Second Generation, ganz persönlich

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Holocaust Memorial Museum Washington. Foto xiquinhosilva / Flickr.com. (CC BY 2.0)
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Die Shoah hat nicht nur tiefe Spuren bei den direkten Überlebenden, sondern auch bei ihren Kinder, der sogenannten “Second Generation”, hinterlassen. Allerdings lassen sich diese Spuren, entgegen der ursprünglichen Annahmen von Psychologen und Holocaust-Forschern, nicht in ein enges Schema pressen. Yvette Schwerdt, Tochter von Überlebenden der Shoah, wuchs in Wien auf und lebte später in New York, bevor sie kürzlich nach Tel-Aviv übersiedelte. Sie erzählt, wie sich die traumatischen Erlebnisse ihrer Eltern auf ihr eigenes Leben und Denken auswirkten und welches Vermächtnis sie ihr hinterliessen.

Wir schreiben das Jahr 2006. Ein Frühlingsabend in New York. Ich komme von einer Holocaust–Gedenkfeier in der Schule meiner Kinder heim und bin enttäuscht.  Nein, an der Organisation und Durchführung der Veranstaltung, gab es nichts auszusetzen. Wie in jedem Jahr und in den meisten dieser und ähnlicher Anlässe war alles tadellos gelaufen. Zur Einstimmung gab es traurige Klänge, danach wurden Kerzen gezündet, Opfernamen verlesen und gefühlvolle Gedichte  vorgetragen. Als Highlight sprach schliesslich ein Zeitzeuge. Diesmal war es ein Partisane, der mit seiner Kraft und seinem Mut im Krieg nicht nur Nazis bezwang, sondern später auch Kinder und Enkel inspirierte. Die Präsentation war nicht zufällig gewählt worden. Vielmehr stellte sie ein Gegenwicht zur vorjährigen Veranstaltung dar. Damals trat ein stiller KZ-Überlebender auf, einer, dessen Vermächtnis wohl nicht aus Mut, sondern grossteils aus Schwermut, bestand.

Warum ich enttäuscht war? Zweitens, weil mich der Pathos der Veranstaltung und die betretene Trauer ihres Publikums, wie in jedem Jahr,  zwar wohlmeinend aber erzwungen und gegenständlich-verfremdend anmuteten. Erstens, aber, weil ich mich auch in der aktuellen Darstellung des Überlebenden und seiner Kinder so gar nicht wiederfinden konnte.

Meine Eltern, ihre Geschwister und die meisten ihrer Freunde, sind Holocaust-Überlebende. Sicher haben diese Erlebnisse tiefe Spuren hinterlassen. Und sicher haben sich diese Spuren auch auf uns Kinder ausgewirkt. Marianne Hirsch spricht in diesem Zusammenhang von „Postmemory“.  Kinder der Überlebenden, so die Universitätsprofessorin, haben eine derart starke Beziehung zu den traumatischen Erinnerungen ihrer Eltern, dass sie sich diese quasi zu eigen machen.

Weil diese Erinnerungen aber individuell ebenso unterschiedlich sind, wie die Überlebenden selbst, lassen sich ihre Auswirkungen nicht in ein starres Schema pressen. Just ein solches Schema wurde ihnen aber, genau wie es in den obengenannten Gedenkfeiern zum Ausdruck kam, bis vor einigen Jahren verpasst. Überlebende waren entweder Kämpfer oder Opferlämmer, schwiegen entweder persistent über ihre Erfahrungen, oder redeten ununterbrochen darüber, schädigten ihre Kinder oder stärkten sie durch ihre Erlebnisse. Die ‚Second Generation’, so die landläufige Meinung, teilte sich in Erben der elterlichen Neurosen und Fackelträger elterlicher Widerstandskraft.

Drei Generationen. Rosa Kahan mit Tochter und Enkeltochter. Foto Yvette Schwerdt
Drei Generationen. Rosa Kahan mit Tochter und Enkeltochter. Foto Yvette Schwerdt

Auf mich trifft beides nicht zu, zumindest habe ich es nie so empfunden. Meine Eltern waren weder Draufgänger noch Duckmäuser. Sie sprachen über ihre Erlebnisse —  nicht immer, aber immer offen und differenziert. Sie erinnerten sich. Trotzdem lebten sie im Heute, lachten, liebten und schufen für uns Kinder ein helles zu Hause. Zugegeben, sie schärften uns, wohl auch weil wir im Wien der Nachkriegszeit aufwuchsen, erhöhte Umsicht und Achtsamkeit ein. Sie gaben uns aber auch andere  Besonderheiten mit auf den Weg: Etwa: einen ausgeprägten Familiensinn, eine gute Ausbildung, ein unverwüstliches Bekenntnis zu Judentum und Tradition und eine einzigartige Verbundenheit mit dem Staat Israel. Vor allem aber beauftragten sie uns mit der Verantwortung, das Geschehene nicht zu vergessen und nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.  Dieser Verantwortung habe ich mich stets gestellt.

Wir schreiben 2017. Ich unterhalte mich mit meiner knapp fünfjährigen Enkelin. „Woher weisst Du, dass Hitler nicht wiederkommt?“, fragt sie mich plötzlich. „Er ist doch schon lange tot“, erwidere ich spontan, einigermassen erschrocken darüber, dass meine Tochter dieser generationsübergreifenden Verantwortung schon so früh nachgekommen war. Die Kleine sieht mich zweifelnd an, und ich spüre, dass sie die Antwort nicht zufrieden gestellt hat. „ Wir haben jetzt Israel, einen eigenen Staat der Juden aus der ganzen Welt Zuflucht und Schutz bietet“, trage ich nach und freue mich, weil die Enttäuschung in ihrem Blick deutlicher Erleichterung weicht.

Über Yvette Schwerdt

Yvette Schwerdt ist internationale Marketingexpertin und Wirtschaftsjournalistin. Sie schreibt und referiert regelmäßig über neue Trends und Entwicklung in ihrem Fachbereich. Besonders am Herzen liegen ihr auch die Themen Israel, jüdische Geschichte und jüdische Kultur. Yvette ist, aufgrund ihrer mehrsprachigen, multikulturellen Ausbildung und ihrer internationalen Laufbahn, in Israel, Amerika und im deutschsprachigen Raum gleichermaßen zu Hause.

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