Israels Palästinenser-Dilemma

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Das israelische Sicherheitskabinett in 2014. Foto: Government Press Office
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Seit die palästinensische Terrorwelle im September des Jahres 2000 begann, hat das israelische Gemeinwesen sich zunehmend mit der Wahrscheinlichkeit abgefunden, dass es auf der palästinensischen Seite keinen Partner gibt, der ein historisches Abkommen mit der jüdischen Nationalbewegung (dem Zionismus) erreichen würde. Die Hoffnung auf Frieden, welche durch den Oslo-Prozess in 1993 generiert wurde, ist durch die Erkenntnis ersetzt worden, dass der gewaltsame Konflikt vorerst nicht enden wird.

Von Efraim Inbar

Die feindseligen Darstellungen Israels im Bildungssystem und den offiziellen Medien der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) lassen wenig Zweifel daran, dass in der palästinensischen Gesellschaft ein rabiater Antisemitismus vorherrscht, der sicherstellt, dass der Konflikt mit den Juden anhält. Aus diesem Grund erscheint die zentrale Voraussetzung zunehmend unwahrscheinlich:  Die Voraussetzung lautete, dass eine Teilung des Landes Israel und die Etablierung einer politischen Entität für die Palästinenser (auch bekannt als das Zweistaatenparadigma) Frieden und Stabilität bringen würde. Unglücklicherweise ist dieses Paradigma zutiefst diskreditiert worden.

Es steht ausser Frage, dass die PA keine Intenionen hat, einen jüdischen Staat in irgendwelchen Grenzen zu akzeptieren. Doch auch bei konkreten, alltäglichen Problemen klaffen beide Seiten weit auseinander.    Palästinensische Forderungen nach der Kontrolle über den Tempelberg und dem sogenannten „Recht auf Rückkehr“ sind beispielsweise unüberwindbare Hindernisse. Jeglicher pragmatische Puls, der in der palästinensischen Politik entstehen könnte, wird konsequent durch die Hamas gekontert, deren steigender Einfluss den anschwellenden islamistischen Trend in der gesamten Region reflektiert.

Schlimmer noch – die Annahme, dass die Palästinenser fähig sind, einen Staat innerhalb der Parameter des Zweistaatenparadigmas zu etablieren, hat sich nicht bestätigt. Denn die PA war nicht in der Lage, die zahlreichen bewaffneten Gruppierungen loszuwerden und verlor Gaza an die Hamas, was die Unfähigkeit der Erhaltung von Strukturen in anderen arabischen Gesellschaften der Region wiederspiegelt.

Schliesslich gilt, dass langwierige ethno-religiöse Konflikte erst dann enden, wenn zumindest eine der Seiten kriegsmüde wird und die Energie verliert, den Konflikt am Laufen zu halten. Dies gilt weder für die israelische noch die palästinensische Seite.

Infolge dieser Trends hat Israel grundsätzlich, wenn auch nicht formell, auf eine kurzfristige Konfliktlösung zu verzichten begonnen und hat stattdessen zunehmend eine Strategie des geduldigen Konfliktmanagements angenommen. Aber eine solche Strategie bringt ihre eigenen Dilemmata  mit sich.

Das erste Dilemma besteht darin, ob Israel eingestehen sollte, dass es nicht mehr an ein anhaltendes Abkommen durch Verhandlungen in naher Zukunft glaubt.

Die Wahrheit hat ihre Tugenden, doch ein Grossteil der Welt will diese partikulare Wahrheit nicht hören und hält noch immer an einer unausführbaren Formel fest. Den Wünschen der internationalen Gemeinschaft durch die Teilnahme an Verhandlungen beizupflichten hat etwas für sich. Dies signalisiert, dass Israel für Konzessionen bereit ist, was die interne soziale Kohäsion aufrechterhält und Israel in einem guten Licht erscheinen lässt.

Andererseits erhalten Verhandlungen über eine zweifelhafte „Zweistaatenlösung“ eine fiktive Formel am Leben, und verhindern das Aufkommen neuer Überlegungen zu alternativen Lösungen. Zudem verlangt der „Friedensprozess“, dass Israel zu einem gewissen Masse palästinensischer Provokationen akzeptiert und sich bei Strafaktionen zurückhält.

Das zweite Dilemma hat mit dem „Zuckerbrot oder Peitsche“-Ansatz gegenüber den Palästinensern zu tun. Angesichts der Abwesenheit bedeutsamer Verhandlungen, hat Israel und insbesondere Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Förderung eines „wirtschaftlichen Friedens“ als Teil des Konfliktmanagements befürwortet. Dahinter steht die Annahme, dass hungrige Nachbaren Israel nicht weiterhelfen. Aus diesem Grund widersetzt sich Israel internationaler Finanzunterstützung für die PA nicht, trotz deren Korruption und Ineffizienz. Zudem stellt Jerusalem der PA und dem von der Hamas regierten Gaza zu dem Wasser und Elektrizität zur Verfügung.

Aber das Zuckerbrot schwächt die Wirkung der Peitsche ab. Die Palästinenser, daran muss erinnert werden, führen Krieg gegen Israel. Das Wesen des Kriegs besteht darin, der Gegenseite Schmerzen zuzufügen, um damit das kollektive Verhalten der Gegenseite zu beeinflussen. Ägypten beispielsweise entschied sich für einen Kurswechsel bezüglich Israel, weil es nicht länger bereit war, die Kosten des Konflikts zu tragen.

Die Palästinenser haben sich entschieden, ihre Ziele zu verfolgen, indem sie Israel kontinuierlich Schmerzen zufügen – statt grosszügige Friedensangebote von Ehud Barak (2000) and Ehud Olmert (2007) zu akzeptieren. Israel hat deshalb jedes Recht, sie zu bestrafen, in der Hoffnung, dass etwas Schmerz ihre zukünftigen Entscheidungen in eine produktive Richtung zu lenken. Mit dem Ansatz des „wirtschaftlichen Friedens“ schafft Israel aber keinen Anreiz für eine palästinensische Kursänderung und Mässigung, sondern signalisiert seine Hoffnungslosigkeit auf Änderung des palästinensischen Verhaltens.

Ein drittes Dilemma des „Konfliktmanagement“-Ansatzes besteht in der Frage, wie mit der feindseligen PA umzugehen sei, da diese hauptsächlich dank Israels Sicherheitsmassnahmen und seiner wirtschaftlichen Unterstützung überlebt.  Ein mögliches Szenario nach dem Kampf um die Nachfolge von Mahmud Abbas, sobald dieser die politische Bühne verlassen haben wird, ist der Kollaps der PA.

Ob ein solcher Kollaps der PA wünschenswert ist oder nicht, ist strittig. Einerseits propagiert die PA in ihrem Bildungssystem Hass gegen Israel, verfolgt eine anhaltende Kampagne der internationalen Delegitimierung Israels, und bestreitet die jüdische Verbindung zu Israel und insbesondere zu Jerusalem. Sie glorifiziert Terroristen und erlaubt diesen eine Vorbildfunktion in ihren Schulen. Sie stärkt gezielt die Feindseligkeit, welche den Konflikt befeuert und das Entstehen einer pragmatischeren palästinensischen Führung verhindert.

Andererseits nimmt die PA Israel praktischerweise die Bürde der Verantwortung über mehr als eine Million Palästinenser ab, die im Westjordanland leben. PA Sicherheitskräfte helfen dabei, den Einfluss der Hamas im Westjordanland zu bekämpfen (obwohl in einem viel geringeren Masse als der PA gemeinhin zugutegehalten wird). Das Wirken der PA, wenn auch imperfekt, hält die palästinensische Frage zudem von der Spitze der internationalen Agenda fern  – was sehr in Israels Interessen liegt. Chaos infolge eines totalen Kollapses der PA würde eine internationale Intervention heraufbeschwören.

Eine zusätzliche Frage betrifft den diplomatischen Aktivismus Israels  bezüglich der palästinensischen Frage [etwa Aktivtitäten gegen unilaterale Vorstösse der Palästinenser bei der UN, die dem Geiste der Osloer Abkommen widersprechen, Anmk. Audiatur]. Viele befürworten diplomatische Initiativen vonseiten Israels, um zu verhindern, dass globale Akteure nachteilige Pläne in ihre Agenda übernehmen. Das Wesen solcher Initiativen ist oftmals unklar, aber Aktivismus ist Teil des israelisch-zionistischen Ethos und „die Initiative übernehmen“ entspricht dem ungeduldigen israelischen Temperament.

Andererseits würde eine geduldige, abwartende Strategie anderen Akteuren erlauben, Fehler zu machen. Dies gäbe Israel den Freiraum, ein geeigneteres Umfeld abzuwarten. Tatsächlich wurde dieser Ansatz von David Ben-Gurion favorisiert. Er glaubte daran, auf Zeit zu spielen, um einen stärkeren Staat aufzubauen, und abzuwarten, bis Gegenspieler ihre radikalen Ziele mässigen.

Jedes dieser Dilemmata  führt zu einem strategischen Wagnis. Die kurzfristigen, existenziellen Sicherheitsimperative eines kleinen Staates komplizieren Israels Auswahl noch weiter. Selbst wenn Israels Führung sich zurecht dafür entscheidet, derzeit einen Konfliktmanagement-Ansatz zu verfolgen, befinden sie sich in einer wenig beneidenswerten Position.

Zuerst erschienen auf Englisch in der BESA Center Perspective Papers Serie. Efraim Inbar, Direktor des Begin-Sadat Center for Strategic Studies, ist ein Professor Emeritus an der Bar-Ilan Universität und ein Fellow beim Middle East Forum.

3 Kommentare

  1. Das Foto ist ein Symbolbild. Die im Artikel erwähnten den Dilemmata beschäftigten das israelische Sicherheitskabinett 2014 genauso wie sie es heute tun.

  2. Ok, Konfliktmanagement. Aber was soll es heißen? Konkret? Grob? Wenn es kaum Freiraum nach außen gibt und Europa nicht nachlässt?
    Schon in zwei Wochen beginnt die nächste Übung in der vergeblichen Diplomatie. Da werden die Friedensnobelpreisanwärter beraten. Den Juden zugute, versteht sich…

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