Einmal im Jahr fällt Bayreuth ein überregionales, ja, sogar europaweites Interesse zu – dann nämlich, wenn dort im Sommer die Richard-Wagner-Festspiele stattfinden und sich allerlei eitle Prominenz ein Stelldichein gibt.
Dass die oberfränkische Provinzstadt, in der es sonst eher betulich zugeht, auch in den vergangenen Tagen über ihre Grenzen hinaus für Gesprächsstoff gesorgt hat, hängt mit der Entscheidung des Stadtrates zusammen, der amerikanischen Organisation »Code Pink« am 15. April den von der Stadt Bayreuth gestifteten »Wilhelmine-von-Bayreuth-Preis für Toleranz und Humanität in kultureller Vielfalt« zu verleihen. Dieser Preis geht, so steht es auf der Website der Stadt, seit 2008 jedes Jahr an »Akteurinnen und Akteure eines offenen interkulturellen Dialogs, international engagierte Kulturschaffende, die sich für die Verbindung unterschiedlicher Kunst- und Kulturformen einsetzen, Personen oder Gruppen, die sich auf internationaler Ebene für Humanität und Toleranz engagieren, und visionäre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die über die Grenzen ihrer Disziplin hinaus an Zukunftsfragen arbeiten«. Dotiert ist er mit 10.000 Euro.
»Code Pink« engagiere sich, so die Begründung für die Auswahl des diesjährigen Preisträgers, als basisdemokratische Bewegung unter anderem für die Beendigung von militärischen Konflikten und für die Verhinderung neuer Kriege. Das klingt edel, hilfreich und gut – bis man die Aktivitäten der Organisation genauer unter die Lupe nimmt. Genau das hat Benjamin Weinthal getan, der Europakorrespondent der israelischen Tageszeitung »Jerusalem Post«. Er fand unter anderem heraus, dass eine der Führungsfiguren von »Code Pink« im September 2014 in Teheran an einer Konferenz von Holocaustleugnern und Verschwörungstheoretikern teilgenommen hatte, dass die Gruppe die antiisraelische Boykottbewegung unterstützt und dass sie den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu als Wiedergänger von Adolf Hitler betrachtet. Ausserdem hält sie Israel für einen Apartheidstaat und scheut sich nicht, mit der Hamas zu kooperieren.
Als all dies bekannt wurde, gab es Kritik an der Entscheidung, »Code Pink« mit einem Preis für Toleranz und Humanität auszuzeichnen. Das Simon Wiesenthal Center beispielsweise forderte die Stadt Bayreuth auf, »niemanden zu ehren, der sich mit Holocaustleugnern, die bekanntlich nach der Zerstörung des demokratischen jüdischen Staates streben, gemein macht«. Die Anti-Defamation League in New York schloss sich an: »Gerade wenn man die Geschichte von Bayreuth und die Verbindungen der Stadt zum Antisemitismus von Richard Wagner bedenkt, ist es besonders wichtig für sie, dass sie die Auszeichnung von ›Code Pink‹ zurücknimmt.« Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, er halte die Ehrung für »sehr bedauerlich und nicht nachvollziehbar«. Und der Vorstand der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe schrieb in einem Brief an die Stadt: »Wir haben keine Zweifel an der israelfeindlichen Grundhaltung von ›Code Pink‹ und halten sie daher nicht für geeignet, einen Preis für Toleranz oder gar Humanität zu erhalten.«
Die Bayreuther Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe wollte daraufhin die Ehrung stoppen. »Aus Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus und im Wissen um die Geschichte halte ich es für richtig, die Preisverleihung nicht vorzunehmen«, sagte sie. Ihr Vorgänger im Amt, der jetzige CSU-Stadtrat Michael Hohl, war anderer Ansicht und kam zu dem erstaunlichen Schluss: »Ich habe in all den Zitaten und Informationen keinen Beleg dafür gefunden, dass ›Code Pink‹ das Existenzrecht Israels bestreitet, den Holocaust leugnet oder antisemitisch ist.« Die Grünen im Rat der Stadt stellten schliesslich den Antrag, die Auszeichnung der amerikanischen NGO wie geplant Mitte April vorzunehmen. Dieser Antrag wurde mit 23 zu 18 Stimmen angenommen. Was das bedeutet, fasste der israelische Botschafter in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, so zusammen: »Die Definition von Toleranz und Humanität in Bayreuth ist anscheinend: mit Holocaustleugnern in Iran zusammenzuarbeiten, Juden zu boykottieren und Israel das Existenzrecht abzusprechen.«
Tatsächlich ist es gerade die Dämonisierung und Delegitimierung des jüdischen Staates unter missbräuchlicher Berufung auf die Menschenrechte, die als Teil einer gegen Israel gerichteten Kriminalisierungsstrategie immer stärker an Bedeutung und Popularität gewinnt. »Code Pink« vertritt diese Strategie geradezu in Reinform und schreckt dabei nicht einmal vor der Kollaboration mit denjenigen zurück, die sich die Vernichtung Israels auf die Fahne geschrieben haben. Mit welch unheilbar gutem Gewissen das auch noch geschieht, machte Elsa Rassbach, eine deutsche Sprecherin von »Code Pink«, deutlich, als sie fand, Deutschland habe gerade wegen seiner Geschichte eine besondere Berechtigung, internationales Recht einzufordern und Menschenrechtsverletzungen anzuprangern – auch in Israel. Zu diesem Typus des »Gerade wir als Deutsche«-Deutschen hat der Publizist Wolfang Pohrt schon vor über 30 Jahren gesagt, was zu sagen war:
»Mit den Verbrechen, die Deutschland an den Juden und an der Menschheit beging, hat es sich eigenem Selbstverständnis gemäss das Vorrecht, die Auszeichnung und die Ehre erworben, fortan besondere Verantwortung zu tragen. Der Massenmord an den Juden verpflichte, so meint man, Deutschland dazu, Israel mit Lob und Tadel moralisch beizustehen, damit das Opfer nicht rückfällig werde. Zwei angezettelte Weltkriege böten, so meint man weiter, die besten Startbedingungen, wenn es um den ersten Platz unter den Weltfriedensrichtern und Weltfriedensstiftern geht – frei nach der jesuitischen Devise, dass nur ein grosser Sünder das Zeug zum grossen Moralisten habe. Je schrecklicher die Sünde, desto tiefer die Busse und Reue, je tiefer die Busse und Reue, desto strahlender am Ende die moralische Überlegenheit.«
Eine moralische Überlegenheit, die folgerichtig schnurstracks zur Verleihung von Preisen für stramm israelfeindliche Vereinigungen führt. Im Namen von Humanität und Toleranz, versteht sich. Richard Wagner wäre gewiss begeistert gewesen.
Zuerst erschienen bei fisch+fleisch.
- Die Unbelehrbarkeit der Documenta-Verantwortlichen - 3. August 2022
- Documenta-Macher wollen BDS salonfähig machen - 26. Mai 2022
- Der Mythos von der israelischen »Wasser-Apartheid« - 21. Oktober 2021