Geschenke und Strafen – Wie Europas Gouvernanten in Nahost versagen

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Staatspräsident François Hollande anlässlich des Ministertreffens "Initiative de Paris pour la paix au Proche-Orient". Foto F.de La Mure / MAEDI
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Man kennt das aus dem Kindergarten: Da hat ein 5-jähriger eine neue Schaufel bekommen und haut sie seinem Kameraden über den Kopf. Wenn die Erzieherin dem Jungen dann verbietet, mitzuspielen, gibt es Riesengeschrei. Doch niemand käme auf die Idee, die Erzieherin als unmenschlich zu beschimpfen. Es ist Konsens: Gewalt bleibt nicht ohne Folgen. Genauso beim Fussball, wo rote und gelbe Karten ausgeteilt werden. Nur im Umgang mit Palästinensern stehen alle Regeln Kopf.

Das Ramadangeschenk
Der von dpa als „Bulldozer“, „Rechtsextremist“ und „Hardliner“ titulierte neue Verteidigungsminister Avigdor Liberman hatte beschlossen, die Reisemöglichkeiten für Palästinenser zu erleichtern. Um den Ramadan im Familienkreis feiern zu können, erhielten 83.000 Palästinenser aus dem Westjordanland und 300 aus dem Gazastreifen eine Sondergenehmigung für Besuche in Israel. Das war fast eine Verdoppelung der 100.000 Genehmigungen für Palästinenser, die täglich zur Arbeit nach Israel pendeln, und so ein Standbein der palästinensischen Wirtschaft darstellen. Zusätzlich hat sich Jerusalems Bürgermeister Nir Barkat ins Zeug gelegt und vor dem Ramadan im arabischen Ostteil der Stadt für saubere Strassen, neuen Strassenbelag, Festbeleuchtung und kulturelle Veranstaltungen gesorgt.

Auch die erneute Einfuhr von Zement und Baumaterialien nach Gaza hatte der angeblich so palästinenserfeindliche Liberman genehmigt, obgleich die Hamas immer wieder israelischen Zement für den Bau von Angriffstunneln entwendet.

Während Ägypten den Zugang zum Gazastreifen hermetisch abgesperrt hat und Jordanien mit bürokratischen Mitteln die Durchreise von Bewohnern des Gazastreifens effektiv verhindert, fliessen immer mehr Güter von und über Israel in den Gazastreifen. Sämtlicher Strom und alles Trinkwasser im Gazastreifen stammen aus Israel, nachdem die Palästinenser eigenhändig ihr Grundwasser abgepumpt und es mit nachfliessendem Salzwasser aus dem Mittelmeer und ihren Abwässern verseucht haben.

Ursache und Wirkung
Die Antwort auf die Reiseerleichterung war eine Terrorattacke im Herzen von Tel-Aviv. Daraufhin wurden die Sondergenehmigungen storniert. Ausgenommen sind Passierscheine für muslimische Palästinenser, die auf dem Haram A Scharif (Tempelberg) beten wollen. Ebenso können die Arbeiter weiter pendeln. Trotz Sicherheitsbedenken gab es am ersten Freitag des Ramadan keine Altersbeschränkung für Besucher der drittheiligsten Stätte des Islam.

Reaktionen aus Europa
Frankreichs Aussenminister Jean-Marc Ayrault hat die Terrorattacke mit 4 Toten und vielen Verletzten in Tel Aviv scharf verurteilt. Gleichzeitig bezichtigte er Israel, mit der Stornierung der Besuchsgenehmigungen die „Spannungen zu erhöhen, anstatt den Frieden voranzutreiben“. Der Kommissar des UNO Menschrechtsrates, Zeid Ra’ad Al Hussein, behauptete gar, dass die Rücknahme der Genehmigungen eine vom Völkerrecht untersagte „Kollektivbestrafung“ sei. Obgleich es das erklärte Ziel der Attentäter ist, den Israelis kollektiv ein „normales Leben“ unmöglich zu machen, wird das weder von EU noch UNO verurteilt.

Inzwischen wurde ein Helfer der Terroristen von Tel Aviv verhaftet. Es war also ein geplanter Anschlag und keine „spontane“ Aktion von Einzeltätern. Die Hamas-Organisation, von vielen Ländern als „Terror-Organisation“ eingestuft, übernahm zwar nicht die Verantwortung, erklärte aber, dass die Terroristen ihr nahestanden. Zwei Onkel der Attentäter sind Mitglieder des „militärischen Zweigs“ der Fatah-Partei.

Die Behauptung, dass Israel gegen das Völkerrecht verstosse, wenn es vertrauensbildende Gesten aufhebt, ist in diesem Fall besonders perfide. Schliesslich ist die gezielte Ermordung „unschuldiger Zivilisten“ ein Kriegsverbrechen. Die Feiern nach dem Anschlag bezeugen, dass viele Palästinenser damit sympathisieren. In Hebron gab es Feuerwerk. In Tulkarem, am Jerusalemer Damaskustor unter der zu Ehren des Ramadan aufgehängten Festbeleuchtung und in Gaza wurden Kuchen, Datteln und Süssigkeiten an Passanten ausgeteilt. Eine eindeutige Verurteilung liess nicht einmal Mahmoud Abbas verlauten, der angeblich so friedenswillige und zuletzt vor 10 Jahren gewählte Präsident der Autonomiebehörde.

Jene, die jetzt Israel wegen einer vermeintlichen „Kollektivbestrafung“ und „Eskalation der Spannungen“ bezichtigen, haben zuvor mit keinem Wort die von Israel beschlossenen „Gesten“ aus Anlass des muslimischen Fastenmonats Ramadan als Schritt zur Entspannung gewürdigt.

Auch die Beschuldigung, dass Israel seine „Blockade“ des Gazastreifens verschärft habe, ist sogar nach palästinensischen Angaben falsch. Gleichwohl werden auch friedliche Palästinenser durch die Folgen der Mordaktion „kollektiv bestraft“, denn bei hunderten Händlern in der Altstadt Jerusalems und in arabischen Dörfern bleiben die Kunden aus.

Doppelter Standard
Gleichgültig was die Israelis tun; die Palästinenser finden stets Ausreden für Mord und Totschlag. Europas gewählte Führer und Pressevertreter finden passende Argumente, um die palästinensischen Verbrechen zu rechtfertigen. Wenn in den arabischen Vierteln Jerusalems die Stadtverwaltung boykottiert wird und Israelis sich nicht immer effektiv um sie kümmern, gilt das als Grund, mit Äxten und Messern loszuziehen. Und wenn Israel kostenfreien Strom liefert, die Viertel ungefragt in Ordnung bringt und Festbeleuchtung aufhängt, werden unter den Girlanden die „erfolgreichen“ Morde gefeiert, ohne dass ein europäischer Demokrat diesen Zynismus verurteilt. Was immer israelische Regierungen tun: ihre Politiker gelten als Hardliner. Wann immer es Terroranschläge in Israel gibt: Schuld sind die Juden selbst.

Mit den von der EU in Nahost aufgestellten Regeln könnte man in Europa nicht einmal einen Kindergarten leiten.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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4 Kommentare

  1. Wie immer, lieber Ulrich Sahm, ein ausgezeichneter und zutreffender Beitrag zur Situation. Friedrich Holländer sang es schon in den 1920er Jahren “die Juden sind an allem schuld und warum, weil sie Juden sind” (Melodie aus Carmen)

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