Premierminister Benjamin Netanjahu verhört

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Benjamin Netanyahu am 25. Dezember 2016. Foto Yonatan Sindel/Flash90
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Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wurde am Montagabend drei Stunden lang in seiner offiziellen Residenz von hochrangigen Polizeioffizieren der Korruptionsabteilung Lavav 433 verhört.

Niemand weiss genau, worüber Netanjahu befragt worden ist. Der Rechtsberater der Regierung, Avichai Mandelblit, hatte den Offizieren genehmigt, Netanjahu zur Not „mit Vorwarnung“ zu verhören, was einer kriminellen Untersuchung gleichkäme. Die mutmasslichen Vergehen bezeichnete er als „Empfang von Vergünstigungen von Geschäftsleuten“. Juristen erklärten in den Medien, dass dieses kein juristischer Begriff sei. „Korruption“ oder „Bestechung“ bedeuten, dass Netanjahu im Gegenzug zu teuren Geschenken eine politische oder wirtschaftliche Gegenleistung angeboten habe. Doch darüber ist bisher nichts bekannt. Auch über die vermeintlich verbotenen Geschenke wird in den Medien gerätselt. Angeblich habe er sich teure Anzüge schneidern lassen. Ebenso wurde behauptet, dass er sich auf Steuerzahlerkosten teure Zigarren geleistet und dass ein amerikanischer Multimillionär seinen Sohn Jair in New York „beherbergt“ habe. Solange die konkreten Vorwürfe unbekannt sind, ist schwer abzusehen, ob und welche Strafen dem Premierminister blühen, falls Polizei und Staatsanwaltschaft ihn für „schuldig“ befinden.

Kein Grund für Jubel und neue Anzüge

Im Ausland und bei den eher linkslastigen israelischen Medien wird schon spekuliert, dass diese neueste Affäre den bei ihnen verhassten Netanjahu „zu Fall“ bringen werde. Doch der Premier hat in den vergangenen Tagen mehrfach abgewunken. Er riet der Opposition wie den Medien, weder „neue Anzüge zu schneidern“ noch zu jubeln. Zum geflügelten Wort wurde sein Spruch:„Es wird nichts sein, weil nichts ist.“

Ob er tatsächlich „unter Druck“ ist, wie in ausländischen Medien behauptet, lässt sich mit dem bisherigen öffentlichen Wissen nicht ermitteln. Sollten die Verhöre im Nichts verlaufen, würde Netanjahu aus diesem Skandal gestärkt hervorgehen, auch wenn ihm längst der Makel anhängt worden ist, luxussüchtig und wenig vertrauenswürdig zu sein. Doch das sind keine „Verbrechen“, die laut Gesetzbuch geahndet werden können.

Seit etwa 9 Jahren ist Netanjahu an der Spitze einer Regierungskoalition an der Macht. Die Opposition ist zersplittert und unfähig, im Parlament eine Mehrheit auf sich zu vereinigen. Weil sie es politisch nicht schafft, versucht sie immer wieder den vermeintlich „unstürzbaren“ Ministerpräsidenten mit Klatsch oder gar mit Polizeiuntersuchungen in der Öffentlichkeit zu verunglimpfen und „unglaubwürdig“ zu machen. Das ist bisher nicht gelungen und auch das Wählervolk zeigt sich vorerst davon nicht beeindruckt, zumal alle Verhöre Netanjahus und Ermittlungen im Nichts endeten.

Am 2. Januar 2017 fahren Polizisten zur Residenz des Premierministers in Jerusalem, um den Premierminister Benjamin Netanyahu zu befragen. Foto Hadas Parush / Flash90

So wurde Netanjahu vorgeworfen, zu viel Pistazieneis auf Steuerzahlerkosten genossen zu haben. Seine Ehefrau Sarah habe Flaschenpfand unterschlagen, wobei man in Israel weniger als 5 Cent Pfand pro Flasche entrichtet. Mal ging es um Gartenmöbel oder um löchrige Teppiche in seiner Residenz. Freigesprochen wurde er wegen der vermeintlichen privaten Nutzung von Prämienmeilen nach offiziellen Flügen. Die Polizei konnte ihm keine „persönliche Bereicherung“ oder andere Rechtsverstösse nachweisen.

Niemand steht über dem Gesetz

Die israelische Justiz und die Ermittlungsbehörden sind nicht gerade zimperlich bei Spitzenpolitikern und anderen öffentlichen Figuren. Der ehemalige Staatspräsident Mosche Katzav hat gerade erst fünf Jahre einer siebenjährigen Gefängnisstrafe abgesessen. Im Dezember wurde er wegen „guter Führung“ begnadigt und sitzt jetzt mit Auflagen im Hausarrest. Katzav war wegen „Vergewaltigung“ und sexueller Belästigung im Amt verurteilt worden. Wegen Korruption sitzt Ehud Olmert, der Vorgänger Netanjahus im Amt des Ministerpräsidenten,im Gefängnis. Polizeiliche Untersuchungen gegen Präsident Ezer Weizman und die ehemaligen Premierminister Ariel Scharon sowie Ehud Barak sind im Sande verlaufen.

Rassismus oder berechtigter Verdacht

Derzeit läuft noch ein vielbeachtetes Verfahren gegen den Abgeordneten MK Basel Ghattas von der arabischen „Gemeinsamen Liste“. Er steht im Verdacht,im Schutze seiner parlamentarischen Immunität politischen Gefangenen und überführten Terroristen Sim-Karten und Mobiltelefone ins Gefängnis geschmuggelt zu haben. Dabei wurde er sogar gefilmt. Eine Mehrheit im Parlament hat seine Immunität aufgehoben, um polizeiliche Verhöre zu ermöglichen. Aber er darf weiterhin im Plenum abstimmen und erhält sein volles Abgeordneten-Gehalt. Ghattas hat diese Beschlüsse als „rassistisch“ bezeichnet, weil er Araber sei und wegen seiner mutmasslichen Vergehen nicht rechtmässig verurteilt worden sei.

Die Methode, politische Gegner mit kriminellem Verdacht ausser Gefecht zu setzen, anstatt sie politisch zu besiegen, gilt in Israel schon seit Jahren als Masche. Es widerspreche aber dem Grundsatz demokratischer Wettkämpfe. Es gehe nicht an, dass ein Polizeioffizier bestimmen könne, ob ein demokratisch gewählter Politiker im Amt bleiben dürfe. Diskutiert wird ein Gesetz, wie bei französischen Staatspräsidenten, keine kriminellen Untersuchungen während der Amtszeit eines Regierungschefs zuzulassen.

Ein „ungutes Gefühl“ kam auch jetzt, bei dem Verhör von Netanjahu auf, zumal im Augenblick niemand ausser der Polizei oder des Rechtsberaters Mandelblit weiss, was ihm vorgeworfen wird. Der Vorsitzende der starken Oppositionspartei „Es gibt eine Zukunft“, Jair Lapid, erklärte: „Ich will Netanjahu umgehend ersetzen, aber mit Hilfe der Wahlurne und nicht infolge einer polizeilichen Untersuchung.“

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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