Angesichts der Gräueltaten salafi-jihadistischer Organisationen wie des Islamischen Staates oder Boko Haram und der Gefahr von Jihadreisenden und Rückkehrern, geht oftmals vergessen, dass es neben den Verfechtern des islamischen Kalifates auch andere Terrorentitäten mit einem globalen Netzwerk und dementsprechenden Kapazitäten gibt. Die Rede ist hier von der libanesischen Hisbollah, welche der damalige U.S. Vize-Aussenminister Richard Armitage kurz nach dem 11. September als das „A-Team des internationalen Terrors“ bezeichnete.
In der Tat ist die Hisbollah, die in den frühen 1980er Jahren in Folge der israelischen Operation „Frieden für Galiläa“ im Libanon entstand, noch immer eine der komplexesten und gefährlichsten Terrororganisationen in der Welt. Mittels massiver iranischer Unterstützung hat die Hisbollah ein weltweites Netzwerk aufgebaut, welches zahlreichen kriminellen Aktivitäten auf allen Kontinenten nachgeht. Hisbollahs geheimer Terrorarm hat wiederholt demonstriert, dass die „Partei Gottes“ nahezu überall in der Welt Attacken gegen ihre Feinde planen und durchführen kann.
Eine hybride Organisation
Zugleich ist die Hisbollah eine soziale Bewegung, die Da’wa betreibt, d.h. Fürsorgearbeit kombiniert mit religiöser Schulung bzw. Indoktrinierung. Ihr militärischer Flügel stellt die Libanesische Armee in den Staaten und ist weiterhin die grösste Gefahr an Israels nördlicher Grenze. Zudem wäre das Assad-Regime in Syrien ohne die Unterstützung der Hisbollah innert kürzester Zeit gefallen. Nicht zuletzt verfügt die Organisation auch über eine politische Plattform und ist seit den 1990er Jahren ein einflussreicher politischer Akteur innerhalb Libanons. Angesichts all dieser zahlreichen Facetten – die Hisbollah fungiert zusätzlich auch als „Stellvertreter“ für den Iran – ist die Hisbollah von Sicherheitsexperten als der Archetyp einer hybriden Organisation beschrieben worden.
Hisbollahs Aktivitäten in Südamerika begannen bereits Mitte der 1980er Jahre und insbesondere ihre Präsenz im Länderdreieck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay sind gut dokumentiert, ebenso wie die beiden Anschläge in Buenos Aires – 1992 gegen die israelische Botschaft und 1994 gegen das jüdische Gemeindezentrum AMIA – welche die Hisbollah mittels iranischer Unterstützung durchführte. In jüngster Zeit haben sich Forscher und Sicherheitsexperten auch zunehmend mit den Verbindungen zwischen der Partei Gottes und mexikanischen Kartellen beschäftigt. Wesentlich weniger Aufmerksamkeit wurde aber bislang ihrer Präsenz in Venezuela gewidmet, obwohl das Verhältnis zwischen Hisbollah, Teheran und Caracas ein Paradebeispiel für die Verflechtung von Kriminalität, Terror, und staatliche Unterstützung darstellt.
Die Präsenz der Hisbollah in Venezuela datiert mindestens 20 Jahre zurück. Bereits in den 1990er Jahren hatte Hisbollah Berichten zufolge Zellen etabliert, die sich hauptsächlich auf die Margarita Insel konzentrierten, eine Freihandelszone vor der Küste, auf der ungefähr 12‘000 Araber leben, darunter Shi’iten aus dem Libanon. Insbesondere aber der Wahlsieg von Mahmud Ahmadinejad in 2005 und die darauffolgende Stärkung der Beziehungen zwischen Iran und Südamerika waren eine „Spielwende“ für die Aktivitäten von Hisbollah und den Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) in der Region. Tatsächlich erhöhte der Iran die Anzahl seiner südamerikanischen Botschaften nach Ahmadinejads Wahlsieg von fünf zu zwölf und gründete zudem 17 „Kulturzentren“.
Der verstorbene Präsident Venezuelas, Hugo Chávez, verfolgte nach der Wahl Ahmadinejads eine aggressive Politik der Annäherung an den Iran und bezeichnete dessen Präsidenten während eines offiziellen Besuchs in Caracas in 2007 als „einer der grossen Kämpfer für Frieden“. Zudem sprach Chávez während dem Zweiten Libanonkrieg offen seine Unterstützung für die Hisbollah aus.
Verbindungen zu venezolanischen Regierungskreisen
Hisbollah-Unterstützer in Venezuela, darunter der venezolanische Diplomat Ghazi Nasreddine, werden vom U.S. Finanzministerium bezichtigt, die Organisation mit erheblichen finanziellen Mitteln zu unterstützen. Zudem hätten sie die Reisen von Hisbollah-Mitgliedern nach Venezuela organisiert, wo diese Spenden für die Partei sammelten und die Eröffnung eines durch die Hisbollah gesponserten Gemeindezentrums in Venezuela ankündigten. Nasreddine gilt als Schlüsselfigur der Hisbollah in Venezuela aufgrund seiner Verbindungen zu Chávez‘ ehemaligen Innen- und Justizminister Tarik El Aissami.
El Aissami wiederum wird von der venezolanischen Opposition beschuldigt, eine Anzahl junger libanesischen und syrischen Männern mit venezolanischen Visa ausgestattet und zudem venezolanische Jugendliche von arabischer Herkunft für Trainingslager im Libanon und in Iran rekrutiert zu haben. Inländischen Medienberichten zufolge stattete er zudem Mitglieder von Hamas und Hisbollah mit venezolanischen Pässen aus. U.S. Behörden haben wiederholt davor gewarnt, dass venezolanische Behörden tausende gefälschte Cedolas (das venezolanische Äquivalent der U.S. Sozialversicherungsausweise) an Personen aus dem Nahen Osten ausgestellt zu haben, die es diesen ermöglichen, einen venezolanischen Pass und daraufhin ein U.S. Visum zu erlangen.
Zudem gibt es zahlreiche Indizien dafür, dass die Hisbollah massiv in Drogenhandel in Venezuela involviert ist. Gemäss des in Kolumbien verhafteten Walid Makled, einer der Schlüsselfiguren in venezolanischen Drogengeschäften, sei die politische Elite des Landes in Drogenschmuggel zugunsten von Hisbollah und der kolumbianischen Guerillabewegung FARC involviert.
Drogenschmuggel und Geldwäscherei
Und auch der Bruder des bereits erwähnten Hisbollah-Unterstützers Ghazi Nasreddine soll in kriminelle Aktivitäten zugunsten der Hisbollah verwickelt sein. Abdallah Nasreddine ist ansässig auf der Margarita Insel, von wo er Berichten zufolge Geldwäsche betreibt und viele der Hisbollah-Geschäfte in Südamerika handhabt. Laut einem Expertenbericht ist die Margarita Insel mittlerweile sogar von grössere Bedeutung für die Hisbollah als das Länderdreieck zwischen Brasilien, Paraguay und Argentinien. Kriminelle Aktivitäten auf der Insel umfassen unter anderem Drogenschmuggel, Geldwäsche, sowie die Fälschung von Dokumenten.
Aufgrund seiner geographischen Nähe dient Venezuela zudem als Ausgangspunkt für Drogenschmuggelunternehmungen nach Westafrika. Gemäss Aussagen anlässlich eines US-Hearings, ist die Hisbollah in solche Operationen involviert und kooperiert dabei eng mit der FARC, die ein Drogenschmuggel-Netzwerk von Westafrika nach Europa unterhält. Angesichts der Verbindungen von Teilen der venezolanischen Regierung zur FARC, kann davon ausgegangen werden, dass Venezuela die Zusammenarbeit zwischen FARC und Hisbollah zumindest begünstigt hat.
Zudem wurde gemäss Berichten von venezolanischen Überläufern die Fluglinie Teheran-Damaskus-Caracas dazu benutzt, um Drogen und Geld zur Finanzierung iranischer Aktivitäten in Südamerika nach Venezuela zu schaffen. Zudem waren diese Flüge offenbar reserviert für Mitglieder von IRGC und Hisbollah, die in das Land einreisen konnten, ohne dabei Zoll und Grenzkontrolle zu durchqueren. Derzeit gibt es widersprüchliche Informationen, ob diese Flüge im Jahr 2010 einstellt worden oder weiter, aber in einem reduzierten Ausmass, existieren.
Venezuela als Operationsbasis
Während sich die Hisbollah in Venezuela hauptsächlich auf Logistik und Geldbeschaffung konzentriert, gibt es auch einige Indizien für iranische und Hisbollah-Aktivitäten, die darüber hinausgehen. Der Direktor der U.S. Defense Intelligence Agency (DIA), Lt. Gen. Ronald L. Burgess, stellte etwa eine erhöhte Präsenz der „Qods Force“, die Spezialeinheit der IRGC, „in Südamerika und insbesondere in Venezuela“ fest. Im Jahr 2009 fanden türkische Behörden Material zur Herstellung von Sprengkörpern, als sie eine Lieferung vermeintlicher „Traktorteile“ von Iran nach Venezuela kontrollierten.
Einer der Haupt-Unterstützer der Hisbollah in Venezuela soll gemäss U.S. Behörden die Möglichkeit von Entführungen und Anschlägen mit führenden Hisbollah-Mitgliedern in Libanon diskutiert haben und zu Ausbildungszwecken in den Iran gereist sein. Gemäss einem Artikel in der Los Angeles Time von 2008 fürchteten westliche Sicherheitskreise zudem, dass die Hisbollah Venezuela als Operationsbasis nutzt und venezolanische Informanten anheuerte um Informationen über jüdische Touristen als potenzielle Ziele zu sammeln.
Zudem fanden britische Sicherheitskräfte im Februar 2003 eine Handgranate im Gepäck eines Reisenden namens „Mohammed Alan“, der einen venezolanischen Pass mit sich führte. Offenbar war die Granate als Detonationsmechanismus für einen grösseren Sprengkörper in einer Tasche vorgesehen gewesen. Alans Pläne wurden jedoch durchkreuzt, als das Flugpersonal die Tasche in das Gepäckabteil des Flugzeugs transferiert, da sie nicht in das Gepäckfach in der Kabine passte. Gemäss einer anonymen Quelle innerhalb der venezolanischen Sicherheitsbehörden war der Pass des Tatverdächtigen gefälscht und er selbst verfügte über familiäre Verbindungen zur Chavez-Regierung sowie möglicherweise zu Hisbollah Operationen auf der Margarita Insel.
Kein Wandel in Sicht
Nach dem Tode von Präsident Hugo Chavez stellte sich die Frage, wie sich sein Ableben auf die Beziehungen zwischen Venezuela auf der einen Seite und Hisbollah und Teheran auf der anderen auswirken würde. Bislang hat sich kein Wandel abgezeichnet und Chávez‘ Nachfolger Nicholas Máduro scheint entschlossen, die anti-westlichen Allianzen seines Vorgängers mit befreundeten Staaten als auch nicht-staatlichen Akteuren fortzuführen. Im Gegenzug dürfte ihm die Unterstützung durch die Hisbollah weiterhin gewiss sein. So verkündete etwa Hisbollah-Mann Ghazi Nasreddine seine Unterstützung für Maduro, als dieser im Frühjahr 2014 brutal gegen Demonstrationen der venezolanischen Opposition vorging.
Der vorliegende Artikel basiert auf einer längeren Forschungsarbeit des Autors. Das Original (in Englisch) findet sich hier: An Unholy Trinity: Terrorism, Crime, and State-sponsorship – The Case of Hezbollah in Venezuela