Gedanken zum Ursprung des Weihnachtsfestes

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Mosaik des Christus als Sol Invictus in der Vatikanischen Nekropole, 3. Jahrhundert. Foto PD
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Das Fest der Geburt Jesu wird nachweislich seit der Mitte des 4. Jahrhunderts immer am 25. Dezember in der westlichen Christenheit gefeiert. Es dürfte aber schon vorher existiert haben. Dieser Tag ist nach dem alten julianischen Kalender (nicht des astronomischen Jahres) der der Wintersonnenwende auf der Nordhalbkugel der Erde; Julius Caesar legte für diesen kürzesten Tag des Jahres dieses Datum fest.

In Rom wurde schon vorher und auch parallel an diesem Tag die Geburt des unbesiegten Sonnengotts (dies natalis solis invicti) begangen, der von Kaiser Aurelian 275 n.Chr. sogar als Staatsfest eingeführt wurde. Aurelian erhob auch den Sonnengott zum Herrn des römischen Imperiums (dominus imperii) und vereinte dabei den Kaiser- mit dem Sonnenkult. Zweifellos wurde damit nicht nur das Datum des Geburtsfestes Jesu, sondern auch dessen Symbolik beeinflusst. Denn der 25. Dezember wurde auch in der Absicht ausgesucht, um Christus als den wahren Erlöser und Herrscher, als die wahre Sonne, vom pagan-römischen Kult und dessen politischer Theologie abzugrenzen und als Christfest zu ersetzen.

„Für euch aber, die ihr meinen Namen fürchtet, wird die Sonne der Gerechtigkeit aufgehen“

Die Sonnenmetapher wurde christlich allerdings schon vorher verwendet, nicht zuletzt mit Verweis auf das Buch des Propheten Maleachi,  in dem der Aufgang der „Sonne der Gerechtigkeit“ vorhergesagt wird, welche Verheissung auf Jesus gedeutet wurde. Ein Gewölbemosaik in der Vatikanischen Nekropole unter dem Petersdom in Rom ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Christen schon im Altertum ihren Erlöser auch wie den Sonnengott im Nimbus und Strahlenkranz dargestellt haben, und zwar zusammen mit dem im antiken Mythos üblichen, von Pferden gezogenen Sonnenwagen, der vom Osten in den Westen eilt. Und in einer Hand hält er auf diesem Mosaik die Weltkugel, wodurch seine kosmische Herrscherstellung symbolisiert wird.

Romanisierung des Christlichen

Es ist diese Art von „Romanisierung“, welche Interpreten der Geschichte des Weihnachtsfests manchmal peinlich ist; einige halten dies auch für eine unangemessene Anpassung an pagane Idolatrie. Andere weisen darauf hin, dass diese Einbettung in römisch-heidnische Zusammenhänge nicht zufällig in einer Zeit geschah, als der erste christliche Kaiser, Konstantin der Grosse, und seine Nachfolger die Herrschaft im römischen Reich erlangten. Konstantin war selbst wie sein Vorgänger ein Verehrer des Sonnengottes, wurde dann aber ein Förderer des Christuskults. Unter ihm und seinen Nachfolgern erlangte  das Christentum schliesslich den Status einer privilegierte Religion im römischen Reich. Damit kam eine lange Geschichte der Herabsetzung und Verfolgung von Christen an ein definitives Ende. Schon beginnend mit Kaiser Claudius, vor allem dann in blutiger Weise unter Nero wurden Christen meistens lokal, manchmal auch umfassend verfolgt und kriminalisiert. Dies wurde nicht nur gerechtfertigt mit Hilfe falscher Anschuldigungen, wie etwa bei Nero, sondern schliesslich allein damit, dass sie sich als Christen bekannten. Das Eingeständnis vor Gericht, Christ oder Christin zu sein, genügte römischen Richtern, ein Todesurteil auszufertigen.

Man wird darum verstehen, dass unter den seit Konstantin geänderten Machtverhältnissen  und gleichsam unter dem Dach der traditionellen römischen politischen Theologie das Herrschaftssymbol der Sonne und des Sonnengotts sozusagen christlich vereinnahmt wurde. Die Verlierer waren nun Gewinner. Die Anhänger der christlichen Religion wurden im vierten Jahrhundert im Imperium Romanum privilegiert, sogar so, dass sie sich leisten konnten, untereinander Lehr- und Parteienstreitigkeiten rüde auszufechten. „Friede auf Erden“ musste nicht selten das kaiserliche Machtwort stiften.

Kulturelle Interaktionen im antiken Mittelmeeraum

Man kann diese Entwicklung religionsgeschichtlich als Synkretismus, also als eine Vermischung unterschiedlicher religiöser Konzepte bezeichnen. Aber das sind sozusagen geradezu normale Vorgänge der an Bikulturalität reichen antiken Mittelmeerwelt. Es gab in der multiethnischen und multireligiösen Realität des römischen Reichs immer Interaktionen zwischen herrschenden Kulturen und Minderheiten, die ihre Identitäten und Herkünfte gewissermassen durch Anpassung und Ablehnung behaupteten. Ein Beispiel ist die jüdische Diaspora, insbesondere die griechisch-sprechende. Aber bemerkenswerterweise gab es – nicht zuletzt in kulturellen –  römischen Eliten der Mehrheitsgesellschaft auch umgekehrt Einflüsse aus Minderheitskulturen. Die augusteischen Dichter wie Vergil und Ovid dürften Kenntnisse etwa grosser jüdisch-literarischer Dokumente gehabt haben.

Anbruch des Goldenen Zeitalters

Es galt schon in der frühen Kaiserzeit in Rom der Sonnengott, oft mit Apoll identifiziert, als das Symbol des anbrechenden Goldenen Zeitalters. Es ist darum nicht zufällig, dass Konstantin auf das berühmte Hirtengedicht Vergils, die 4. Ekloge, zurückgreift und die dort mit der Geburt eines Knaben verbundene Ansage des Anbruchs des Goldenen Zeitalters, der Zeit des Friedens, als Weissagung auf Christus deutet. Der römisch-augusteische Dichter wird zum Propheten des christlichen Erlösers und eines „neuen Geschlechts, hoch vom Himmel herabgesandt“. Und nicht zufällig wird darum die Geburtsgeschichte im Evangelium des Lukas zum Leitevangelium für das Weihnachtsfest im Westen. Denn hier wird die Geburt Jesu ausdrücklich in die Zeit des Augustus datiert; und es sind nicht zufällig Hirten auf dem Feld bei Bethlehem in Judaea, denen mit der Geburt des Knaben im Stall die Erfüllung der universalen Hoffnung auf den Frieden von Boten des Himmels verkündigt wird. Womöglich spielt der lukanische Text sogar auf römische Traditionen vom Goldenen Zeitalter an.

Messianisch-jüdisches Kolorit des Festes

Freilich ist es das Kolorit jüdischer messianischer Hoffnung, das den lukanischen Text bestimmt. Es ist die „Stadt Davids“ und die Erwartung eines messianischen Erretters des Volkes Israel aus der Hand seiner Feinde, die hier zunächst und vor allem mit der Geburt Jesu verknüpft werden. Dass damit zugleich die Vorstellung vom Anbruch endzeitlicher und weltweiter Erlösung verbunden ist, stimmt schon. Aber bemerkenswert ist, dass die Engel in der Weihnachtsgeschichte des Lukas den Hirten „eine grosse Freude“ verkünden, die dem „ganzen Volk“, Israel, widerfahren wird und der „Friede auf Erden“ zunächst und vor allem „den Menschen des Wohlgefallens“ Gottes, eben dem jüdischen Volk, zugesagt wird. Friede auf der Erde wird nach dem Evangelium zuvorderst dem jüdischen Land verheissen und seinen Bewohnern – allen. Das war ein kritisches Wort angesichts der Wirklichkeit, die der Evangelist historisch schon vor Augen hatte, nämlich die der römischen Zerstörung des Landes, des Tempels und der Vertreibung seiner Bewohner. Und es war ein Wort der Solidarität mit dem jüdischen Volk.

Vom Weihnachtsevangelium her erklingt darum nicht nur eine Hoffnungsbotschaft für den universalen Frieden, sondern konkret auch eine Botschaft für den Frieden im Geburtsland des christlichen Erlösers.

Ich weiss sehr wohl, dass etwa aus der heutigen Weihnachtskirche in Bethlehem und teilweise verstärkt vom Weltkirchenrat und manchen Kirchen eine politisch-palästinensische Theologie ausgeht, die sich überhaupt nicht abfinden kann damit, dass es im Land Jesu wieder einen jüdischen Staat gibt. Frieden gibt es hier nur ohne den Frieden für die Menschen des Wohlgefallens. Aber wenn die Kräfte, die dieser Botschaft Sukkurs geben, je siegen würden, gäbe es wohl künftig keine Weihnachtskirche mehr in der Stadt Davids. Dann müsste man aufhören, dort am Geburtsfest Jesu das Weihnachtsevangelium zu lesen.

Über Ekkehard W. Stegemann

Ekkehard W. Stegemann war von 1985 bis 2014 Ordinarius für Neues Testament an der Theologischen Fakultät der Universität Basel.

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