Die unsichtbaren (weiblichen) Palästinenser

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Wenn palästinensische Frauen Attentate auf Israelis verüben, werden sie von der palästinensischen Gesellschaft als Heldinnen glorifiziert. Dann werden die Werbetafeln mit den Namen und Fotos dieser Frauen tapeziert, damit alle sie sehen und applaudieren können. Wenn es jedoch so aussieht, als ob Frauen sich eher für das Leben, als für den Tod engagieren wollen, scheinen ihre Identitäten plötzlich nicht mehr für die Öffentlichkeit geeignet zu sein. Foto Gatestone
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Empörung bei palästinensischen Frauen und verschiedenen palästinensischen Gruppierungen, durch den Entscheid einer Reihe palästinensischer Wahllisten, die sich an den bevorstehenden, für den 8. Oktober geplanten Wahlen beteiligen wollen, die Namen und Fotos ihrer weiblichen Kandidaten auszulassen.

von Khaled Abu Toameh

Anstatt die weiblichen Kandidaten mit deren Namen und Fotos zu veröffentlichen, sollen in den Wahllisten die Bezeichnungen „die Ehefrau von“ oder „Schwester“ verwendet werden.

Kritiker verurteilten dieses Vorgehen als ein „Zeichen der Rückschrittes, des Extremismus und der Bigotterie.“ Andere Palästinenser gingen sogar soweit, dass sie die Entfernung der Namen und Fotos der weiblichen Kandidaten von den Wahllisten mit der vorislamischen Praxis des Kindesmords (wa‘d) verglichen.

Die Entscheidung, die Namen und Fotos der weiblichen Kandidaten zu verdecken, wird im Kontext der zunehmenden „Islamisierung“ der palästinensischen Gesellschaft gesehen, die ohnehin bereits als äusserst konservativ gilt.

Abgesehen davon, dass diese Aktion ein schwerer Schlag für den Gleichberechtigungskampf der palästinensischen Frauen ist, stellt er auch einen Verstoss gegen das palästinensische Kommunale Wahlgesetz von 2005 dar, in dem festgelegt ist, dass Kandidaten durch die Nennung von Namen, Alter, Anschrift und Registrierungsnummer vollständig in der Wahlliste identifiziert sein müssen.

Dieses gegen die Frauen gerichtete Unterfangen findet jedoch nicht nur im Gazastreifen, unter der Kontrolle der islamistischen Hamas-Bewegung statt. Es zeigt ausserdem sein hässliches Gesicht in einigen Teilen des Westjordanlands, das von der westlich-geförderten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter Führung von Mahmoud Abbas kontrolliert wird.

Doch die Namen palästinensischer Frauen und ihre Bilder wurden schon früher auf Wahllisten verdeckt. Bei der letzten Kommunalwahl zum Beispiel, die 2012 nur im Westjordanland stattfand, nachdem die Hamas entschieden hatte, die Wahl zu boykottieren, wurden die Namen und Fotos der weiblichen Kandidaten durch Bilder einer Rose oder einer Taube ersetzt.

Nahed Abu Taima, Koordinatorin der Gender-Abteilung im Media Development Center an der Universität Bir Zait brachte ihren Unmut über das Verschwinden der Frauen auf den Wahllisten zum Ausdruck und rief die Frauen dazu auf, die Wahl zu boykottieren:

„Ich bin gegen die Teilnahme von Frauen in dieser Form. Lasst die Männer alleine an der Wahl teilnehmen. Entweder gesteht man uns einen ehrbaren Auftritt zu oder wir lehnen diesen Fake-Auftritt, der die Wirklichkeit der Frauen ignoriert, ab. Die palästinensische Wahlkommission erfüllt ihre Aufgabe nicht vorschriftsgemäss. Es ist entwürdigend, dass sie die Begriffe ‚Schwester‘, ‚Tochter von‘ und ‚Ehefrau von‘ verwenden. Frauen sind keine Niemande, die man verstecken oder deren Namen man entfernen oder gegen die Namen ihrer Ehemänner austauschen müsste. Das ist der Gipfel der Verrats und der Ablehnung.“

Eine weitere bekannte palästinensische Aktivistin, Nadia Abu Nahleh, verurteilte das frauenfeindliche Vorgehen scharf:

„Wir halten diese Aktion für einen schwerwiegenden Rückschritt in unserer Entwicklung als Palästinenser, denn wir sind stolz auf die wichtige und fundamentale Rolle unserer Frauen in der Gesellschaft. Unsere Frauen waren schon immer Partner in unserem nationalen Zusammenleben. Aus diesem Grund ist es entwürdigend für jede islamische, nationale oder unabhängige Liste, die Namen der Frauen von den Listen zu streichen. Wenn sie nicht bereit sind, den Namen der Frauen anzuerkennen, wie sollen sie dann erst die Aufgaben dieser Frauen akzeptieren, wenn sie gewählt wurden? Wenn unsere Namen ‘Aura [die Blösse (körperl. oder im übertragenen Sinn), die es im Islam zu verhüllen gilt] sind, dann sollten unsere Stimmen nicht an jene Listen gehen, die die Namen von Frauen verdecken.“

Im Islam ist die ‘Aura einer Frau ihr gesamter Körper, ausgenommen ihr Gesicht und ihre Hände. Einige islamische Kleriker haben jedoch bestimmt, dass der gesamte Körper der Frau ‘Aura ist, selbst ihre Fingernägel. Im Gegensatz dazu reicht die ‘Aura bei Männern lediglich vom Bauchnabel abwärts bis unter die Knie. Die Entblössung der ‘Aura ist im Islam gegen das Gesetz und wird als Sünde betrachtet.

Viele Palästinenser verurteilten in den sozialen Medien das Vorgehen, die Namen der Frauen und deren Bilder zu verdecken. Auf Twitter starteten Aktivisten ein Hashtag  mit dem Titel „Unsere Namen sind nicht ‘Aura.“

„Es ist traurig, dass wir die sozialen Medien benutzen müssen, um zu beweisen, dass unsere Namen nicht ‘Aura sind“, schrieb die palästinensische Bloggerin Ola Anan in einem Post auf Twitter.

„Es ist wirklich mitleiderregend, dass es heute Menschen gibt, die sich schämen, die Namen ihrer Mütter und Ehefrauen zu nennen. Es ist bedauerlich zu sehen, dass unsere Gesellschaft nicht nur rückwärts geht, sondern tatsächlich ganz und gar im ewig Gestrigen lebt. Monate, Jahre und Jahrzehnte gehen vorbei und unsere Gesellschaft will sich nicht von dieser ‚gestrigen‘ Haltung verabschieden und nach vorne gehen – nicht einen einzigen Schritt.“

Palästinensische Experten und Aktivisten sind sich einig, dass diese Aktion gegen die Frauen sowohl illegal als auch unmoralisch ist.

„Was einige der Listen gegen die Frauen unternommen haben, ist eine Verletzung der Menschenrechte und der Rechte der Frauen sowie ein Verstoss gegen die Gleichberechtigung“, protestierte Najat Al-Astal, ein weibliches Mitglied des Palästinensischen Legislativrats für die Fatah. „Alle Frauen müssen dieses Vorgehen einiger Listen ablehnen, denn es gehört zu den Bedingungen für die Kandidatur bei der Wahl, dass der Name und die Identität aller Kandidaten, auch die der Frauen, bekanntgegeben werden.“

Karm Nashwan, Rechtsanwalt und Aktivist für Rechtsansprüche, stellte fest, dass die Entfernung der Namen und Fotos der weiblichen Kandidaten einen Verstoss gegen das palästinensische Gesetz darstellt. Er fügte hinzu, dass diese Aktion im Zusammenhang mit Bestrebungen zur Marginalisierung der Rolle der Frauen in der palästinensischen Gesellschaft zu sehen ist. Die Aktivistin Intisar Hamdan verurteilte den Schritt als „Teil einer Kultur, die sich für die Namen von Frauen schämt.“

Auch einige Männer haben sich gegen das Vorgehen geäussert. Weiterhin hat die zentrale palästinensische Wahlkommission verfügt, dass die Aktion ein Verstoss gegen das Gesetz und die Bestimmungen darstellt. Dies sind gute Neuigkeiten für jene Frauen, die derzeit drohen, die bevorstehende Wahl zu boykottieren. Die Listen jedoch, die die Namen und Fotos der Frauen in der Öffentlichkeit entfernt haben, scheinen sich nicht weiter von dem allgemeinen Aufschrei und den Protesten irritieren zu lassen. Während sie der Kommission gegenüber die vollständigen Details ihrer weiblichen Kandidaten offenlegen, werden die Namen und Fotos der Frauen auf den Listen weiterhin in den öffentlichen Wahlkampagnen verdeckt, von denen die meisten in den sozialen Medien stattfinden.

Dr. Walid Al-Qatati, Schriftsteller und Politikwissenschaftler mit Schwerpunkt arabische und islamische Angelegenheiten, erklärte, dass dieser Schritt ihn an die Hochzeitseinladungen erinnere, die versandt werden, ohne den Namen der Braut zu nennen:

„Der Name der Braut wird durch ein Schriftzeichen oder ein Bild ersetzt und die zur Hochzeit geladenen Gäste können nur raten, um wen es sich dabei tatsächlich handelt. Es sieht aus, als ob dies eine neue Form des Kindesmordes an Mädchen ist. Während der Dschāhilīya [der vorislamischen Epoche der Unwissenheit und Barbarei], wurden Frauen lebendig begraben. Heute werden sie auch wieder lebendig begraben, allerdings über der Erde. Sie werden zuerst als Menschen und dann als Frauen begraben.“

Ein weiterer Palästinenser, Hassan Salim, bemerkte die Heuchelei jener Palästinenser, die häufig damit angeben, welchen Fortschritt die Frauen in der palästinensischen Gesellschaft gemacht haben:

„Was für eine Heuchelei ist es, wenn sie sich mit der Rolle und dem Kampf der Frauen brüsten, sie als Engel beschreiben und wir uns gleichzeitig schämen, auch nur ihre Namen zu nennen und wir ihre Fotos durch Bilder von Rosen ersetzen? … Diese Erniedrigung der Frauen ruft nach einem Boykott dieser Listen.“

Auch einige politische Gruppierungen der Palästinenser haben sich gegen die Aktion ausgesprochen. Eine von ihnen, die Palestinian People‘s Party (ehemals die Kommunistische Partei) äusserte sich in einer Stellungnahme: „Die Menschlichkeit einer Frau ist nicht ‘Aura, der Name einer Frau ist nicht ‘Aura , die Stimme einer Frau ist nicht ‘Aura.“ Die Partei, die die Palästinensische Autonomiebehörde und die palästinensische Zentrale Wahlkommission dazu aufrief, das „fremdartige und anomale Phänomen“ zurückzuweisen, warnte vor Bestrebungen, „die Palästinenser wieder zurück in die Steinzeit oder zu noch Schlimmerem befördern zu wollen.“

Wenn palästinensische Frauen Attentate auf Israelis verüben, werden sie von der palästinensischen Gesellschaft als Heldinnen glorifiziert. Dann werden die Werbetafeln mit den Namen und Fotos dieser Frauen tapeziert, damit alle sie sehen und applaudieren können. Wenn es jedoch so aussieht, als ob Frauen sich eher für das Leben, als für den Tod engagieren wollen, scheinen ihre Identitäten plötzlich nicht mehr für die Öffentlichkeit geeignet zu sein.

Auf Englisch zuerst erschienen bei Gatestone Institute. Khaled Abu Toameh ist ein preisgekrönter arabisch-israelischer Journalist und TV-Produzent.