Die Kleider machen den Menschen

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Chassidische Satmar Juden in Brooklyn, Foto diluvi.com Anna i Adria, CC BY 2.0, Wikimedia Commons.
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Wenn man auf der Strasse einen Mann trifft, der eine schwarze Hose, ein weisses Hemd, einen langen schwarzen Frack und einen schwarzen Hut trägt, dann wird sich jeder sicher sein: Man hat einen orthodoxen Juden vor sich.

von Rabbiner Elischa Portnoy

Aber auch orthodoxe Juden kleiden sich längst nicht alle gleich: Sie tragen verschiedene Kopfbedeckungen, verschiedene Hüte, manche Chassidim [1.Chassidismus (hebr. חסידים Chassidim ‚die Frommen‘) bezeichnet verschiedene voneinander unabhängige Bewegungen im Judentum. Gemeinsam ist diesen Bewegungen die strenge Einhaltung religiöser Regeln, der hohe moralische Anspruch sowie eine besondere Empfindung der Gottesnähe] tragen Schtreimel [2. Der Schtreimel (jiddisch: שטרײַמל, pl. שטרײַמלעך schtreimlech) ist eine jüdische Kopfbedeckung und besteht aus einem Stück Samt mit einem breiten Pelzrand.] , manche Spodek [3.Der Spodek oder auch Spodik ist eine hohe, oben flache Pelzmütze von konischer Form.], auch der Frack kann bei den vielen chassidischen Richtungen verschieden sein.

Doch wie kam diese “jüdische Mode” zustande? Wovon hängt die Verwendung der einzelnen Kleidungsstücke und ihr Aussehen ab? Ist diese Kleidung so wichtig, dass sie auch heutzutage getragen werden muss? Diese Fragen stellen sich viele Menschen, wenn sie orthodox gekleidete Juden treffen.

Die ersten Kleider in der Geschichte

Zum erstem Mal finden wir die Kleider in der Thora schon am Anfang des Buches Bereschit (3,21): Adam und seine Frau Hava (Eva, Anm. d. Red) haben die Frucht von dem verbotenen Baum gegessen und haben entdeckt, dass sie unbekleidet sind.

“Und G’tt der HERR machte Adam und seiner Frau Kleider aus Fell und bekleidete sie”. Man würde vermuten, dass diese Kleider einfach nur dazu da waren, um die Blösse der beiden zu bedecken.

Jedoch sagen unsere Weisen, dass die vom G’tt geschenkten Kleider etwas ganz Besonderes waren. Sie waren nicht nur absolut passend, weich und schön, sondern hatten auch wunderbare Eigenschaften: die Kleider waren mit Tier-Mustern bedeckt und zogen die Tiere an. Damit wurde die Jagd zum Kinderspiel: Tiere liefen dem Jäger von selbst zu.

Auch die weitere Geschichte von diesen ersten Kleidern hat es in sich: Adam gab sie seinem drittem Sohn Schet, von Schet kamen sie zu Metuschelach und Metuschelach gab sie dem gerechten Noach weiter.

Noach hat diese wertvollen Kleider mit in die Arche genommen. Nach der Sintflut hat Ham diese Kleider von seinem Vater gestohlen und Nimrod gegeben. Dank ihnen wurde Nimrod zum Diktator von Bawel (Babylonien, Anm. d. Red). Jedoch wurden sie für Nimrod zum Verhängnis: Der Bösewicht Esav hat die Kleider begehrt und deswegen Nimrod getötet.

Auch Esav hat diese Kleider benutzt, um König zu werden. Als diese Kleider zufällig zu unserem Vorvater Jakob kamen, erkannte er ihre Macht und hat sie versteckt.

Damit endet die spannende Geschichte der ersten, von G’tt gemachten Kleider.

Die Pracht des Hohepriesters

Ein weiterer Moment, bei dem die Kleider im Mittelpunkt stehen, ist im Wochenabschnitt “Tetzave” [4.Tezawe (hebr. תצוה, „Du sollst befehlen“) bezeichnet einen Leseabschnitt (Parascha oder Sidra genannt) der Tora und umfasst den Text Exodus/Schemot 27,20–30,10.] zu finden. Dort werden die Kleider für die Priester (Kohanim) beschrieben, die nötig waren, um im Stiftzelt zu dienen.

Die Kleidung vom Hohepriester (Kohen Gadol) unterschied sich von den Kleidern der einfachen Kohanim und war besonders schön und prachtvoll.

Die Thora selbst betont den Zweck dieser schönen Kleider: sie sollten “LeChawod ulTifaret”, “zur Ehre und zur Zierde” dienen.

Die Kleidung des Hohepriesters beinhaltete mehrere Besonderheiten. Die bekannteste davon ist wohl das Brustschild, das auf vielen Malereien zu sehen ist. Auf dem Brustschild waren zwölf Edelsteine verteilt, die den zwölf israelischen Stämmen entsprachen. Die Namen der Stämme waren auf diesen Steinen eingraviert.

Eine prächtige Besonderheit war auch das Stirnblatt, das aus reinem Gold angefertigt wurde, mit der Gravur “Heilig dem Herrn”.

Ein weiteres, wenig bekanntes Detail waren 72 goldene Glöckchen, die unten am Obergewand ringsum angebracht waren.

Kleidung macht den Menschen aus

An den priesterlichen Kleidern können wir eines erkennen: die Kleider können dazu beitragen, dass der Mensch schöner und als wichtiger wahrgenommen wird. Es ist absolut nachvollziehbar, dass jemand im Anzug ganz anders wahrgenommen wird, als jemand in der Berufskleidung.

Interessanterweise fühlt sich auch der Mensch selber und benimmt sich in einem Anzug ganz anders als in Cargohosen eines Handwerkers.

Unsere Weisen haben immer betont, ein religiöser Jude sich sauber halten und anständig kleiden soll. Und wenn wir jetzt daran denken, wie sich die wichtigen Persönlichkeiten zu den wichtigen Anlässen kleiden, dann denken wir sofort an einen Anzug, schwarze Schuhe, dezente Krawatte und ein weisses (oder mindestens blaues) Hemd. Keiner kann sich einen Minister im Bahama-Look in einer Sitzung oder einen Dirigenten beim Konzert in Shorts vorstellen.

Jedoch bleibt die Frage, woher der Hut bei einem litvischen Juden oder ein Schtreimel, der einen Chassid sofort erkennbar macht, kommt?

Hier spielt ein weiterer Faktor eine Rolle: die Tradition. Die Tradition ist im Judentum sehr wichtig und die Bräuche werden nur unter ganz ausserordentlichen Umständen geändert.

Da die traditionelle Kleidung aus dem 19. bzw. 20. Jahrhundert schön und solide aussieht, gibt es keinen Grund sie zu ändern, auch wenn es im Hochsommer in Israel darin ziemlich heiss werden kann.

Multi-Kulti bei den orthodoxen Juden

Manche denken, alle orthodoxe Juden sehen gleich aus. Das stimmt jedoch nicht. Es gibt sehr viele verschiedene Bekleidungsarten unter den vielen verschiedenen Richtungen der Orthodoxie.

Während ein Chabadnik [4.Von Chabad, eine chassidische Gruppierung innerhalb des orthodoxen Judentums, die von Rabbi Schneur Salman von Ljadi (1745–1812) im späten 18. Jahrhundert begründet wurde.] eine schwarze Kapoteh anzieht, ziehen andere chassidische Richtungen (Karlin-Stolin, Toldos Aharon oder Schomer Emunim) schwarze, bunte oder sogar goldene Beketsche [5.Ein langer Mantel, in der Regel aus schwarzer Seide oder Polyester getragen von chassidischen Juden und von einigen nicht-chassidischen Haredi Juden.] an. Bobover, Gerer oder auch Breslover Chassidim tragen Rekel[6.Ein Mantel, der hauptsächlich von chassidischen Männern während der jüdischen Arbeitswoche (Sonntag-Freitag) getragen wird.], die auch noch mal untereinander unterschiedlich sein können.

Leicht erkennbar sind Jeruschalmi Haredim, die einen golden Kaftan [7.Der Kaftan ist ein langes Woll- oder Seidenhemd aus Brust- und Rückenstück, das über den Hüften gegürtet wird.] tragen, den manche zum Schabbes [8.Der Sabbat, auch Schabbat, ist im Judentum der siebte Wochentag, ein Ruhetag, an dem keine Arbeit verrichtet werden soll.] für einen schwarzen Beketsche wechseln.

Ein weiteres bekanntes Kleidungsstück ist der Talit. Es gibt den Talit Gadol (grosser Talit), auch als Gebetsschal bekannt. Er wird nur bei den Gebeten getragen.

Der Talit Katan (kleiner Talit) wird von einem Mann den ganzen Tag getragen und manche schlafen sogar damit.

Sowohl der Talit Gadol, als auch der Talit Katan sind viereckig und sind ein Mittel zum Zweck: auf ihren Ecken sind Tzitzit (Schaufäden) angebracht. Diese Tzitzit sind eines von 613 Geboten der Thora und um dieses Gebot zu erfüllen, wird der Talit getragen. Laut der Thora soll das Anschauen der Tzitzit-Fäden den Menschen an alle 613 Gebote erinnern.

Auch wenn es für eine Frau grundsätzlich nicht verboten ist, einen Talit zu tragen, tragen die Frauen in orthodoxer Gesellschaft keinen Talit.

Vielsagende Kopfbedeckungen

Aber nicht nur den Kleidern, sondern auch den Kopfbedeckungen wird eine besondere Bedeutung beigemessen. Die bekannte chassidische Kopfbedeckung Schtreimel, der am Schabbat und Feiertagen getragen wird, nimmt nach den Worten von Rabbi Aaron Wertheim den Platz des Tfillin [9.Tefillin (תפילין təfilin, singular hebr. תפילה təfila „Gebet“) sind die Gebetsriemen im Judentum.] ein (Schtreimel Bimkom Tfillin = SchaBaT).

Auch die einfache Kippah wird nicht einfach so getragen. Auf Jiddisch wird die Kippah “Jarmulke” genannt, was “Jare Malke” – “Furcht vor dem König” bedeuten soll. Natürlich ist hiermit der König der Könige, also G’tt gemeint und die Kopfbedeckung soll uns ständig daran erinnern, dass G’tt ständig bei uns präsent ist.

Interessanterweise kann heutzutage eine Kippah einiges über seinen Träger erzählen: eine geflochtene Kippah (Kippah Sruga) wird meistens von religiösen Zionisten und Siedlern getragen. Haredim tragen eine grosse schwarze Kippah, die Juden aus der modern-orthodoxen Richtung tragen oft eine kleine lederne Kippah.

Und wenn man in der Synagoge einen Mann in weisser Kippah sieht, dann ist er höchstwahrscheinlich kein häufiger Besucher: kein erfahrener religiöser Mensch zieht heutzutage eine weisse Kippa an, nicht mal am Jom Kippur.

Das Thema Kleidung im Judentum ist so umfangreich, dass es im Rahmen eines Artikels nicht ausgeschöpft werden kann. Sowohl im jüdischen Gesetz (Halacha) als auch in der mystischen Lehre Kabbala spielen Kleider eine grosse Rolle. Wenn Sie jetzt jedoch auf der Strasse oder in der Synagoge einen orthodoxen Juden sehen, kommt Ihnen seine “komische” Kleidung schon etwas vertrauter vor.

Zuerst veröffentlicht auf Jüdische Rundschau – Unabhängige Monatszeitung.

1 Kommentar

  1. Und verheiratete orthodoxe jüdische Frauen bedecken ihre Haare – mit Kopftüchern, Turbanen, Haarnetzen, Hauben, Hüten, Mützen oder – in manchen Fällen – Perücken.

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