, stellt sich erstens heraus, dass übermässiges Weintrinken am Purim eigentlich gerade für jene Menschen gedacht ist, die sich auf einem hohen spirituellen Level befinden. Für diejenigen, die sich im betrunkenen Zustand nicht kontrollieren können, empfiehlt Remo im Schulchan Aruch statt des Betrinkens nur ein wenig Wein und anschliessende Bettruhe (O. Ch. 695:2).

Zweitens steht im Midrasch „Jalkut Schimoni“ (994), dass in der Zukunft, wenn Maschiach kommt, alle jüdische Feste verschwinden werden, und nur Chanukka und Purim bleiben werden. Auch wenn diese Aussage des Midraschs nicht wortwörtlich genommen werden darf, so kann man daran jedoch den hohen Stellenwert von Purim ablesen. Auch deshalb hätten unsere Weisen nie zugelassen, dass an einem solch wichtigem Feiertag etwas Schlechtes erlaubt wäre. Mehr noch: gerade das Weintrinken und der Brauch des Verkleidens tragen wesentlich zum gebotenen Feiern bei und sind auch für das richtige Verständnis der Bedeutung dieses Tages massgebend.

Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz
Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz

Was also hat es mit diesen festen Bestandteilen des Purims auf sich?

Spannende Geschichte

Am Purim haben alle Juden die Pflicht zweimal die „Megillat Esther“ (Esther-Rolle) zu hören: einmal am Abend und einmal am Tage. In dieser Rolle wurde die Geschichte des Festes von Königin Esther zusammengefasst. Und in dieser Geschichte finden wir mehrere Episoden, wo sowohl das Weintrinken als auch das Verkleiden zentrale Rollen spielen.

Die Erzählung beginnt mit der Schilderung einer Mega-Sause, die der persische König Ahasveros (Xerses) veranstaltet hat:

„…im dritten Jahre seiner Regierung, dass er allen seinen Fürsten und Knechten ein Mahl machte …als er den Reichtum der Herrlichkeit seines Königreichs und die kostbare Pracht seiner Majestät sehen liess viele Tage, nämlich hundertachtzig Tage lang.“

Jedoch auch 180 Tage des Feierns waren für Ahasveros nicht genug. Am Ende hat der König noch ein Festmahl für die Bewohner der Hauptstadt gemacht:

„Danach lud er auch alle Bewohner der Residenz Susa vom Vornehmsten bis zum Geringsten zu einem Fest ein. Sieben Tage lang wurde auf dem Platz zwischen Palast und Park gefeiert.“

Und da wird der Wein extra erwähnt: „Und man gab zu trinken aus goldenen Gefässen, und die Gefässe waren voneinander verschieden; königlicher Wein war in Menge vorhanden, nach königlicher Freigebigkeit. Und das Trinken war der Verordnung gemäss ohne Zwang; denn also hatte der König allen seinen Hofmeistern befohlen, dass man jedermann machen liesse, wie es ihm gefiele“.

Als der König trinkt…

Gleich danach kommt die erste Schlüsselstelle: „Und am siebenten Tage, als des Königs Herz vom Wein fröhlich war, befahl er …die Königin Vasti mit der königlichen Krone vor den König zu bringen, damit er den Völkern und Fürsten ihre Schönheit zeigte, denn sie war von schöner Gestalt.“ Jedoch verweigerte sich Vasti dem Befehl und kam nicht.

Warum? Antwort darauf geben unsere Weisen: Vastis Problem war, dass der König sie nur mit einer Krone zeigen wollte, also absolut nackt! Und für Vasti, die Enkelin des berühmten Nebukadnezars, ging das zu weit. Dem König, dem Gesichtsverlust drohte, blieb nichts anders übrig (aus damaliger Sicht), als die widerspenstige Vasti hinzurichten.

„als des Königs Herz vom Wein fröhlich war…“

Anschliessend musste Ahasveros die Stelle der Königin neu besetzen und nach mehreren Jahren wurde die Nichte des damaligen geistigen Anführers des jüdischen Volkes Mordechai Hadassa ausgewählt, die unter dem Namen Esther zur neuen Königin wurde.
Genau dieser Wechsel rettete schlussendlich das jüdische Volk: Esther verhinderte die „Endlösung“, die der Vize-König Haman einige Jahre später vorbereitet hat.
Bemerkenswert ist die Ursache für den Wechsel der Königin: „…als des Königs Herz vom Wein fröhlich war…“

Verhängnisvolles Festmahl

Interessant ist ausserdem, dass Ahasveros, der seine Frau gerne nackt seinen Gästen vorführen wollte, selbst ein grosser Fan besonderer Kleidern war: laut der Überlieferung hat er beim besagten Festmahl die prachtvollen Kleider des Kohen Gadols (Hohepriester) angezogen.
Seiner Meinung nach waren die 70 Jahre seit der Zerstörung des heiligen Tempels in Jerusalem vergangen und – laut der Prophezeiung – sollte der Tempel nie mehr wiederaufgebaut werden. Deshalb dachte er, dass man die Rache des jüdischen G’ttes nicht mehr fürchten brauche (was natürlich ein Fehler war).

Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz
Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz

Leider nahmen auch die Juden an dieser Feier des Königs teil. Auch wenn Mordechai sie davor gewarnt hatte, wollten die Juden, die in Ahasveros’ Hauptstadt wohnten, den König mit ihrer Abwesenheit nicht verärgern.

Ahasveros, für den die Teilnahme der Juden sehr wichtig war, hat sich als grosszügiger Gastgeber erwiesen: das Essen war streng koscher, keiner war gezwungen viel zu trinken, keine Wünsche die Gäste wurden offengelassen.

Und deshalb kamen die Juden sogar dazu, dieses Festgelage zu geniessen, was dazu führte, dass sie den König der Könige, ihren G’tt verärgert haben.

Demzufolge liess G’tt den Aufstieg des grossen Antisemiten Haman zum Vize-König zu, der nach der Vernichtung aller Juden sehnte.

Auch die Rettung kam durch den Wein

Esther und Mordechai, die von den Plänen Hamans erfuhren, konnten durch ein dreitätiges Fasten alle Juden zur Rückkehr (T’schuwa) bewegen und damit die Verbindung des jüdischen Volks mit G’tt wiederherstellen.

Esther stellte einen mutigen Plan zur Rettung der Juden auf, wobei wiederum die Kleider und der Wein eine wichtige Rolle spielten:

„Und am dritten Tage legte Esther ihre königliche Kleidung an“

„Und am dritten Tage legte Esther ihre königliche Kleidung an und stellte sich in den inneren Hof am Hause des Königs, dem Hause des Königs gegenüber, während der König auf seinem königlichen Throne im königlichen Hause sass…“

Esther lädt den König mit Haman zuerst zu einem und dann zu einem zweiten Festmahl, wo sie schlussendlich Haman zu Fall bringt.
Mordechai wurde so zum Vize-König und das jüdische Volk damit gerettet: die Feinde, die Juden abschlachten wollten, wurden selbst vernichtet.

G’tt hinter der Verkleidung entdecken

Jetzt können wir den Zweck der Bräuche von Purim nachvollziehen: während der ganzen Purim-Geschichte war G’tt so verdeckt, dass sogar die damaligen Juden Ihn aus den Augen verloren haben. Alle Ereignisse, vom Fall der Vasti bis zum Aufstieg und Fall von Haman, liefen wie von selbst, wie eine Kette von Zufällen. Jedoch stand immer G’tt dahinter und dirigierte das Ganze.

Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz
Purim 2015. Foto © Shlomo Taitz

Und auch das heutige Verkleiden zu Purim soll uns daran erinnern, dass G’tt heutzutage Sein Antlitz vor uns verdeckt hält. Dass G’tt die Maske angezogen hat, die wir für die „Naturgesetze“ und für „Zufälle“ halten.

Es soll uns jedoch auf keinen Fall täuschen – hinter der Maske befindet sich G’tt und wartet, bis wir Ihn erkennen. Und wenn es uns gelingt, gibt es für G’tt keinen Grund mehr sich zu verdecken, dann nimmt Er die Maske lächelnd ab und dann wachen wir in einer echten G’ttlichen Welt auf, wo das Verkleiden nicht mehr nötig ist.

Zuerst veröffentlicht auf Jüdische Rundschau – Unabhängige Monatszeitung.