Mahmoud Abbas, der Mufti und der Holocaust

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Bundeskanzler Olaf Scholz bedankt sich nach der Pressekonferenz beim Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas. Berlin am 16. August 2022. Foto IMAGO / Metodi Popow
Bundeskanzler Olaf Scholz bedankt sich nach der Pressekonferenz beim Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmoud Abbas. Berlin am 16. August 2022. Foto IMAGO / Metodi Popow
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Der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, hat am Dienstag zum Schluss einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) das “Vorgehen Israels gegen die Palästinenser” als Holocaust bezeichnet: “Seit 1947 bis zum heutigen Tag hat Israel 50 Massaker in 50 palästinischen Dörfern und Städten, 50 Massaker, 50 Holocausts” begangen. Der Palästinenserpräsident war zuvor von einem Journalisten gefragt worden, ob er sich zum 50. Jahrestag des von Palästinensern verübten Attentats auf die israelische Olympiamannschaft in München bei Israel entschuldigen werde. Darauf erwiderte Abbas, man habe täglich von der israelischen Armee Getötete und fuhr fort: “Wenn wir weiter in der Vergangenheit wühlen wollen, ja bitte.”

Aus diesem aktuellem Anlass ein Artikel von Ulrich Sahm aus dem Jahr 2017 über Mahmoud Abbas:

Dr. Edy Cohen, 1972 in Beirut geboren, ist 1990 von Libanon nach Frankreich geflohen. Anlass war die Ermordung seines Vaters durch die Hisbollah-Miliz, weil der Jude war. 1995 wanderte Cohen nach Israel ein. Unter den Forschern der Bar Ilan Universität ist der Orientalist Cohen ein Exot. Da Arabisch seine Muttersprache ist, hat er Zugang zu historischen Dokumenten, die sonst nur wenige Forscher lesen können. Sogar Israelis haben sich nicht die Mühe gemacht, Schlüsselwerke arabischer Politiker aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu lesen, darunter die des palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas. Dessen 18 Werke sind jedem zugänglich auf seiner eigenen Homepage.

Aber niemand hat sie ins Englische oder gar ins Hebräische übersetzt. Das gilt umso mehr für deutsche Forscher. Der bis heute nachwirkende Einfluss des Jerusalemer Muftis Hajj Amin al-Husseini ist für deutsche Historiker ein verschlossenes Buch. Cohen vertritt die Ansicht, dass der Mufti während des 2. Weltkriegs mit jahrelangen Propagandasendungen von Berlin den nationalsozialistischen Antisemitismus in die arabische Welt getragen habe. Islamisten rufen zwar bei Anschlägen „Allahu Akbar“ und berufen sich auf einschlägige Verse aus dem Koran. Doch die Ideologie hatte der Mufti ab 1941 mit seinem Radiosender in alle arabischen Staaten von Marokko bis in den Irak getragen. Ihm ist zu verdanken, dass „Mein Kampf“ in arabischer Übersetzung bis heute in diesen Ländern ein Bestseller ist.

Angesichts der Flüchtlingswelle aus Syrien und nordafrikanischen Ländern sollten gerade deutsche Forscher prüfen, in welcher Form der mitgebrachte militante Antisemitismus kein religiös motivierter Judenhass ist, sondern vielmehr ein Zurückschwappen der rassistischen Ideologie, die der Mufti zwischen 1941 und dem Kriegsende 1945 von Berlin aus verbreitet hat.

Holocaustleugnung durch Präsident Abbas

Cohen hat sich die Bücher von Präsident Mahmoud Abbas, insbesondere dessen in Moskau verfasste Doktorarbeit über den Holocaust auszugsweise ins Hebräische übersetzt.

Abbas gilt als „gemässigter“ Politiker. Selbst in Israel vermeiden es die Medien, ihn wegen seiner veröffentlichten Ansichten blosszustellen. Obgleich die Schriften in der Bibliothek der Jerusalemer Holocaustgedenkstätte Yad Vashem vorliegen, wagt sich auch dort niemand an dieses „heisse Eisen“. Das berichtete Cohen bei der Vorstellung seiner 100-Seiten-langen Broschüre mit dem Titel: „Die Schoah aus Sicht des Mahmoud Abbas“.

Cohen musste die Veröffentlichung weitgehend aus eigener Tasche bezahlen, weil angefragte Stiftungen und Organisationen fürchteten, dass die EU ihnen den Geldhahn zudrehen könnte, wenn sie Gelder für Kritik am palästinensischen Präsidenten ausgeben. Israelische Fernsehsender weigerten sich bis auf eine Ausnahme, Cohen ein Interview zu gewähren, um das Buch vorzustellen.

In seiner Doktorarbeit leugnet Abbas den Holocaust und behauptet, dass „bestenfalls“ zwei Millionen Juden von den Nazis umgebracht worden seien. Gaskammern habe es in Auschwitz nicht gegeben. In einem weiteren Buch schrieb Abbas über die geheime „Kooperation der Juden mit den Nazis“.

Von israelischen oder anderen ausländischen Besuchern auf die Holocaustleugnung in seiner Doktorarbeit angesprochen, fragt Abbas in Runde: „Hat jemand das Buch gelesen?“ Wenn sich erwartungsgemäss niemand meldet, geht er unwidersprochen zum nächsten Thema über.

Akribisch hat Abbas jede Kooperation zwischen Zionisten und den Nazis recherchiert, um darzustellen, dass die Deutschen die Auswanderung von Juden nach Palästina ermöglicht haben. Abbas gibt den Nazis die Mitschuld am jüdischen „Landraub“ in Palästina. Er macht die Zionisten zu Mittätern an den Massenmorden an Juden, weil so mehr Juden den Zionisten nach Palästina gefolgt seien. Mit dem vermeintlichen Widerspruch, wonach es eigentlich keinen Holocaust an Juden gegeben habe und andererseits die Zionisten an den schlimmsten Verbrechen der Nazis aktiv beteiligt waren, schützt sich Abbas vor Vorwürfen, ein Antisemit zu sein und stellt gleichzeitig die heutigen Israelis (Zionisten) auf eine Stufe mit den Nazis. Dass Juden an den Verfolgungen und ihrem Tod selber schuld seien, ist Teil des palästinensischen Narrativs, wenn sie ihre mörderischen Terroranschläge gegen Israelis/Zionisten rechtfertigen.

Der Mufti von Jerusalem

Mit keinem Wort habe Abbas die Rolle des Mufti von Jerusalem erwähnt als Kollaborateur der Nazis und Antreiber des Holocaust, schreibt Cohen. Amin el Husseini, Spross von einer angesehenen Familie in Palästina, wurde vom britischen Gouverneur Herbert Samuel zum Grossmufti von Jerusalem ernannt. Bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs hatte Husseini schwere Pogrome gegen Juden in Jerusalem und anderswo provoziert. Nach 3.000 Jahren ununterbrochener Präsenz wurde die Juden 1929 aus Hebron vertrieben, während die Engländer wegschauten. 1939 floh Husseini nach Irak. Dort löste er im Juni 1941 den Farhud aus, das grosse Pogrom gegen Juden. Das war der Anfang vom Ende der jüdischen Präsenz in Irak seit dem babylonischen Exil. Nach einem gescheiterten Umsturzversuch gegen die Briten, setzte sich der Mufti über Griechenland nach Berlin ab. Nur drei Wochen nach seiner Ankunft am 5. November 1941 empfing ihn Adolf Hitler. Die Nazis beauftragten ihn mit Propagandasendungen auf Arabisch, stellten ihm ein Büro mit vielen Mitarbeitern und einem Gehalt in Höhe Zehntausender Dollar zur Verfügung, bezahlt vom Auswärtigen Amt. Ihm nahestehend war Hassan Salameh, der Vater von Ali Salameh, der 1972 am Massaker an israelischen Athleten bei den olympischen Spielen in München beteiligt war.

Mit „Radio Berlin auf Arabisch“ wurde die Nazi-Ideologie in die arabische Welt getragen. Gleichzeitig wurde gegen Engländer und Franzosen gehetzt. In seinen Memoiren behauptete der Mufti, nationalistische Ziele befolgt zu haben. Er wollte nur die „Nationale Heimstätte“ für Juden in Palästina verhindern. Doch tatsächlich, so Edy Cohen, habe der Mufti unermüdlich an der Vernichtung der Juden in Palästina und in den arabischen Ländern gearbeitet. Immer wieder habe er per Rundfunk die Araber aufgerufen: „Tötet die Juden an jedem Ort, wo Ihr sie findet.“

Am 2. November 1943, dem Jahrestag der britischen Balfour-Deklaration, hetzte er in Berlin vor Tausenden muslimischen Immigranten: „Der Jude ist ein egoistisches Wesen…Die Deutschen wissen, wie man sich der Juden entledigt…Sie begannen mit der Endlösung des Judenproblems.“ Die Wortwahl war kein Zufall. Der Mufti wusste schon seit Sommer 1943 von der geplanten „Endlösung“. Husseini habe zusammen mit Heinrich Himmler das Vernichtungslager Auschwitz in Polen besucht. „Mit eigenen Augen konnte sich der Mufti überzeugen, wie einfach es war, Hunderte Menschen in Gaskammern zu ermorden“, erzählte Cohen bei der Buchvorstellung in Jerusalem. Der ehemalige britische Polizist und spätere (israelische) Forscher Haviv Canaan habe von Husseinis Gefolgsleuten bei der britischen Polizei im Mandatsgebiet gehört, dass Husseini nach einem Sieg von Generalfeldmarschall Erwin Rommel an der Spitze der arabischen Legion in Jerusalem einmarschieren wollte, um im Dotan-Tal nördlich von Nablus im heutigen Westjordanland Gaskammern zu errichten, wie er sie in Auschwitz gesehen hatte. Dort sollten die Juden Palästinas und aus allen arabischen Ländern, darunter Irak, Ägypten, Jemen und Syrien ermordet werden. Canaan veröffentlichte seine Entdeckungen in der Zeitung Haaretz am 2. März 1970.

Bekanntlich wurde Rommel von den Briten in El Alamein in Ägypten geschlagen. Der Mufti habe erkannt, dass die Tage der Nazis gezählt waren. Dennoch plante er eine Invasion der Wehrmacht in Palästina, um die Viertel-Million Juden von Tel Aviv zu ermorden und so einen Dschihad (Heiliger Krieg) gegen die Briten auszulösen. Diese Pläne seien mit Himmler und Hermann Göring abgesprochen gewesen und mit viel Geld finanziert worden. Doch seien sie niemals Hitler vorgetragen worden. Weil die meisten arabischen Staaten damals pro-britisch eingestellt waren, sei es nicht mehr zur Ausführung dieser Pläne gekommen.

Dr. Edy Cohen: “The Holocaust in the eyes of Mahmoud Abbas”. Foto Facebook
Dr. Edy Cohen: “The Holocaust in the eyes of Mahmoud Abbas”. Foto Facebook

Nicht zufällig, wenige Monate nach dem Zusammenbruch Deutschlands, am 2. November 1945, seien Synagogen in Ägypten und Libyen angezündet und Dutzende Juden ermordet worden. Das sei eine direkte Folge der Propagandasendungen des Mufti von Berlin in die arabische Welt gewesen und zeigte seinen nachhaltigen Einfluss.

Das Ende der „nationalen Heimstätte der Juden“ und eine Rücknahme der Balfour-Deklaration durch die Briten sind exakt die gleichen Ziele, wie sie heute die palästinensische Autonomiebehörde und allen voran die im Gazastreifen herrschende Hamas-Partei befolgen. In seinen Memoiren rechtfertigte der Mufti das Vorgehen der Deutschen gegen die Juden, weil sie zur Niederlage Deutschlands im Ersten Weltkrieg beigetragen hätten.

Im Standardwerk „Das Amt und die Vergangenheit“ über „Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“ von Eckart Conze, Mosche Zimmermann und anderen wird der Mufti nicht einmal erwähnt. Cohens gab in seinem Buch jedoch einen Brief des Mufti an Aussenminister von Ribbentrop wieder. Der auf Arabisch verfasste Brief wurde im Archiv des Muftis gefunden und beim Eichmann-Prozess als Beweisdokument gezeigt. Darin forderte der Mufti den deutschen Aussenminister auf, die Verschickung von 4000 jüdischen Kindern vom Balkan nach Palästina zu verhindern. Das widerspräche arabischen Interessen. In einem weiteren Brief vom 28. Juni 1943 an den rumänischen Aussenminister warnte der Mufti vor Bemühungen der Juden und Achsenmächte, jüdische Kinder von Rumänien nach Palästina zu bringen. „Die Juden wollen einen eigenen Staat in Palästina errichten, um von dort die ganze Welt zu beherrschen“, schreibt Husseini. 1.800 jüdische Kinde und 200 erwachsene Begleiter sollten lieber nach Polen gebracht werden, wo sie „unter besserer Aufsicht stünden“. Der Mufti bestätigte in seinen Memoiren, diese Briefe verschickt zu haben, dementierte aber jede Schuld am Tod dieser Kinder. Er habe lediglich deren Ankunft in Palästina verhindern wollen. Für Edi Cohen besteht kein Zweifel, dass der Mufti direkte Verantwortung für die Ermordung Tausender jüdischer Kinder trug, zumal er selber gesehen habe, was in Auschwitz passiert ist.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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