Über die „Zensur“ in Israel

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Zu den Taktiken von Israelhassern gehört es, nach Juden zu suchen, die etwas Schlechtes über Israel sagen, und sie zu zitieren.

Was sie damit bezwecken, hat der deutsche Philosoph und Publizist Theodor Lessing 1931 in seinem berühmten Buch Der jüdische Selbsthass beschrieben:

„Es ist nun eine der tiefsten und sichersten Erkenntnisse der Völkerpsychologie, dass das jüdische Volk unter allen Völkern das erste, ja vielleicht das ein­zige Volk war, welches die Schuld am Weltgeschehen einzig in sich selber gesucht hat. Auf die Frage: ‚Warum liebt man uns nicht?’ antwortet seit alters die jüdische Lehre: ‚Weil wir schuldig sind’. Es hat grosse jüdische Denker gegeben, die in dieser Formel … und in diesem Erlebnis der Kollektiv-Verschuldung und Kollektiv-Verantwortung des Volkes Israel den ­innersten Kern der jüdischen Lehre erblickten.“

Ganz anders die Völker, die Lessing die „glücklichen und siegreichen“ nennt: Sie suchen, wenn sie das Unglück trifft, die Quelle nicht bei sich, sondern bei den anderen:

„Die Lage des jüdischen Menschen war somit doppelt gefährdet. Einmal, weil er selber auf die Frage: ‚Warum liebt man uns nicht?’ antwortet: ‚Weil wir schuldig sind.’ Sodann aber, weil die anderen Völker auf die Frage: ‚Warum ist der Jude unbeliebt?’ nun gleichfalls antworten konnten: Er sagt es selber. – Er ist schuldig.“

Eine Schweizer Gruppe von „Israelkritikern“ , die sich „Gesellschaft Schweiz Palästina“ nennt, verlinkte kürzlich auf ihrer Facebookseite einen Artikel, in welchem Autoren der linksgerichteten israelischen Website „972Mag.com“ über die israelische Militärzensur schreiben und darüber klagen, dass es Bestrebungen gebe, diese auf Websites und Blogs auszuweiten, was, so die Autoren weiter, ihre Berichterstattung gefährde.

Die „Gesellschaft Schweiz-Palästina“ kommentiert den Artikel triumphierend:

Screenshot Facebook
„Presse Zensur? ja, das gab es früher hinter dem eisernen Vorhang – aber in westlichen Staaten, die sich Demokratien nennen? Gewusst, dass in Israel in- und ausländische Journalisten unter permanenter Kontrolle der staatlichen Zensur stehen?“

Zensur in Israel! Das Bild des demokratischen jüdischen Staates hat ein Loch! Wahre Freiheit gibt es nur im judenfreien Teil von Palästina! Oder? Nein – nicht einmal laut dem von der „Gesellschaft Schweiz Palästina“ selbst vorgelegten Beweismittel. Am Ende jenes Textes heisst es: „[…] Von der viel schlimmeren Behandlung, die palästinensischen Journalisten durch die Palästinensische Autonomiebehörde und die Hamas widerfährt, ganz zu schweigen.“

Dieser Schuss also ging für die „Gesellschaft Schweiz-Palästina“ nach hinten los. Von einer Zensur, von der irgendwer behaupten könnte, sie diene einem Interesse der Gesellschaft, sind die Palästinensischen Autonomiegebiete weit entfernt. Dort dient sie allein den Eitelkeiten einer mafiösen Clique. Erinnert sei beispielhaft an den palästinensischen Studenten, der von Abbas’ Autonomiebehörde eingekerkert wurde, weil er nach einer 1:5-Schlappe der palästinensischen Fussballmannschaft gegen Jordanien auf Facebook die Tauglichkeit des PLO-Führers Jibril Rajoub als Vorsitzender des Fussballverbands in Frage gestellt hatte. Auch dass die wenigen Journalisten in Gaza, die sich trauen, die Hamas für deren schlechte Verwaltung des Territoriums zu kritisieren, oft eine Zeitlang im Folterknast verschwinden , ist bekannt.

Zensur in der Schweiz
Und dann gibt es noch demokratische Staaten, in denen nicht gefoltert wird, in denen es aber trotzdem eine Zensur gibt, die Geheimnisverrat bestraft. In der Schweiz sei dies „Alltag“, so ein Bericht der Journalistenwebsite „Medienwoche: Pro Jahr ergingen gemäss Polizeistatistik durchschnittlich zwei Anzeigen gegen Journalisten, weil sie aus geheimen Dokumenten zitiert hätten. Meist würden sie verurteilt, denn dem Bundesgericht genüge es bereits, wenn Journalisten aus einem Schriftstück zitierten, das für geheim erklärt wurde. Weiter heisst es in dem Bericht:

„Den höchsten Schweizer Richtern ist egal, wenn die ganze Schweiz dieses Geheimnis bereits kennt. Und dabei kann es um Banalitäten gehen – weit weg vom Landesverrat. Das musste zuletzt ein Journalist der NZZ am Sonntag erfahren, der aus einem (geheimen) Kommissionsprotokoll des Nationalrats Äusserungen der damaligen Justizministerin Eveline Widmer Schlumpf über den damaligen Bundesanwalt zitierte. Das alleine genügte dem Bundesgericht 2013 für eine Verurteilung.“

Nun, „Gesellschaft Schweiz-Palästina“, was sagen wir jetzt? Sowohl in der Schweiz als auch in Israel gibt es also eine Zensur, doch mit der in den Palästinensischen Autonomiegebieten, wo kritische Journalisten – mindestens – inhaftiert werden, haben beide Fälle nichts gemein.

„Archaische Form der Bürokratie“
Nachdem diese Frage geklärt ist, mag der Leser sich fragen, wie genau die Zensur in Israel denn eigentlich aussieht. Audiatur online fragte zwei israelische Journalisten nach ihren Erfahrungen.

Seth J. Frantzman, Redakteur der Meinungsseite der „Jerusalem Post“, sagt:

„Israel praktiziert eine Militärzensur der Presse. Das bedeutet, dass alle Zeitungen – und sicherlich auch alle anderen Medien wie etwa Blogs, Onlinemagazine und das Fernsehen – ihr Material einem Büro der Militärzensur vorlegen müssen, bevor sie es veröffentlichen. Dies funktioniert auf der Basis der Selbstverpflichtung: Von den Medien wird erwartet, dass sie etwas, von dem sie meinen, dass es geprüft werden müsse, einsenden. Üblicherweise schicken sie dann eine E-Mail oder ein Fax ans Militär.“

„Von den Medien wird erwartet, dass sie etwas, von dem sie meinen, dass es geprüft werden müsse, einsenden.“

Viele Journalisten, so Frantzman, lernten im Lauf der Zeit, wie sie über Dinge so berichten, dass der Zensor sie akzeptiere. „Statt etwa über die ‚israelischen Angriffe auf Syriens Atomanlagen’ zu schreiben, schreiben sie dann über die ‚israelischen Angriffe auf Syriens Atomanlagen, von denen ausländische Medien berichtet haben’.“

Es stimme, dass der Militärzensor in jüngster Zeit Blogger kontaktiert und versucht habe, sie dazu zu bewegen, ihr Material bei ihm einzureichen. „Statt die Rolle des Zensors zu vergrössern, sollte sie verringert werden“, fordert Frantzman. Es gebe keinen Beweis dafür, dass die Militärzensur in Israel jemals ein Geheimnis beschützt habe. Wenn es um inhaftierte Terroristen oder die Einschlagstelle von Hamas-Raketen gehe, dann berichteten ausländische Medien darüber, bevor dies den israelischen erlaubt sei. „In einer Welt der Onlinemedien gibt es anders als im Jahr 1950 keine Grenzen mehr – alle Informationen eines Blogs in Spanien oder dem Libanon über etwas, was Israel angeblich gemacht hat, stehen auch allen Israelis offen. Das Einzige, was der Zensor erreicht, ist, dass die israelischen Medien gewisse Sachverhalte umständlicher berichten müssen“, so Frantzman. Er hält die Zensur darum für „eine archaische Form der Bürokratie“, die keinen Nutzen habe. „Wenn Israel Operationen geheim halten will, dann muss es herausfinden, auf welchem Weg geheime Informationen an ausländische Medien gelangen. Bessere Geheimhaltung also ist nötig – und nicht etwa mehr Zensur.“

Behindert die Militärzensur die freie Meinungsäusserung? Ruthie Blum, die Internetredakteurin der jüdisch-amerikanischen Wochenzeitung „The Algemeiner”, ehemalige Redakteurin der “Jerusalem Post” und Kolumnistin von Israels grösster Tageszeitung „Israel Hayom“, antwortet:

“Als jemand, der viele Jahre lang als israelische Journalistin und Redakteurin gearbeitet hat, kann ich Ihnen versichern, dass die Militärzensur völlig neutral ist, wenn es um andere Dinge als Sicherheitsbedenken geht.“ Für Militärreporter sei es zwar immer „lästig“, ihre Artikel dem Zensor vorzulegen, weil es Zeit koste und man nie wisse, was herausgestrichen werde. „Manchmal ist es zudem unklar, warum das Berichten bestimmter Fakten nicht erlaubt ist, vor allem dann, wenn ein Politiker gerade öffentlich darüber gesprochen hat.“

Auch Blum bemerkt, dass es eine kuriose Begleiterscheinung der Zensur sei, dass israelische Journalisten nicht über ein bestimmtes Detail berichten dürften, obwohl es längst in der ausländischen Presse stehe oder im Internet zirkuliere. „Doch auch, wenn die die Zensur ein nutzloses – und manchmal lächerliches – Unterfangen ist, zielt sie nie darauf, die Pressefreiheit einzuschränken.“

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Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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