Andenken an die Vernichtung des irakischen Judentums bewahren

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Ein Denkmal in Ramat Gan, Israel, für die irakischen Juden, die während des Farhud im Juni 1941 getötet wurden. Foto PikiWiki Israel
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Jeder irakische Jude kann etwas über den Farhud, den zweitägigen Pogrom erzählen, der vor 75 Jahren im Juni 1941 an den Juden von Bagdad verübt wurde. Im Falle meiner eigenen Familie war es so, dass sie dem Rat eines muslimischen Geschäftskollegen meines Grossvaters gefolgt war, der ihm erzählt hatte, dass den Juden dunkle Tage bevorstünden und es klug wäre, seine Familie so schnell wie möglich aus dem Land zu schaffen – ein Rat, den mein Grossvater beherzigte.

von Ben Cohen

Mein Grossvater gehörte jedoch zu einer glücklichen Minderheit. Beim Ausbruch des Farhud – was auf Arabisch „gewalttätige Enteignung“ bedeutet – lebten um die 90.000 Juden in der irakischen Hauptstadt – das Herz einer lebendigen Gemeinschaft und Nachkommen jener Weisen, die 27 Jahrhunderte zuvor das einst als Babylon bekannte Land zum intellektuellen und spirituellen Zentrum des Judentums gemacht hatten.

Zu dem Zeitpunkt, als sich der gewalttätige Mob am Ende des Festes Schawuot wieder zerstreut hatte, waren nahezu 200 Juden ermordet, Hunderte weitere verwundet, vergewaltigt und zusammengeschlagen worden. Hunderte Wohnungen und Geschäfte waren niedergebrannt. Als der Rauch sich über einem Anblick lichtete, den man eher in Ländern wie Russland, Polen und Deutschland erwartet hätte, kam die jüdische Gemeinschaft zu dem Schluss, dass sie im Irak keine Zukunft mehr hatte. Innerhalb eines Jahrzehnts war nahezu die gesamte Gemeinschaft vertrieben worden und erhöhte so die Gesamtzahl der Juden, auch aus anderen Ländern der arabischen Welt, die kurzerhand ihrer Häuser und Existenzgrundlagen beraubt worden waren, auf 850.000.

Dass man sich bis zum heutigen Tag an den Farhud erinnert, ist grösstenteils einer Handvoll Wissenschaftler und Aktivisten zu verdanken, die sich dazu verpflichtet haben, diese schreckliche Episode publik zu machen. In der Woche des 75. Jahrestags des Farhud haben einige von ihnen – wie zum Beispiel der amerikanische Autor Edwin Black und Lyn Julius, die britische Historikerin für Judentum im Nahen Osten – Gedenkfeiern in den USA, Grossbritannien und insbesondere in Israel, das den grössten Teil der jüdischen Flüchtlinge aus dem Irak aufgenommen hatte, organisiert. Ich selbst hatte die Ehre, eine Ansprache anlässlich der Gedenkfeier in der Safra Synagoge in New York City zu halten, bei der 27 Kerzen – eine für jedes Jahrhundert jüdischer Präsenz im Irak – angezündet und dann gemeinsam wieder ausgelöscht wurden, um so die plötzliche Auslöschung des irakischen Judentums zu symbolisieren.

Das Andenken an den Farhud aufrecht zu erhalten und ihm einen rechtmässigen Platz als Beispiel für die Verfolgung der Juden während der Nazi-Ära einzuräumen, war ein schwieriges Unterfangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mehrere Jahrzehnte lang die Bedeutung des Farhud unter der landläufigen Vorstellung zusammengefasst, das der Holocaust etwas war, dem nur europäische Juden zum Opfer gefallen waren. In Wahrheit waren die Nazis jedoch nicht nur in der gesamten arabischen Welt unmittelbar präsent, sondern hatten auch einen bedeutenden Einfluss. Als die Briten 1941 eine Reihe von Rückschlägen in Südeuropa und Nordafrika hatten einstecken müssen, war der rechte Zeitpunkt für einen Staatsstreich gegen die pro-britische Regierung in Bagdad gekommen. Das strategische Ziel der Nazis war die Eroberung der irakischen Ölfelder, um so den für die Invasion der Sowjetunion benötigten Treibstoff zu erhalten.

Iraker demonstrieren in Bagdad während des Farhud. Foto PD
Iraker demonstrieren in Bagdad während des Farhud. Foto Yad Izhak Ben-Zvi Archiv

Im April, dem Monat, in dem mein Grossvater und seine Familie den Irak verliessen, ergriff ein einheimischer Nazi-Büttel, Rashid Ali al-Gailani, die Macht im Glauben, dass eine Allianz mit Hitler die Voraussetzungen für die nationale Unabhängigkeit des Irak schaffen würde. Rashid Alis wichtigster Unterstützer war der mit den Nazis sympathisierende Mufti von Jerusalem, Hajj Amin al-Husseini, der nach seiner Flucht aus britischer Gefangenschaft 1939 in Bagdad ankam. Bis dahin hatte es zu den wichtigsten Aufgaben des Muftis gehört, zu Gewalt und Völkermord an der jüdischen Gemeinschaft im britischen Mandatsgebiet in Palästina anzustiften, die während des arabischen Aufstands von 1936-39 besonders ausgeprägt waren. Im Irak angekommen, bestärkte der Mufti seine Loyalität gegenüber den Nazis, indem er sich im November 1941 in Berlin mit Hitler traf und später dafür sorgte, dass bosnische und albanische Moslems für die Handschar-Division der Waffen-SS rekrutiert wurden.

Der Farhud selbst darf nicht als spontane Gewaltaktion angesehen werden. Bereits vor dem Ausbruch der Gewalt wurde tagelang ein stetiger Strom antijüdischer Propaganda im Radio ausgestrahlt. Mitglieder einer von Lyn Julius als „Proto-Nazi-Jugendbewegung“ bezeichneten Gruppe, einer Futuwwa, begannen, mit roten Farbschmierereien in Form einer Hand jüdische Häuser und Geschäfte zu kennzeichnen, um so den Randalierern den Weg zu weisen.

Ihre Gewalttaten waren, wie die aller anderen Pogromisten an allen anderen Orten, entsetzlich. In seiner Denkschrift zum Farhud „In the Alleys of Baghdad“ erinnert Salim Fattal an die „Mörder und Vergewaltiger … die ihre Opfer nach Herzenslust und ungehindert missbrauchten. Sie schlitzten Kehlen auf, schnitten Gliedmassen ab, zerschmetterten Schädel. Egal, ob Frauen, Kinder oder Alte. Auf diesem blutrünstigen Schlachtfeld schaukelten sich Judenhass und die Freude am Töten um des Tötens willen gegenseitig hoch und verstärkten einander.“ Säuglinge und Kleinkinder wurden in den Tigris geworfen, einige nachdem sie nur wenige Momente zuvor mit Schwertern abgeschlachtet worden waren.

Ironischerweise fand der Farhud ein paar Tage statt, nachdem Rashid Ali nach einem misslungenen Angriff auf eine Basis der britischen Luftwaffe selbst aus dem Irak geflohen war. Als die Gewalt eskalierte, hätten die britischen Truppen, die nur 8 Meilen von der Stadt entfernt waren, eingreifen können. Wie jedoch der Historiker Tony Rocca dem BBC erklärte, „Hielt Sir Kinahan Cornwallis, der britische Botschafter in Bagdad, aus persönlichen Motiven unsere Streitkräfte zurück – und widersetzte sich damit einer ausdrücklichen Anordnung Winston Churchills, die Stadt einzunehmen und für deren Sicherheit zu sorgen.  Stattdessen ging Sir Kinahan zurück in sein Wohnhaus, genoss ein Dinner bei Kerzenschein und spielte eine Runde Bridge“.

Dies war der Beginn des Prozesses, den Irak, ebenso wie einen grossen Teil Europas, judenrein zu machen. Es war ein Prozess, der sich schon bald auf die gesamte übrige arabische Welt ausbreitete. Sechs Monate nach Kriegsende brachen antisemitische Ausschreitungen in Libyen und Ägypten aus. Die Juden, die im Irak blieben, ungefähr 140.000, mussten eine Reihe diskriminierender Rechtsvorschriften erdulden, die an die Nürnberger Gesetze erinnerten. Diese führten dann in den frühen 1950er Jahren zur vollständigen Zwangsenteignung.

So schrecklich es auch ist, dies sagen zu müssen, so ist doch der Grund dafür, dass der Farhud immer noch ein relativ wenig bekanntes Ereignis ist, teilweise der Tatsache geschuldet, dass die vertriebenen irakischen Juden Opfer ihres eigenen späteren Erfolgs wurden, da sie sich erfolgreich ein neues Leben in Israel, den USA, Kanada und Europa aufbauten. Im Gegensatz zu den palästinensischen Arabern blieb ihnen nicht für alle Zeiten das Zeichen des Flüchtlings auf die Stirn geschrieben, so dass ihre Rufe nach Gerechtigkeit stets eher als eine geschichtliche Frage, denn als ein drängendes geopolitisches Anliegen angesehen wurden.

Bei der Gedenkfeier zum Jahrestag des Farhud in New York zitierten viele der Redner die Post-Holocaust-Parole „Nie Wieder!“. Wie nobel dieser Gedanke auch sein mag – wenn es um die arabische Welt geht, ist es nur eine simple Feststellung der Tatsachen. Es wird nie wieder einen Farhud in dieser Region geben – ganz einfach deshalb, weil es ausserhalb des souveränen Staates Israel kaum mehr Juden dort gibt, an denen man die im Juni 1941 begangenen Gräueltaten auf ein Neues verüben könnte.

In englisch zuerst erschienen bei JNS.org. Ben Cohen ist leitender Redakteur beim „The Tower Magazine“ und Direktor von Partnerschaftsprogrammen bei „The Israel Project“. Seine Artikel wurden u. a. in den Zeitschriften Commentary, The Wall Street Journal, Ha‘aretz und Tablet veröffentlicht. Er ist Autor einer wöchentlichen Kolumne für JNS.org.