Fröhliches Zahlenraten in Nahost – Was Wasserverbrauch mit Volkszählung zu tun hat

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Am Strand von Gaza City. Foto PD
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Wasser ist selbst in der Wüste nur eine Geldfrage. Heutzutage kann man beliebig viel Trinkwasser aus Meerwasser gewinnen oder Brauchwasser klären, um es in der Landwirtschaft für Bewässerung zu nutzen.

Die Palästinenser sagen, dass der meiste Regen im Heiligen Land in den Bergen des Westjordanlandes falle. Deshalb gehöre ihnen das Wasser. Doch der Regen versickert, fliesst unterirdisch weiter und entspringt als Quellwasser am Fusse dieser Berge in Israel. Das ist Diebstahl! – schreien die Palästinenser. Geografie kann gemein sein.

Das statistische Lieblingsspielzeug in diesem Streit ist der „Pro-Kopf-Verbrauch“.

Damit kann das vergnüglichste Zahlenratespiel beginnen. Man stützt sich auf die offiziellen Wasserbehörden in Israel und Ramallah oder auf „Autoritäten“ wie den EU-Parlamentsvorsitzenden Martin Schulz. Der behauptete vor der Knesset, dass Palästinenser nur 17 Liter Wasser zur Verfügung hätten. Dabei zitierte er einen palästinensischen Jugendlichen. Man darf vermuten, dass der auf Englisch statt 17 wohl eher 70 gesagt hat. Seventeen und Seventy klingen identisch. Das nennt man „stille Post“.

70 Liter laut palästinensischer Behörde sind kein Widerspruch zu den 100 Litern laut israelischen Quellen. Denn wenn die Israelis rund 100 Liter pro Kopf liefern, ziehen die Palästinenser 30% Verluste wegen maroder Rohre und Wasserdiebstahl ab. Beim Endkonsumenten kommen tatsächlich nur 70 Liter an. 

Daniel Killy, Journalist und Pressesprecher der Jüdischen Gemeinde in Hamburg, hat auf ein weiteres Problem bei den statistischen Berechnungen hingewiesen. Zur Berechnung des Wasserverbrauchs benötigt man zwei Zahlen: die Bevölkerungsgrösse und die Wassermenge.

Bei der Bevölkerungszahl klaffen die Angaben weit auseinander. Das Palestinian Central Bureau of Statistics (PCBS) verzeichnet mehr als 2,4 Millionen Palästinenser in der Westbank, während die American-Israel Demographic Research Group (AIDRG) nur auf 1,4 Millionen kommt.

Das PCBS zählt 250.000 Palästinenser in Ostjerusalem und 150.000 Palästinenser mit, die durch Heirat und Familien- Zusammenführung nach Israel ausgewandert sind. Laut AIDRG sind diese 400.000 an die israelische Wasserversorgung angeschlossen. Darüber hinaus hat das PCBS 400.000 im Ausland lebende Palästinenser mitgezählt. Die AIDRG berücksichtigt diese Gruppe nicht, da sie kein Wasser in den palästinensischen Gebieten verbraucht. Die restliche Differenz von 200.000 Personen ergibt sich aus dem theoretischen Bevölkerungszuwachs und den tatsächlich vom Gesundheitsministerium registrierten Geburten. Die Palästinenser berichten auch von Zehntausenden Einwanderern seit 1990. Die Grenzen werden jedoch von den Israelis kontrolliert und da wurden im gleichen Zeitraum mehr Ausreisende als Einreisende registriert.

Gemäss palästinensischen wie israelischen Angaben gibt es zudem in der Gegend von Jericho und im Norden des Westjordanlandes etwa 250 „illegale“ Brunnen. Allein deswegen ist es unmöglich, die tatsächlich zur Verfügung stehende Gesamtmenge des Wassers zu messen. Wenn nun auch noch die Angaben über die Bevölkerungszahl zwischen 1,4 Millionen und 2,4 Millionen schwanken, ist jede Behauptung über pro-Kopf Verbrauch unsinnig.

Genauso fragwürdig sind statistische Angaben zum Wasserverbrauch in anderen Ländern der Welt. Die USA führen mit 1630 m³ pro Kopf. In Deutschland sind es 400 m³, während die Luxemburger mit nur 90 m³ fast auf dem Trocknen sitzen. Die Schweizer verbrauchen mit 340m³ weniger als Deutsche. Die Türken verbrauchen ganze 640 m³ und die Griechen bei einem Klima ähnlich wie in Israel mit 850m³ doppelt so viel Wasser wie die Deutschen. Angesichts der oben aufgezeigten Zahlenspiele sind diese Angaben von statistica.com mit Vorsicht zu geniessen.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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1 Kommentar

  1. Ist aber logisch, was die Palästinensische Autonomiebehörde sagt:
    Für 2,4 Millionen Menschen kann man viel mehr Geld erbetteln als für 1,4 Millionen.
    Mal eben knapp über 70% Bevölkerung dazulügen
    und schon bleibt für die real existierenden Menschen
    rechnerisch deutlich weniger Wasser.

    Hier hätte man vielleicht noch erwähnen können,
    dass es völlig egal ist,
    ob der durchschnittliche Israeli mehr oder weniger Wasser verbraucht als
    sein palästinensisches Gegenüber.
    Die Oslo-Verträge regeln die Höhe des zu liefernden Wassers
    – und da sind die israelischen Wasserwerke gegenüber den Palästinensern
    mehr als großzügig!

    Worin sich der Westen wie der Nahe Osten,
    der Ferne Osten wie auch Afrika nicht unterscheiden:
    es wird überall nach Reproduktionsformel bezahlt und existiert.
    Die Menschen erhalten also nur soviel zum Leben,
    wie sie eben benötigen,
    um nicht zwingend straffällig zu werden und ihre Arbeitsleistung am nächsten Tag
    wieder generieren zu können.
    Der Rest des Reichtums dieser Erde bleibt für die wenigen Großmäuler
    in den jeweiligen Entscheider-Ebenen.

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