Israel gedenkt seiner Gefallenen

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Foto: Flickr/IDF
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Eineinhalb Millionen Menschen, fast ein Fünftel der Bevölkerung, werden am Mittwoch auf 52 Militärfriedhöfen zu Gedenkfeiern zusammenströmen, wenn Israel der 23.447 Soldaten und zivilen Opfer gedenkt, die es in seinem Kampf für Unabhängigkeit und Selbstverteidigung bisher verloren hat. So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. 

Ein Schleier schmerzlichen Verlusts wird sich nicht nur über die Friedhöfe, sondern über das gesamte Land senken und ein Gefühl der Melancholie, Nachdenklichkeit und Andacht wird den öffentlichen Raum erfüllen.

Wenn am Dienstagabend die Fahnen auf Halbmast gesenkt werden, schliessen auch Theater, Restaurants und Cafés ihre Türen; TV- und Radiosender übertragen Programme zum Andenken an die Verstorbenen, und traurige Musik; ein Fernsehsender sendet rund um die Uhr die Fotos gefallener Soldaten; in den Synagogen werden Gedenkgottesdienste geführt; und nach dem Ertönen des 60 Sekunden dauernden Sirenentons am Dienstagabend, welches die Gedenkzeremonie an der Klagemauer einläutet, werden am Mittwochmorgen im ganzen Land zwei Minuten lang Sirenen erklingen, was die Fussgänger auf den Bürgersteigen zum Stillstand bringt, während Verkäufer und Kunden in den Läden in ihrem Tun innehalten und die Autofahrer selbst auf Schnellstrassen anhalten, aussteigen und bewegungslos neben ihren PKWs, Bussen und Lastwagen stehenbleiben.

Im Gegensatz zu den Opfern des Holocaust, derer man in der Woche vor dem Volkstrauertag mit ebenso großer Feierlichkeit und Ritualen gedenkt, gehören die Gefallenen der IDF für die Israelis nicht der Vergangenheit an; im Geiste sind sie immer noch Teil der Gegenwart, kannten doch die meisten Israelis wenigstens einen – häufig sogar mehr – gefallenen Soldaten persönlich.

Wenn der Kantor der israelischen Streitkräfte am Dienstagabend das traditionelle Gebet „Barmherziger Gott“ anstimmt und darum bittet, dass den Gefallenen „vollkommener Friede unter den Flügeln der Gottheit“ gewährt werden möge, werden sich Tausende vor den heimischen Fernsehbildschirmen die Tränen aus den Augen wischen, während sie sich an Väter, Söhne, Ehegatten, Brüder, Cousins, Kindheitsfreunde und Waffenbrüder erinnern, die in den Krieg zogen und niemals zurückgekehrt sind.

Und dennoch, trotz dieser großen Reichweite und der Allgegenwärtigkeit von 16‘307 Familien Hinterbliebener in ganz Israel, berührt dieses Erlebnis ganz gewiss nicht jeden. Die Ultraorthodoxen und die arabische Bevölkerung dienen mehrheitlich nicht in der IDF, wenn auch die Ultraorthodoxen dies zunehmend tun, ebenso wie die arabische Minderheit der Drusen, die seit der Gründung Israels 400 Soldaten verloren hat, sowie viele der ursprünglich nomadischen Minderheit der muslimischen Beduinen, die 167 gefallene Soldaten zu beklagen hat.

Dennoch ist die Erinnerung an die Gefallenen ein zentraler Bestandteil der Erfahrungswerte der Israelis, insbesondere, da sie nicht nur den gefallenen Soldaten, sondern auch 2.527 zivilen Opfern gilt, die größtenteils den Bombardements israelischer Städte in früheren Kriegen, sowie in jüngerer Zeit auch Terroranschlägen – davon allein 32 in den vergangenen 12 Monaten – zum Opfer gefallen sind.

Die Israelis erkennen die Einzigartigkeit ihrer Erinnerungs-Kultur, wenn sie sehen, dass in den USA, abgesehen von Gedenkfeiern auf abgelegenen Friedhöfen und Sonderverkäufen in Kaufhäusern, der amerikanische Memorial Day ein Tag wie jeder andere ist.

Die Israelis gedenken ihrer Gefallenen nicht nur, weil die Anzahl der Todesopfer im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung relativ hoch ist oder weil so viele der Gefallenen heute eigentlich noch am Leben sein sollten, sondern weil der Kampf, in dem sie gestorben sind, immer noch kein Ende gefunden hat.

Auch wenn die Mehrheit der Opfer, derer man gedenkt, in den arabisch-israelischen Kriegen seit 1948 umgekommen ist, sind die Zeremonien des Gedenktages auch den jüdischen Bürgern gewidmet, die Opfer der Gewalt vor der Gründung des Staates Israel wurden, darunter 400 Opfer während des arabischen Aufstands von 1936-1939, 129 Opfer während der Pogrome von 1929 und vier weitere, die als anti-osmanische Spione im Ersten Weltkrieg umkamen.

Im Geiste der Israelis sind diese frühen Todesopfer alle ein Teil der kontinuierlichen Anstrengung zum Aufbau einer israelischen Demokratie auf angestammtem jüdischen Boden.

Wenn sie am Mittwoch den höchstgelegenen Militärfriedhof des Landes mit Ausblick über ganz Jerusalem besteigen, werden sich viele Israelis an den Wunsch Theodor Herzls erinnern, der diesem Berg seinen Namen verliehen hat und der auch selbst auf dem Gipfel begraben wurde und wo die Trauer des Tages in einem jähen Übergang in den Feuerwerken und dem Jubel des Unabhängigkeitstags endet:

„Wenn Ihr wollt, ist es kein Traum.“

Über Amotz Asa-El

Amotz Asa-El ist leitender Berichterstatter und ehemaliger Chefredakteur der Jerusalem Post, Berichterstatter Mittlerer Osten für Dow Jones Marketwatch, politischer Kommentator bei Israel's TV-Sender Channel 1 und leitender Redakteur des Nachrichtenmagazins Jerusalem Report.

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1 Kommentar

  1. Unter vielem anderen ist auch dies ein Kennzeichen ethisch-moralischer Höhe und grosser Menschlichkeit des jüdischen Volkes: kein Name wird vergessen und ausgelöscht, alle sind eingeschlossen in das ewige nationale Gedenken und die äusserst wertvolle Kultur des Jiskor.

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