Die Chancen für einen Seehafen in Gaza

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Hafen von Gaza. Foto Ramez Habboub. CC BY-SA 3.0, Wikimedia Commons.
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Angesichts steigender Besorgnis, dass Gazas schwache Konjunktur und hohe Arbeitslosigkeit Unruhen auslösen und zu erneuten Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hamas führen könnten, haben sich zahlreiche führende israelische Verteidigungsbeamte für einen Seehafen in Gaza mit den notwendigen Sicherheitsarrangements ausgesprochen.

Von Gilead Sher und Jonathan Heuberger

Die israelische Regierung hat, mit Blick auf die Interessen der regionalen Partner Israels und der eigenen Sicherheit, solche Pläne bislang nicht öffentlich befürwortet. Jedoch haben zwei Minister individuell ihre Unterstützung für die Konstruktion eines Hafens in Gaza kundgetan: Transportminister Yisrael Katz und Yoav Galant, zuständig für Wohnungsbau.

Die Forderung der Hamas nach einem Hafen basiert auf drei Zielsetzungen. Erstens würde ein unabhängiger palästinensischer Seehafen in Gaza, die Küste der Enklave mit der Aussenwelt verbinden, den Palästinensern Verkehrsfreiheit für Güter und Personen ermöglichen sowie das Gefühl von Autonomie und Selbstbestimmung . Zweitens würde dies einen wichtigen Sieg für die Hamas innerhalb des palästinensischen Schauplatzes bedeuten und ihren Status als regionaler Akteur anheben. Schliesslich könnte ein solcher Hafen Gazas schwache Wirtschaft ankurbeln; tatsächlich hat der Küstenstreifen den Grossteil der versprochenen Milliarden für seinen Wiederaufbau nie erhalten und leidet an der höchsten Arbeitslosigkeitsrate der Welt.

Israel hat ein starkes Interesse an einer langfristigen Waffenruhe mit der Hamas, deshalb ist die Entwicklung Gazas eine Angelegenheit von hoher strategischer Bedeutung. Die humanitäre Situation in der Enklave, gemeinsam mit der anti-israelischen Aufhetzung ist für Israel eine tickende Bombe. Zugleich ist israelischen Sicherheitsbeamten bewusst, dass ein palästinensischer Hafen in Gaza ohne adäquaten Sicherheitsarrangements eine grosse Gefahr darstellt. Der Hafen würde der Hamas erlauben, ihr Waffenarsenal zu erweitern – inklusive Mittel- und Langstreckenraketen, Flugabwehrsysteme und Panzerabwehrlenkwaffen – und könnte als Ein- und Ausreiseort für Terroristen von Hamas und von anderen Terrororganisationen dienen.

Hintergrund
Die Idee eines Seehafens in Gaza war bereits von Beginn an im Rahmen der Osloer Abkommen diskutiert worden und in die „Declaration of Principles on Interim Self-Government Arrangements“ aufgenommen, welche von Israel und der PLO 1993 unterzeichnet wurde. Die darauf folgenden Abkommen hielten fest, dass die Konstruktion eines Hafens in Gaza Gegenstand künftiger Verhandlungen sein soll und bekräftigten frühere Verpflichtungen diesbezüglich.

Israelische Sicherheitsorganisationen hatte von Anfang ernsthafte Vorbehalte gegenüber einem palästinensischen Hafen in Gaza aufgrund der Befürchtung, dass dieser zu einem neuen Grenzübergang für Terroristen und Waffen würde. Aus Sicht der israelischen Regierung könnte nur die IDF die effektive Überwachung von im Hafen eintreffenden Schiffen und Lieferungen garantieren. Obwohl Verträge für die Konstruktion des Hafens bereits 1994 unterzeichnet worden waren, verhinderten deshalb Meinungsverschiedenheiten über den Betrieb und die Sicherheitsbestimmungen des Hafens, damals vorgesehen als Hafen der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) unter israelischer Aufsicht, seinen eigentlichen Bau. Schliesslich wurden die Pläne für den Hafen im Sharm El Sheikh-Memorandum von 1999 festgelegt: Der Bau würde unmittelbar beginnen und die effektiven Sicherheits- und Zollinspektionen für Personen und Güter etabliert werden, entlang eines Kontrollgebietes. Der Bau des Hafens begann im Sommer 2000 und seine Fertigstellung war innerhalb von zwei Jahren vorgesehen. Allerdings stoppte Israel die Konstruktion kurz danach und die Baustelle wurde im Rahmen der Zweiten Intifada bombardiert und in Folge zerstört. Mit dem Ausbruch der Al Aqsa-Intifada stellten Geberstaaten ihre Unterstützung ein und die Konstruktion des Hafens kam zum Stillstand. Im Anschluss an die Waffenruhe der Operation Protective Edge, waren indirekte Verhandlungen zwischen Israel und Hamas, über die Palästinensische Autonomiebehörde geplant. Der Hafen wäre eines der Themen für die Diskussion gewesen.

Obwohl Israel den Gazastreifen vor über zehn Jahren restlos evakuiert hat, nehmen wichtige Akteure innerhalb der internationalen Gemeinschaft die Enklave noch immer als Gebiet innerhalb Israels Verantwortung war. Genauer, die aus Sicherheitsgründen angeordnete Seeblockade beeinflusst Israels Ansehen in der Welt negativ und stellt die Tatsache in den Schatten, dass Israel seine humanitären Verpflichtungen der Bevölkerung Gazas gegenüber tatsächlich eingehalten hat. Deshalb bleibt Gazas gegenwärtige Situation weiterhin Israels Problem, auch mit Blick auf die internationale Gemeinschaft.

Wie weiter?
Falls sich die israelische Regierung entscheidet, in ernsthafte Verhandlungen über die Konstruktion eines Seehafens für Gaza einzutreten, wird sie zwei unterschiedliche Optionen haben. Die erste ist die Erlaubnis für die Konstruktion eines Hafens in Gaza Stadt, entweder an oder vor der Küste. Die zweite Möglichkeit wäre der Bau eines Hafens für Gaza nicht in Gaza selbst sondern im ägyptischen El Arish oder dem israelischen Ashdod, mit designierten Quais für Lieferungen nach Gaza.

Falls die erste Option umgesetzt würde, könnte die Hamas einen politischen Sieg für sich beanspruchen. Ein palästinensischer Hafen in Gaza wäre die Antwort auf ihre Forderung nach Autonomie. Die Frage wäre dann, ob ein solcher Plan mit Israels Sicherheitsbedürfnissen in Einklang gebracht werden kann. Es ist unwahrscheinlich, dass Israel eigenes Personal riskieren würde, um Güter und Personen zu inspizieren, unabhängig davon, ob die Hamas einem solchen Vorgehen zustimmt. Überwachung durch Israel oder eine andere Drittpartei würde aber ohnehin die Bestrebungen der Hamas nach Verkehrsfreiheit, Autonomie und politischen Errungenschaften beeinträchtigen. Die Hamas wird sich mit einem weiteren Grenzübergang wie Kerem Shalom (unter israelischer Überwachung) nicht zufrieden geben.

Ägyptische Opposition und – zu einem geringeren Masse – Opposition durch die PA sind einer der Hauptgründe, weshalb Israels politische Führung den Plan für einen Seehafen nicht öffentlich gutgeheissen hat. Israel hat kein Interesse daran, Ägypten zu verstimmen; der wichtige regionale Akteur, der gegen eine gestärkte Hamas und türkische Pläne zum Wiederaufbau Gazas ist und sowohl die Hamas als auch die Türkei als Gegner betrachtet. Ebenso ist die PA nicht gut auf dementsprechende Pläne anzusprechen, aus Angst dass die Hamas durch einen solchen politischen Erfolg weitere Unterstützung gewinnen würde.

Deshalb sollte die Debatte über einen Seehafen in Gaza von drei grundsätzlichen Überlegungen geleitet werden. Erstens sollten die Vorschläge für einen Hafen die Bevölkerung Gazas und das akute Bedürfnis der Hamas nach einem erleichterten Personen- und Güterverkehr von und nach Gaza adressieren. Falls der Hafen letztlich nur einen weiteren Grenzübergang darstellt, von den Palästinensern als Symbol der israelischen Besatzung wahrgenommen, wird dies die Situation nicht substanziell verändern. Die fundamentale  Frage lautet, wie dies bewerkstelligt werden kann, ohne der Hamas einen politischen Sieg zu ermöglichen.

Zweitens, der Hafen muss die Sicherheitsbedenken von Israel und Ägypten adressieren. Damit eine fähige Drittpartei den Hafen überwachen kann, muss diese über das adäquate Equipment, die technologischen Geräte sowie das Mandat verfügen, um den Transfer von Waffen und Dual-Use-Gütern als auch die Ein- und Ausreise von Terroristen zu verhindern. Ohne Überwachung der Orte, in denen Baumaterialien und Dual-Use-Güter genutzt werden, werden solche Arrangements der Hamas auch weiterhin erlauben, diese Materialien für militärische unter terroristische Zwecke umzuleiten, etwa für den Bau von Angriffstunnels.

Drittens, die Konstruktion des Hafens sollte eine politische Übereinkunft zwischen den regionalen Akteuren beinhalten, inklusive einer langfristigen Waffenruhe. Weder Israel noch die Hamas sind gegenwärtig an erneuten Feindseligkeiten interessiert. Ein Hafenabkommen sollte deshalb in den Kontext des Waffenstillstands von 2014 gestellt werden, der indirekte Verhandlungen für den Bau eines Seehafens forderte.

In englisch zuerst erschienen bei INSS Insight No.804 „Prospects for a Gaza Seaport“.