Iran: Fatale Komplizenschaft

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3. November 2016, Jahrestag der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran von 1979. Foto ISNA
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Seit dem Atomdeal von Wien und dem damit verbundenen Ende der Sanktionen hat Europa seine wirtschaftlichen Beziehungen zum Iran massiv intensiviert. Die Schweiz bildet diesbezüglich keine Ausnahme. Die gravierenden politischen und menschenrechtlichen Folgen scheinen dabei keine Rolle zu spielen.

Allzu viel erfährt man aus westlichen Medien – den deutschsprachigen zumal – nicht, wenn es Anfang November jedes Jahres im Iran zu grossen Demonstrationen kommt, die anlässlich des Jahrestages der Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran von 1979 (und der anschliessenden, 444 Tage dauernden Geiselnahme von 52 US-Diplomaten) veranstaltet werden. Dabei werfen diese ungeheuerlichen Manifestationen des Hasses auf den «grossen Satan» Amerika – und immer auch auf den «kleinen Satan» Israel – ein Schlaglicht auf die «Islamische Republik» und deren Verfasstheit. An dieser hat sich auch unter der Ägide des Präsidenten Hassan Rohani nichts Wesentliches geändert; Rohani ist – anders, als es allzu viele im Westen glauben – weder moderat noch ein Hoffnungsträger, sondern bloss «the friendly face of terror», das freundliche Gesicht des Terrors, wie es der Politikwissenschaftler Stephan Grigat so treffend formuliert hat. Seit seinem Amtsantritt ist die Zahl der Hinrichtungen auf ein Rekordhoch gestiegen, und das Regime erlegt sich auch in Bezug auf seine Vernichtungsdrohungen gegenüber Amerika und dem jüdischen Staat nach wie vor keinerlei Zurückhaltung auf, im Gegenteil.

«Tod den USA» riefen auch dieses Jahr wieder Tausende Iraner in den Strassen von Teheran und vor der früheren amerikanischen Botschaft. Amerikanische und israelische Flaggen wurden verbrannt, ein Kommandeur der berüchtigten «Revolutionsgarden» bekräftigte die ewige Todfeindschaft des Iran gegenüber den Vereinigten Staaten und nannte das iranische Raketenprogramm «das wahre Zentrum unserer Macht, das gestärkt werden muss». Einige der Geiselnehmer von 1979 haben heute wichtige Positionen im Regime inne, beispielsweise Massoumeh Ebtekar, die inzwischen das Amt der Vizepräsidentin bekleidet, und Hossein Sheikholeslam, der als Berater von Aussenminister Mohammad Javad Zarif fungiert. Auf die Wahl von Donald Trump zum künftigen US-Präsidenten reagierte eben jener Zarif, indem er die USA davor warnte, das im Juli 2015 vereinbarte Atomabkommen des Westens mit dem Iran infrage zu stellen – genau dies hatte Trump in seinem Wahlkampf getan. Ayatollah Khatami, ein hoher iranischer Geistlicher, fand derweil, Demokraten und Republikaner trenne ohnehin nichts, schliesslich seien beide «Diener des Zionismus».

Im Westen ist man gleichwohl felsenfest davon überzeugt, Teheran mit Gesprächen und Vereinbarungen wie dem Atomdeal einhegen, zu Kompromissen bewegen und domestizieren zu können; gerade die wirtschaftliche Zusammenarbeit sei dazu, so heisst es oft, in besonderem Masse geeignet. Dass sich dadurch weder die Tonlage in den Verlautbarungen des Regimes ändert noch dessen Innen- und Aussenpolitik, ignoriert man geflissentlich, obwohl es nicht zu übersehen ist, dass die Machthaber der «Islamischen Republik» durch das Atomabkommen von Wien erkennbar gestärkt worden sind. Die Repressalien gegenüber der Bevölkerung haben nicht ab-, sondern noch einmal deutlich zugenommen, Gleiches gilt für den expansiven Drang des Regimes nach Hegemonie im Nahen Osten und für die Gefahr für Israel, die von Teheran ausgeht. Auch in der Schweiz freut man sich vor allem über die ökonomischen Möglichkeiten, die sich nun in der Kooperation mit dem Iran auftun, und stellt etwaige Bedenken hintan.

Was sich die Schweiz vom Iran erhofft

So bereiste Bundespräsident Johann Schneider-Ammann mit einer etwa vierzigköpfigen Delegation aus Wirtschaft und Wissenschaft im Februar das Land und dürfte hocherfreut gewesen sein, als ihm sein Amtskollege Rohani eröffnete, dass Schweizer Investitionen vor allem in den Bereichen Erdöl und Erdgas, Petrochemie, Eisenbahnen, Hafenbau und Tourismus willkommen seien. Auch beim Thema «Wiedereingliederung der iranischen Banken in das internationale Finanzsystem» ruhen die Hoffnungen auf der Schweiz. Schneider-Ammann und seine Delegation trafen nicht nur den iranischen Präsidenten, sondern unter anderem auch den Aussenminister, den Wirtschaftsminister, den obersten Religionsführer und den Zentralbankchef – ein prominentes Aufgebot, das zeigt, wie wichtig dem Regime die Beziehungen zu den Eidgenossen sind. Und es wurde nicht enttäuscht, denn am Ende des Besuches standen die Einigung auf eine Vertiefung der Beziehungen zwischen dem Iran und der Schweiz sowie die Vereinbarung eines Aktionsprogramms, das neben einem regelmässigen Dialog zu Wirtschaftsfragen auch einen institutionalisierten politischen Dialog vorsieht.

Bundespräsident Johann Schneider-Ammann mit Staatspräsident Hassan Rohani. Foto Twitter
Bundespräsident Johann Schneider-Ammann mit Staatspräsident Hassan Rohani. Foto Twitter

Die Menschenrechte sollen ebenfalls ein Thema sein, wobei die iranische Führung die entsprechenden Diskussionen lediglich «im Rahmen einer globalen Verbesserung der Menschenrechte stattfinden» lassen will, wie es Yves Rossier, bis vor kurzem Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, formuliert hat. Mit anderen Worten: Es soll nur ganz allgemein darüber gesprochen werden; ein Hindernis für gute Beziehungen sind Menschenrechtsverletzungen durch das Regime jedenfalls nicht. Schweizer Unternehmen konnten den Atomdeal und die damit verbundene Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen den Iran kaum erwarten, immerhin hat das Land nach Angaben der Weltbank hinter Saudi-Arabien die zweitgrösste Wirtschaft im Mittleren Osten und in Nordafrika und kam 2014 auf eine Wirtschaftsleistung von rund 406,3 Milliarden Dollar, bei einer Bevölkerung von 78,5 Millionen Menschen. Zudem verfügt der Iran weltweit über die zweitgrössten Erdgasvorkommen und über die viertgrössten nachweisbaren Erdölvorkommen. Die Schweizer Exporte nach Iran beliefen sich im Jahr 2014 auf rund 610 Millionen Franken und könnten sich dem Staatssekretariat für Wirtschaft zufolge in den nächsten zehn Jahren verdoppeln oder sogar verdreifachen.

Wie die Existenz Israels aufs Spiel gesetzt wird

In anderen europäischen Ländern hat man ähnliche wirtschaftliche Erwartungen, was die Kooperation mit dem Iran betrifft, und lässt sich bei dieser Zusammenarbeit ähnlich wenig von politischen Bedenken leiten. In der Öffentlichkeit wird das kaum kritisch gesehen. Zwar protestieren Menschenrechtsgruppen wie «Stop the Bomb» immer wieder gegen die Kollaboration mit dem Regime, sie klären über die menschenrechtliche Situation in der «Islamischen Republik», über deren Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel und den USA und über die aggressive Aussenpolitik des Regimes auf. Doch trotz gelegentlicher Erfolge vermögen sie die guten Beziehungen zwischen Europa und dem Iran nicht nachhaltig zu stören – zu gering ist ihr Einfluss, zu wenig ausgeprägt das öffentliche Interesse, diese Beziehungen grundsätzlich infrage zu stellen. Angesichts des virulenten Antisemitismus und Antiamerikanismus in Europa sind auch die permanenten Feindschafterklärungen des iranischen Regimes gegenüber Israel und den USA kaum geeignet, für Empörung und Abscheu zu sorgen oder gar den Ruf nach massiven Konsequenzen laut werden zu lassen. Wo man sie nicht offen oder heimlich begrüsst, zumindest Verständnis für sie hat oder sie als Folklore verharmlost, herrscht vielfach schlichtweg Gleichgültigkeit vor.

Doch einmal angenommen, der Iran nähme in Wort und Tat die Schweiz ins Visier und drohte ihr mit der Vernichtung – wären die Reaktionen der Schweizer Politik und in der Bevölkerung dann ähnlich? Gewiss nicht. Vielmehr würden sowohl die politischen als auch die wirtschaftlichen Beziehungen umgehend einer Revision unterzogen, und man sähe die Beflissenheit, mit der andere, gar befreundete Staaten ihre ökonomischen wie diplomatischen Verbindungen zum iranischen Regime pflegen und intensivieren, mit gänzlich anderen Augen. Mit Sicherheit würde man auch die Frage stellen, ob eine rege wirtschaftliche Kooperation nicht vor allem dem Regime und dessen antischweizerischen Ambitionen nützt als der iranischen Bevölkerung. Man würde Beistand von seinen Verbündeten erwarten sowie für Sanktionen plädieren – und das mit vollem Recht. Auch würde man daran zweifeln, dass Verhandlungen und Vereinbarungen den Iran schon vom Schlimmsten abhalten werden, schliesslich sähe man ja weiterhin hasserfüllte Demonstrationen und brennende Schweizer Fahnen in den Strassen Teherans und hörte die schweizfeindlichen Propaganda der Regimevertreter und -anhänger. Man würde die atomaren Pläne des Iran mit grosser Sorge verfolgen und hätte begründete Zweifel daran, dass sie durch ein Abkommen hinfällig werden.

Natürlich ist dieses Szenario ein hypothetisches, die Feindbilder des Iran lassen sich nicht einfach austauschen oder übertragen. Das iranische Regime ist ein antisemitisches, es sieht die Schweiz nicht als von Juden beherrscht an und damit auch nicht als weiteren «kleinen Satan». Aber zum einen ist es auch antiwestlich, es bekämpft die Aufklärung, das Glücksversprechen, Individualität und Universalismus. Verhandlungen, Kompromisse und Konzessionen begreift es als Zeichen von Schwäche, von westlichem Zerfall. Es glaubt fest an die grenzenlose Überlegenheit des Islam, und nicht unmassgebliche Teile seiner Nomenklatura verbinden damit geradezu apokalyptische Visionen. Europa ist für die iranischen Machthaber vor allem ein nützlicher Idiot für seine Ambitionen, ein Komplize. Zum anderen ist es erschütternd, mit welcher Selbstverständlichkeit die israelischen Interessen durch die neue enge Kooperation Europas mit dem Iran verraten werden und mit welcher Leichtigkeit man, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, zur Unterminierung der Sicherheit des – verbündeten! – jüdischen Staates beiträgt. Und das heisst letztlich: dessen Existenz aufs Spiel setzt.

Über Alex Feuerherdt

Alex Feuerherdt ist freier Autor und lebt in Köln. Er hält Vorträge zu den Themen Antisemitismus, Israel und Nahost und schreibt regelmässig für verschiedene Medien unter anderem für die «Jüdische Allgemeine» und «Mena-Watch». Zudem ist er der Betreiber des Blogs «Lizas Welt». Gemeinsam mit Florian Markl ist er Autor von »Vereinte Nationen gegen Israel«, erschienen bei Hentrich & Hentrich 2018.

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