„Der rabiate Rechtsnationalist Avigdor Lieberman“

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Foto Yonatan Sindel/Flash90
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Der Israel-Korrespondent der NZZ, Ulrich Schmid, hat einen erfrischenden Artikel über Israels Verteidigungsminister Avigdor Lieberman veröffentlicht. Während andere Medien ihn undifferenziert als Extremist und Hardliner bezeichnen, hat Schmid aufgezeigt, dass Lieberman «sich allzu simpler Deutung entzieht. Avigdor Lieberman, Israels neuer Verteidigungsminister, ist nicht nur Hardliner. Er kann auch diplomatisch sein.“

Doch Schmid kann nicht ohne die üblichen Klischees. So habe sich Netanjahu den „rabiaten Rechtsnationalisten Avigdor Lieberman als Verteidigungsminister in die Regierung geholt“. Wenn er tatsächlich so „rabiat“ und „rechtsnationalistisch“ gewesen wäre, hätte er wohl kaum in aller Stille jahrelang im Ministerpräsidentenamt dienen können, um dann ein durchaus „gemässigter“ Aussenminister zu werden.

Schmid schreibt: „Nicht mit Kriegsaktionen ist Lieberman in seinen ersten Amtswochen aufgefallen, sondern mit Verbalattacken auf das Armeeradio und palästinensische Dichter.“ Schmid erwähnt keinen Hintergrund.

Lieberman hatte zunächst auf einer fristlosen Entlassung des Filmkritikers Gidi Orscher bestanden. Orsher hatte auf seiner Facebook-Seite eine üble rassistische Tirade gegen Juden aus orientalischen Ländern veröffentlicht und deren „primitive“ Sitten wie die Anbetung Heiliger Gräber verunglimpft. Dann sendete der Armee-Rundfunk eine Würdigung des palästinensischen Nationaldichters Mahmoud Darwish. Lieberman meinte, dass die Darstellung extrem anti-israelischer Ansichten nichts bei einem Armee-Rundfunk zu suchen hätten. Der vorgeladene „Kommandeur“ des Militärsenders, Jaron Dekel, berief sich freilich auf die in Israel verankerte Meinungsfreiheit, die umso mehr für Akademiker gelte. Eine ähnliche Empörung hätte es auch in europäischen Ländern gegeben, wenn da ein öffentlich finanzierter Sender eine „akademische“ Lobeshymne auf Hitler oder auf „Mein Kampf“ oder Neonazis gesendet hätte. Schmid verlinkt hier einen Artikel der linksgerichteten Zeitung Haaretz, wo behauptet wird, dass Lieberman der Sender künftig nur noch „Prawda“ bringen, dürfe, also von „oben“ verordnete „Wahrheiten“.

Im nächsten Abschnitt behauptet Schmid, dass Israel unter dem neuen Minister nicht zurückhaltender geworden sei. Israel bombardiere die Hamas im Gazastreifen und Stellungen in Syrien. Schmid verschweigt hier, dass Israel da keineswegs blindlings und aggressiv um sich geschlagen hat. Zuvor wurde Israel vom Gazastreifen aus und von Syrien mit Raketen beschossen. Es ist seit Jahren eine stehende Politik, auf Beschuss mit Bombardements zu reagieren. Im Gazastreifen werden Stellungen der Hamas getroffen, weil die Hamas als herrschende Macht verantwortlich gemacht wird, selbst wenn angeblich radikale Gruppen, wie der islamische Dschihad, Israel beschiessen.

Schmid erwähnt dann auch noch das Töten eines palästinensischen Terroristen, als die Soldaten kamen, ihn festzunehmen. Auf Videoaufnahmen ist eindeutig zu sehen, dass der gesuchte Terrorist zusammen mit anderen bewaffneten Kumpanen die Soldaten beschossen haben. Infolge des Feuerwechsels wurde der gesuchte Mann im Dorf Zurif erschossen und ein anderer verletzt. Bisher gibt es noch keinen Befehl an die Soldaten, sich tatenlos erschiessen zu lassen, wenn mit Feuerwaffen auf sie geschossen wird…

Lobend erwähnt Schmid dann Lieberman, weil er der Türkei nun erlaube, Hilfsgüter im (israelischen) Hafen Aschdod zu entladen, um sie nach Gaza zu bringen. Dafür verdient der Verteidigungsminister freilich kein Lob, denn schon seit Jahren dürfen jegliche Hilfsgüter aus Katar oder Jordanien in Konvois quer durch Israel nach Gaza fahren. Und Ashdod ist ein Umschlagplatz für die auf dem Seeweg angelieferten Waren. Sogar von blockadebrechenden Schiffen wie der Mavi Marmara mitgebrachte Waren wurden nach Überprüfung in den Gazastreifen transportiert. Neu ist hier lediglich, dass die Türkei zustimmte, ihre Warenlieferung von den Israelis durchsuchen zu lassen, anstatt die Schiffe direkt im Gazastreifen anlegen und ohne israelische Kontrolle löschen zu lassen.

„Es gibt Pläne für eine partielle Lockerung der israelischen Blockade“, behauptet Schmid. Da Israel sogar mitten im Krieg den Gazastreifen mit Medikamenten, Nahrungsmitteln, Kochgas, Strom und Wasser beliefert hat, ist auch das keine Neuigkeit. Und die „Verschwörungstheorie“, wonach Israel mit der Hamas spreche, um die Palästinenser zu „spalten“, klingt wie eine Verschwörungstheorie, die Schmid sich hätte ersparen können. Indirekte Kontakte mit Hamas gab es in Kairo, um 14 Mal einen Waffenstillstand infolge des Gazakriegs von 2014 auszuhandeln. Ebenso muss irgendwie die Lieferung von Gütern in den Gazastreifen koordiniert werden. Das als Bemühen einer „Spaltung“ zu betrachten, klingt absurd.

Schmid erwähnt dann auch noch einen Besuch des palästinensischen Premierministers Hamdallah auf dem Tempelberg. Er erwähnt den Besuch von Hamdallah im Zusammenhang mit Lieberman, als ob das ein Zeichen plötzlicher Liberalität von Lieberman sei. Da aber Lieberman, respektive das Militär auf dem Tempelberg kein Mitspracherecht hat, ist das eine künstliche und falsche Konstruktion von Schmid . Denn er unterstellt hier, als ob das Militär die Besuche auf dem Tempelberg regelt, was faktisch nicht stimmt. Deshalb hat in diesem Fall der Besuch von Hamdallah in Jerusalem nichts in einem Artikel über Lieberman zu suchen.

Abschliessend schreibt Schmid noch: „Er [ Lieberman, Anm.Red.]ist nicht Teil des israelischen Militärsystems. Hier gibt es Konfliktpotenzial, denn in der Armee hat sich das liberale, rechtsstaatliche Gedankengut der Gründerväter gut gehalten. Aber eben: Der neue Verteidigungsminister ist lernfähig.“ Schmid setzt hier voraus, dass Lieberman sich gegen das „liberale, rechtsstaatliche Gedankengut der Gründerväter“ gewandt hätte. Ehe er Lieberman als „lernfähig“ bezeichnet, sollte Schmid hier erst einmal triftige Beweise für Liebermans vermeintliche Verstösse gegen Traditionen in der israelischen Armee vorlegen.

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Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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