Der ganz normale Wahnsinn: Antisemitismus und seine Akzeptanz

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Der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas im EU-Parlament in Brüssel. Foto Screenshot Youtube
Lesezeit: 4 Minuten

Abbas artikuliert in seiner Rede das antisemitische Brunnenvergifter-Stereotyp und bekommt standing ovations im EU-Parlament.

von Monika Schwarz-Friesel

Judenfeindschaft, die seit Jahrhunderten auf irrealen Konzeptualisierungen basiert, ist nicht nur bei AfD, Pegida und co, bei erklärten Neonazis und Rechtsradikalen, nicht nur bei linken und linksextremen Gruppen, nicht nur in den Schlagzeilen und Kolumnen von linken und rechten Journalisten, in den Blogs, Foren, bei Twitter und Facebook anzutreffen. Das „Gerücht über die Juden“ hat auch das EU-Parlament erreicht.

Abbas beschwor in seiner Rede am 23.6.2016 in Brüssel das alte Stereotyp des jüdischen  Brunnenvergifters – seit 1348 eine Verleumdung, die zur Auslöschung zahlreicher jüdischer Gemeinden führte, von Luther „(Brün vergiftet…“,) angeführt, die Geschichte des Judenhasses wie ein roter Faden durchziehend  – mit den Worten „Bestimmte Rabbis in Israel haben ihre Regierung klar, sehr klar dazu aufgefordert, dass unser Wasser vergiftet werden sollte, um Palästinenser zu töten.“

Das EU-Parlament gab der Rede begeisterten Beifall. Der Präsident Martin Schulz nannte die Rede auf Twitter „inspiring“.

Was, so muss man sich als Antisemitismusforscher(in) fragen, ist an der Verbreitung von klassischen judeophoben Aussagen inspirierend? Dass transparent wird, wie unverhohlen und folgenlos das alte Judenressentiment mittlerweile wieder artikuliert wird, wenn es auf Israel bezogen wird? Dass durch diese geistige und verbale Gewalt der Boden bereitet wird für die Legitimierung physischer Gewalt in Form von Terroranschlägen gegen jüdische und israelische Institutionen? Dass 70 Jahre nach Auschwitz auch unter den Deutschen kaum noch jemand sensibel auf solche Verbal-Antisemitismen reagiert?

„Die Israelisierung des Antisemitismus ist ein Fakt“

Die turnusmässigen Reden der deutschen Politiker zu „Wehret den Anfängen“ und „Nie wieder Judenhass“, wie glaubwürdig sind sie, wenn wir uns dermassen ostentativ, für jedermann sichtbar, in einer Lage befinden, in der auf den jüdischen Staat Israel jedes noch so absurde, de-realisierende judeophobe Stereotyp projiziert  werden darf, ohne dass es Konsequenzen gibt?

Die Israelisierung des Antisemitismus ist ein Fakt, aber: Keine Skandalisierung, keine Kritik – nirgends.

Fakt ist auch, dass mittlerweile jede Militäraktion Israels zum Anlass genommen wird, das antisemitische Ressentiment zu verteidigen und seine Aktivierung kausal auf den Nahostkonflikt zurückzuführen, als ob nicht jeder wüsste, wie un- und widersinnig ein solcher Kausalschluss ist. Doch auch Abbas prophezeite, der Terror in Nahost und in der ganzen Welt würde nach der „Beendigung der Besatzung“ aufhören und bekam für diese De-Realisierung standing ovations.

Die empirische Antisemitismusforschung sieht seit Jahren eine extreme Zunahme von verbaler Gewalt gegenüber Juden  – und die Hassrede gegenüber Israel („öffnet die Gaskammern für diesen Abschaum“, „werft die Bombe auf dieses Weltenübel“, Facebook-Texte 2016) kennt schon lange keine Grenzen mehr im Mikro- und Makrokosmos des World Wide Web.

Ein obsessives, hasserfülltes Wüten gegen Israel – allerorten.

Die Forschung sieht auch, wie sehr sich solche verbalen Exzesse immer mehr im öffentlichen Kommunikationsraum ausbreiten, wie die Tabuisierung von Verbal-Antisemitimen in den Massenmedien und im Internet immer mehr nachlässt, wie die Bereitschaft zur Artikulation judeophober Äusserungen wächst – und wie die Sorge in den jüdischen Gemeinden zunimmt.

Allerdings gibt es einen Doppelstandard: Kommen solche Äusserungen aus den Reihen von AfD oder Pegida, gibt es eine gewisse Empörung(sinszenierung); bei linken Journalisten, BDS-Aktivisten und Gastrednern des EU-Parlamentes jedoch greifen reflexartig die Abwehrmechanismen und Umdeutungen („Dies ist Kritik an Israel, kein Antisemitismus“).

Und die deutsche Presse, sie schweigt.

Die Antisemitismusforschung sieht all dies mit Fassungslosigkeit: Alle Bedenken, alle (durch Fakten begründeten) Warnungen vor der Ausbreitung von moderner Judenfeindschaft werden ignoriert oder bagatellisiert. Wie lange noch? Bis immer mehr Jüdinnen und Juden auf der Strasse angespuckt und beschimpft werden, auf immer mehr anti-israelischen Demonstrationen das „Ende Israels“ ausgerufen wird, Menschen mit Kippa zusammengeschlagen werden, jüdische Wissenschaftler(innen) Beschimpfungen und Morddrohungen erhalten, Synagogen brennen, jüdische Kindergärten und Schulen attackiert werden?

Die empirisch begründeten Warnungen aus der Antisemitismusforschung sind kein Zeichen von Alarmismus, Panik, Hysterie – (auch wenn diese Argumente zum Standardrepertoire des Antisemitismus-Abwehr-Diskurses gehören) – es sind wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen, dass Antisemitismus wieder salonfähig wird. Sie werden publiziert und verbreitet. Jeder kann sie zur Kenntnis nehmen. Doch die Bereitschaft, sich ernsthaft und nachhaltig mit dem aktuellen Antisemitismus auseinander zu setzen, ist sehr gering.

Dass nun eines der ältesten, bekanntesten und widerwärtigsten Stereotype über Juden, das im Laufe der europäischen Geschichte für die Auslöschung zahlreicher jüdischer Gemeinden verantwortlich war, im EU-Parlament argumentativ eingebracht wird, und es ausserhalb Israels keinen massiven Protest, keine entsetzte Kritik gibt, zeigt, wie normal, wie habitualisiert und wie akzeptiert antisemitisches Gedankengut in unserer Gesellschaft wieder ist.

Wer wird später sagen können oder behaupten wollen, man habe davon nichts gewusst?

Monika Schwarz-Friesel ist Antisemitismusforscherin an der TU Berlin, wo sie Projekte zum aktuellen Antisemitismus leitet. Im März 2016 hielt sie im deutschen Bundestag auf der International Conference against Antisemitism‘ einen Vortrag zur „Israelisierung des aktuellen Antisemitismus“. Zuerst erschienen als Kommentar in der Jüdischen Allgemeinen.

2 Kommentare

  1. Das unbegreifliche Verhalten der EU-Abgeordneten zur Rede des notorischen Lügners Abbas ist, auch angesichts des geistigen Tiefgangs des Redners, ein schwarzer Tag für alle, die Europa – bei aller Kritik – noch ein paar positive Seiten zubilligen. Die offensichtlich vorbehaltlose Identifikation des Parlaments mit einem Antisemiten wirft die grundsätzliche Frage auf, was von diesem Zusammenschluss noch alles zu erwarten ist.

    Die Liste der europäischen Schandtaten wird immer länger:
    • Die EU ist verantwortlich dafür, dass die rassistische BDS-Bewegung einen Volltreffer in ihren Bemühungen landen konnte, den israelischen Staat weiter zu isolieren und einen Teil seiner Produkte zu boykottieren. Die EU hat maßgeblichen Anteil an der Kauft-nicht-bei-Juden-2.0-Kampagne.
    • Die EU ist verantwortlich für die fortgesetzte indirekte Finanzierung von palästinensischen Terroristen/Mördern und unterstützt mit Steuergeldern die Zahlungen der PA an diese in Form von „Renten“ und „Entschädigungen“.
    • Die EU unterstützt direkt und indirekt Bemühungen, den israelischen Staat weiter zu bedrängen und gewährt seinen erklärten Todfeinden politische und finanzielle Hilfe – dies obwohl z.B. die Hamas immer noch als terroristische Organisation gilt.

    Dass niemand diesem korrupten Auslaufmodell namens Abbas, dem es neben dem monatlichen Salär nur noch um seine persönlichen Machtgelüste geht, in seine Schranken verweist, lässt für die Zukunft nichts Gutes erwarten. Europa scheint gegenüber dem Brexit zu einem immer größeren Übel zu werden.

  2. So was von diesen edlen Staatsmännern zu erwarten wäre allerdings zu viel:

    Aber mindestens einer musste sich doch erheben?!
    Nein, die volle Zustimmung. Wie beim Bundestagsbeschluss von 2010 ((

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