Die Sanktionen gegen den Iran sind Geschichte, und sowohl das Regime in Teheran als auch der Westen bejubeln diesen Schritt frenetisch. Die Welt, so heisst es, sei nun sicherer. In Israel sieht man das gänzlich anders – aus gutem Grund.
Benjamin Netanjahu wurde deutlich. «Es macht nicht Frieden wahrscheinlicher, wenn man den aggressiven Iran mit Dollar und Waffen versorgt, sondern Krieg», sagte er. Mehr Geld durch den Kompromiss mit dem Regime in Teheran bedeute «mehr Repression im Iran und mehr Aggression aus dem Iran». Dass man einen «wahnsinnigen Tiger in ein Kätzchen verwandeln» kann, sei ein Irrglaube. Die Worte des israelischen Premierministers hätten schärfer kaum sein können. Gesprochen hat er sie Anfang Oktober des vergangenen Jahres auf der UN-Vollversammlung. Sie waren eine Warnung davor, die Sanktionen aufzuheben. Doch genau das ist nun geschehen: Weil die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) dem Iran bescheinigt hat, seine Verpflichtungen aus dem im Juli 2015 vereinbarten Abkommen von Wien über den Rückbau seines Nuklearprogramms erfüllt zu haben, beendet der Westen sein Embargo.
Die iranische Führung ist davon begeistert. Von einer «goldenen Seite», die für die Geschichte seines Landes aufgeschlagen worden sei, sprach Präsident Hassan Rohani. Auch westliche Politiker sind euphorisiert. Der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier etwa hält den Schritt für «einen historischen Erfolg der Diplomatie», sein britischer Amtskollege Philip Hammond glaubt, «der Nahe Osten und die weitere Welt» würden nun «zu einem sichereren Ort». Genauso sieht es der amerikanische Aussenminister John Kerry. Benjamin Netanjahu dagegen unterstrich seine Einschätzung vom vergangenen Oktober noch einmal. Er erklärte, Teheran werde den Nahen Osten weiter destabilisieren und weltweit den Terrorismus verbreiten. Das iranische Regime habe sein Streben nach Atomwaffen keineswegs aufgegeben.
Die atomare Option bleibt, die Aufrüstung kommt
In der Tat behält der Iran grundsätzlich «die technologischen Instrumentarien, um die Verwirklichung seiner Atompläne bei Bedarf wieder zielstrebig in Angriff zu nehmen», wie Richard Herzinger schreibt. «Alleine, dass es über diese Option – nunmehr mit dem faktischen Plazet des Westens – weiterhin verfügt, verschafft dem Regime in der weltpolitischen Arena ein Droh-und Erpressungspotenzial, das ihm einen erheblichen Zuwachs an Einfluss in der Region sichert.» Teheran weiss ausserdem, dass eine Wiedereinsetzung der Sanktionen nach etwaigen Verstössen gegen das Abkommen von Wien unrealistisch und deshalb unwahrscheinlich ist. Zumal internationale Unternehmen und Wirtschaftsverbände das Ende des Embargos frenetisch bejubeln, weil sie nun auf extrem lukrative Aufträge hoffen dürfen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie beispielsweise rechnet damit, dass das Handelsvolumen mit dem Iran von zuletzt 2,4 Milliarden Euro jährlich langfristig auf zehn Milliarden Euro pro Jahr steigt.
Zwischen 100 und 150 Milliarden Euro an «eingefrorenen» Geldern werden für den Iran sofort frei. Das Land verfügt über die zweitgrössten Gas- und die viertgrössten Erdölreserven der Welt. Weite Teile der iranischen Wirtschaft werden von den berüchtigten Revolutionsgarden kontrolliert. «Die Aufhebung der Sanktionen wird nicht nur der iranischen Wirtschaftskraft einen spektakulären Schub verleihen, sondern auch den Aufrüstungsplänen des Regimes mächtigen Auftrieb geben», befindet Richard Herzinger. «Nach eigenen Angaben will Teheran fürs erste 21 Milliarden Dollar in die Modernisierung und den Ausbau seiner militärischen Ausrüstung investieren.» Dazu gehören Düsenjäger, Panzer, Boden-Meer-Raketen und Luftabwehrraketen, alles aus russischer Produktion.
Erhöhte Gefahr für Israel
Der Deal von Wien und die Ausserkraftsetzung der Sanktionen stärken das Regime in Teheran erheblich – wirtschaftlich wie auch politisch. Die Vereinbarungen wirken wie ein Freibrief für den Iran, seine kriegerische, auf Hegemonie in der Region zielende, destabilisierende Aussenpolitik fortzusetzen. In Syrien, im Irak, im Libanon und im Jemen wird die »Islamische Republik« ihren Einfluss weiter ausdehnen. Die libanesische Hisbollah, die auch in Syrien kämpft, wird vom neuen iranischen Geldsegen ebenfalls erheblich profitieren. Zuletzt hatte Teheran die monetäre Unterstützung der antisemitischen Terrororganisation um 40 Prozent gekürzt, um den Krieg in Syrien zu finanzieren. Nun kann die Gotteskriegerpartei damit rechnen, wieder deutlich mehr Mittel und Waffen zur Verfügung gestellt zu bekommen. Damit erhöht sich auch die Gefahr für Israel: «Der Süden Syriens könnte werden, was der Süden des Libanons schon ist: ein von der Hisbollah kontrolliertes Gebiet an Israels (nördlichen) Grenzen», sagt Daniel Nisman vom Nahost-Think-Tank «Levantine Group».
Hinzu kommt, dass der Iran weiter sein konventionelles, gegen Israel gerichtetes Raketenprogramm ausbauen kann – denn dieses war kein Bestandteil des Wiener Abkommens. Zwar hat die amerikanische Regierung deshalb neue Sanktionen gegen das iranische Regime verhängt. Doch das dürfte kaum mehr als eine «wenig effektive Alibigeste» (Herzinger) gegenüber dem jüdischen Staat sein. Von ihren Vernichtungsdrohungen gegen Israel wird sich die iranische Führung dadurch jedenfalls nicht abbringen lassen – und darauf hat auch weder im Zuge des Wiener Deals noch danach je eine Regierung ausser der israelischen ernsthaft gedrängt. Folgerichtig sagte der oberste religiöse Führer des Iran, Ali Khamenei, noch im September des vergangenen Jahres: «Mit Gottes Hilfe wird es in 25 Jahren kein zionistisches Regime mehr geben.» Wie ungebrochen der iranische Antisemitismus ist, zeigt sich aber auch daran, dass es in diesem Jahr erneut einen «Karikaturen-Wettbewerb» zum Holocaust geben soll. Er wird von der Teheraner Stadtverwaltung organisiert und im Juni in Mashhad durchgeführt.
Trauriger Hinrichtungsrekord
Ohnehin hat sich am Charakter des iranischen Regimes seit dem Amtsantritt Hassan Rohanis nichts geändert, wie der wissenschaftliche Direktor von «Stop the Bomb», Stephan Grigat, zu Recht feststellt: «Derzeit findet im Schatten von Rohanis Charmeoffensive die schlimmste Verhaftungswelle im Iran seit 2009 statt. Sein angeblich moderates Regime stellte 2015 einen traurigen Hinrichtungsrekord mit über 1.000 Toten auf.» Im Rahmen des Revolutionsexports führe das Regime «Krieg in Syrien, im Jemen sowie im Irak und befeuert über Terrororganisationen wie der Hisbollah den Dschihad gegen Israel, während die Spitzen des Regimes immer wieder den Holocaust leugnen». Wer mit dem Iran Geschäfte mache, finanziere diese Politik des Regimes. Genau das aber geschieht nun in einem immensen Ausmass. Wie hatte es Benjamin Netanjahu vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen formuliert? «Es macht nicht Frieden wahrscheinlicher, wenn man den aggressiven Iran mit Dollar und Waffen versorgt, sondern Krieg.» Er hat, so steht zu befürchten, schlichtweg recht.
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