Menschenrechte im Propaganda-Kampf

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Präsident Reuven Rivlin, (zweiter von rechts) bei einer Gedenkzeremonie am 26. Oktober 2014 anlässlich des 58. Jahrestages des Kfar-Kassem-Massakers. Foto Mark Neyman / GPO
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Öffentlich zelebriertes Mitgefühl mit Toten oder Verletzten von Krieg und Terror gehört heute zum politisch korrekten guten Ton. Personalisierte Trauer gestaltet sich allerdings schwierig, wenn gleich Dutzende oder gar Hunderttausende sterben, wie im syrischen Bürgerkrieg.

Zum Glück sorgt die UNO dafür, dass durch Namensnennung von 3 in Syrien getöteten Palästinensern bei der Weltgemeinschaft Empathie geweckt wird- allerdings nur für die Palästinenser, nicht aber für ihre namenlosen syrischen Begleiter. Tote Syrer sind nicht Sache der UNO-Flüchtlingshilfeorganisation. Genauso zynisch ist das Verhältnis zu „Massakern“ im Heiligen Land. Ein israelisches Massaker an Arabern vor 60 Jahren ist unauslöschlich im Gedächtnis israelischer und arabischer Offizieller. Die Israelis empfinden tiefe Scham wegen dieser nationalen Schande. Anders die Palästinenser: Ganze Serien von Massakern an Israelis seit 1972 in München und seither in Tel Aviv, Jerusalem und anderswo, werden nicht einmal als Massaker gesehen. Das sind „Heldentaten“, deren Täter bis heute von der arabischen Seite als Nationalhelden gefeiert werden.

Kafr Kassem. Vor 60 Jahren – am 29. Oktober 1956 – haben israelische Grenzschützer ein grausames Massaker angerichtet. Palästinensische Bauern, darunter Frauen und Kinder, kamen von den Feldern zurück nach Hause. Niemand hatte sie informiert, dass die tägliche Ausgangssperre schon auf 17 Uhr vorverlegt worden war. Eine Abteilung Grenzschützer nahm die Befehle wörtlich: „keine Gefühle zeigen“. 48 Heimkehrende wurden erschossen. Die Araber zählen auch den Fötus einer Schwangeren mit und kommen so auf 49 Tote. Weitere wurden verletzt und tragen die Wunden bis heute. Ein Überlebender war damals 17 Jahre alt. Der heut 77 Jahre alte Mann zeigte das Einschussloch einer Kugel in seiner Stirn. Der Kameramann des öffentlich-rechtlichen israelischen Fernsehens filmte die Wunde in Grossaufnahme.
Kafr Kassem ist eines der finstersten Schandmale der Geschichte Israels. Die verantwortlichen Befehlshaber wurden zu Haftstrafen verurteilt, aber innerhalb eines Jahres begnadigt. Der Brigadekommandeur erhielt eine symbolische Geldstrafe in Höhe von 10 Prutot – 10 Pfennigen. 1957 gab es einen ersten Versuch, eine Versöhnungszeremonie zu veranstalten, mit Kabinettsministern und Abgeordneten. Die israelischen Verurteilungen dieses „grausamen Massakers“ gelten bei israelischen Arabern bis heute als Verhöhnung der Opfer und seien nicht ernstgemeint.

Der verstorbene Staatspräsident Schimon Peres und erneut der jetzige Präsident Reuven Rivlin kamen am Jahrestag nach Kafr Kassem, um die Schande einzugestehen, um Verzeihung zu bitten und auf eine bessere Zukunft zu hoffen. Die Vorgänge in Kafr Kassem gelten beim israelischen Militär als Paradebeispiel für „illegale Befehle“. Kein Soldat dürfe sie befolgen. Dennoch marschierten am Gedenktag Tausende Bewohner der Stadt in schwarzen Gewändern durch die Strassen, um an das Massaker zu erinnern. Linksgerichtete israelische Organisationen organisierten Gedenkfeiern. Israelische PR-Firmen luden die Presse ein.

Menschenrechte gelten nicht für alle
„Menschenrechte“ sind längst wie eine Religion geworden. Eigentlich sollten jegliche Zivilisten als „Unschuldige“ gelten. Doch hat sich eingebürgert, nur „Frauen und Kinder“ zu illegitimen Opfern zu erklären, wenn es darum geht, die jeweiligen Angreifer wegen der Verletzung von Menschenrechten an den internationalen Pranger zu stellen.

Im syrischen Bürgerkrieg, wo die Millionenstadt Aleppo dem Erdboden gleichgemacht wird, von kleineren Ortschaften und Vierteln in der Hauptstadt Damaskus ganz zu schweigen, hört man nur selten von Einzelschicksalen, obgleich Millionen Menschen fliehen und die Zahl der Toten in die Hunderttausende geht. Und in Israel hat das Fernsehen noch nie Wunden von jüdischen Terroropfern aus der Nähe gezeigt, wie im Falle des 17-Jährigen aus Kafr Kassem.

Welche Opfer werden genannt?
Die UNO-Flüchtlingshilfeorganisation UNRWA ist allein für die „arabischen Flüchtlinge aus Palästina“ verantwortlich und wird seit ihrem Bestehen 1950 mit vielen Milliarden US-Dollar aus Steuerzahler-Geldern finanziert. Sie veröffentlichte kürzlich folgende Pressemitteilung:
„UNRWA verurteilt Tötung von vier Palästina Flüchtlingen und fordert vollen humanitären Zugang zum Khan Eshieh Flüchtlingslager in Syrien. Vier Palästina-Flüchtlinge wurden in der Nacht des 18. Oktober getötet, als sie versuchten, das Flüchtlingslager Khan Eshieh Palästina, südlich der syrischen Hauptstadt Damaskus, zu verlassen, zu der der Zugang stark eingeschränkt wurde. Nofeh Mohammed Jarad, die in ihren 60ern, ihre Tochter Ibaa Saeed al-Nader, 22, ihr Fahrer und ein einjähriges Baby waren alle getötet, als ihr Fahrzeug um 22 Uhr bombardiert wurde. Die Mutter des Babys, ein syrischer Staatsbürger, ist auch beim Vorfall gestorben.“ Das wirkt auf den ersten Blick ehrenwert. Wo sonst erfährt man mal die Namen und das Alter von Getöteten jenes Bürgerkriegs, bei dem schon um die halbe Million Menschen ermordet worden sind. Die Mutter des Babys und der Fahrer werden allerdings namentlich nicht genannt, weil sie Syrer sind und deshalb nicht in die Verantwortung der UNRWA fallen. „Menschenrechte“ gelten laut UNRWA also nur für registrierte „Palästina Flüchtlinge“, nicht aber für Syrer. Man bedenke auch, dass die namentlich genannten Toten ihr Gedenken einem weltweiten, teuren Propaganda-Apparat verdanken, während die übrigen Getöteten mangels UNO-Organisation in der Anonymität sterben.

Nur ein einziges Massaker an Israelis?
Nach dem Massaker an 22 Muslimen durch Baruch Goldstein, 1994 in der Abrahams-Moschee in Hebron, ist der damalige Staatspräsident Ezer Weizman nach Hebron gefahren, um palästinensische Angehörige der Toten des Mordanschlags zu besuchen.

An Israelis ist bisher offiziell nur ein einziges Massaker verübt worden, von einem jordanischen Soldaten auf der „Friedeninsel“ im Niemandsland zwischen Israel und Jordanien am 13. März 1997. Er tötete 7 israelische Schülerinnen und verletzte weitere, sowie einen Lehrer. Dann klemmte seine Waffe. König Hussein von Jordanien besuchte daraufhin Israel und bat kniend die Angehörigen um Vergebung.

Ansonsten wurden zwar schon ab 1929 immer wieder Juden und später Israelis massenhaft ermordet, bei Selbstmordattentaten in Bussen, auf Marktplätzen, in Restaurants und Hochzeitssälen. Doch das waren keine „Massaker“, sondern Nebeneffekte gezielter Kommandounternehmen von Freiheitskämpfern. Zudem gibt es in Israel keine „unschuldigen Zivilisten“. Jeder wird entweder eines Tages seinen Militärdienst leisten, oder war Soldat vor Jahrzehnten. Und da es bei all diesen Aktionen, darunter 1972 in München bei den olympischen Spielen, allein um die „Befreiung Palästinas“ geht, gelten die Täter nicht etwa als Mörder oder Verbrecher, sondern als ehrenwerte palästinensische Nationalhelden. Nach ihnen werden heute Schulen, öffentliche Plätze und Sporttourniere für Jugendliche benannt.

Wegen dieser offiziellen Ansichten der palästinensischen Autonomiebehörde darf niemand erwarten, dass Palästinenser ihrerseits Gedenkveranstaltungen wie kürzlich in Kafr Kassem organisieren, oder gar, dass der palästinensische Präsident, Mahmoud Abbas oder sein Vorgänger Jassir Arafat jemals um „Verzeihung“ gebeten hätten, wie das König Hussein oder israelische Staatsoberhäupter tun und getan haben. Dabei ist die Liste der Anschläge mit besonders vielen israelischen Toten, darunter auch Arabern, Gastarbeitern und Touristen, weitaus länger, als die Liste der israelischen „Massaker“ an Palästinensern. Unvergessen sind die Attacken auf Schüler in Maalot, der Anschlag auf feiernde Holocaustüberlebende im Parkhotel in Natanjah am Pessach-Abend 2002, auf die Diskothek am Dolfinarium in Tel Aviv, auf eine Hochzeit in Hadera und anderswo.

Doch selbst in Israel wird das Gedenken an die Toten dieser Anschläge meist nur im kleinen Kreis der Angehörigen begangen und nicht als Staatsakt mit Politikerreden. Und schon gar nicht kontert Israel mit Grossaufnahmen von Wunden der Terroropfer, um Propaganda gegen die Palästinenser und ihre menschenverachtende Kriegsführung zu betreiben.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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1 Kommentar

  1. Kafr Kassem ist ohne Zweifel das Symbol einer großen Schande in der israelischen Geschichte. Ein Beispiel für persönliches, politisches und militärisches Versagen der direkten Verantwortlichen. [Dieser schreckliche Vorfall hatte zumindest zur Folge, dass es seitdem Pflicht für israelische Soldaten ist, sogenannte „kategorisch ungesetzliche Befehle“ zu verweigern.*]

    Es dürfte darüber hinaus kaum jemand in Israel geben, der dieses Ereignis rechtfertigt oder bagatellisiert. Und darin liegt wieder einmal der grundlegende Unterschied zu den selbsternannten Vertretern der Getöteten, wie dies die arabische Liste in der Knesset von sich behauptet. Die Sympathisanten von zahlreichen Mordaktionen gegen israelische Zivilisten versuchen, mithilfe dieses Geschehnisses, ihre Menschenverachtung zu legitimieren. Der Versuch der arabischen Liste, die Erinnerung an diese Tat für sich zu instrumentalisieren, zeigt ihre routinierte Infamie. Die „Liste“ wird diesen willkommenen Faustpfand niemals aus der Hand geben, indem sie die israelischen Bitten um Verzeihung und Versöhnung akzeptiert. Ihre Parole ,Wir werden nicht vergessen und nicht verzeihen!‘ und die dahinter stehende Haltung sind für sie deswegen so kostbar, weil sie glauben, damit ihre systematisch-destruktive Politik des Hasses wenigstens mit etwas Substanziellem „unterfüttern“ zu können.

    Ja, die Geschehnisse in Kafr Kassem waren entsetzlich, auch wenn zum Schluss nicht unerwähnt bleiben darf, dass Israel sich in einem direkten Existenzkampf befand. Das ist keine Entschuldigung sondern eine Beschreibung der äußeren Umstände, in denen dieses Verbrechen geschehen ist.

    In der Vergangenheit gab es in der arabischen Welt nicht nur viele Massaker und Pogrome gegen Juden sondern auch fortgesetzte Versuche, den jüdischen Staat als Ganzes auszulöschen. Tatsachen, für die auf arabischer Seite noch nie jemand um Vergebung gebeten hat, geschweige denn eine Versöhnung anstrebt.
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    * Yaacov Lozowick/Israels Existenzkampf, S. 157 f.

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