Der Islamische Staat nimmt nun auch die Juden ins Visier

0
Foto Twitter
Lesezeit: 6 Minuten

Im Grunde waren die Kurden bislang die Einzigen, die vor Ort etwas unternommen haben, um den Islamischen Staat zu bekämpfen und jesidische Männer, Frauen und Kinder vor Versklavung und Tod zu retten.

Von Shmuley Boteach

Jahrelang dachte der Westen, er könne diesen in Syrien und Irak wütenden „gezügelten“ Holocaust ignorieren.

In den vergangenen Monaten jagte der Islamische Staat (IS) eine russische Passagiermaschine in die Luft, Frankreich musste mit ansehen, wie seine Bürger in den Strassen von Paris massakriert wurden und die USA erlebten ein Blutbad mit 14 Toten im sonnigen Kalifornien. Diese Taten verlängern die stetig wachsende Liste der vom IS inspirierten Angriffe und versuchten Anschläge, die die westliche Welt dazu gebracht haben, ihre Augen für das weltweit um sich greifende Böse zu öffnen.

Und jetzt, da endlich eine Reihe von bereitwilligen Nationen den Kampf gegen den IS verschärft – wobei nicht die USA, sondern Russland die Führung übernommen hat – gerät der IS plötzlich in Bedrängnis, weil Territorien verloren werden und seine Kämpfer den Mut verlieren.

Was mich bei all diesen Geschehnissen jedoch am meisten überrascht hat, ist die Tatsache, dass der IS und sein Anführer Abu Bakr Al-Baghdadi Israel oder die Juden bisher nicht im Geringsten erwähnt haben. Die ganze Zeit über habe ich auf den unvermeidlichen Tag gewartet, an dem der IS seine Absicht, Israel zu zerstören und Völkermord am jüdischen Volk zu begehen, erklären würde.

Denn es ist so etwas wie ein Zeichen des Mündigwerdens, der Initiation ins Erwachsenenleben einer Terroristengruppe, wenn der Tag gekommen ist, an dem sie ihre Absicht verkündet, die Israeliten auszulöschen. Aber Wochen und Monate sind vergangen, ohne dass wir auch nur das Geringste gehört hätten.

Ich war nicht der einzige, der dies bemerkt hat. Während der letzten Jahre war es eines der Lieblingsgerüchte unter Verschwörungstheoretikern und Israel-Hassern gleichermassen, dass der IS eigentlich eine Organisation des Mossad und Baghdadi in Wirklichkeit Jude sei.

Warum sonst sollten sie bisher nichts gegen die Juden unternommen haben? Schliesslich ‒ und das kann niemand leugnen – stehen die Juden, abgesehen von unmittelbaren existentiellen Bedrohungen, nahezu immer ganz oben auf der Völkermord-Wunschliste von Terrororganisationen.

Und nun veröffentlichte Baghdadi ganz plötzlich, nachdem der IS eine grosse Schlappe durch die Westmächte sowie Luftangriffe einstecken musste, eine Botschaft an seine demoralisierten Truppen, in der er erklärt: „Wir kommen euch [Israel] von Tag zu Tag näher. Glaubt ja nicht, dass wir euch vergessen haben.“

Baghdadi fährt fort: „Gott hat die Juden aus aller Welt in Israel zusammengeführt und so ist der Krieg gegen sie ganz einfach geworden. Es ist die Pflicht jedes Moslems, den Dschihad auszuüben.“ Er fügt hinzu: „Ihr Juden werdet keine Freude an Palästina haben. Gott hat euch in Palästina versammelt, damit die Mudschaheddin Euch bald erreichen können, und Ihr werdet euch hinter Felsen und Bäumen verstecken. Palästina wird Euer Friedhof sein.“

Baghdadis Drohungen hätten ein wenig origineller sein können, betrachtet man die frühere Behauptung von Hassan Nasrallah, dem Führer der Hisbollah, dass die Juden in Israel versammelt worden seien, damit es einfacher wäre, sie alle zu töten. Und auch die Hamas sowie die Palästinensische Autonomiebehörde bezogen sich in ihrem Aufruf an die Moslems, die Juden am jüngsten Tag zu vernichten, auf den gleichen Hadith über die Felsen und Bäume.

Wie dem auch sei, Baghdadi proklamierte letztendlich „Tötet die Juden“ – und sein Timing ist in gewisser Weise verständlich. Die Geschichte hat gezeigt, dass es in schwierigen Zeiten stets eine äusserst effektive Ablenkungstaktik vom Elend der allgemeinen Bevölkerung war und diese gleichzeitig vor dem Hintergrund einer gemeinsamen Sache vereinte, wenn den Juden die Schuld zugeschoben und ihre Vernichtung versprochen wurde. Im Jahr 167 v. d. Z. erkannten die hellenisierten Syrer unter der Führung des Antiochus Epiphanes, dass ihr blutiger Feldzug zur Eroberung Ägyptens fehlgeschlagen war. Die unter Antiochus‘ Herrschaft stehenden Juden in Israel waren der perfekte Sündenbock, an dem sie ihre Frustration auslassen konnten – und so nahmen die Verfolgungen ihren Anfang.

Dies setzte auch die Ereignisse in Gang, die zum Aufstieg der Makkabäer – die die Syrer mit Pauken und Trompeten besiegten und die Unabhängigkeit Judäas erklärten – führten.

Auch die Nazis machten sich diese Taktik nach dem Ersten Weltkrieg optimal zu Nutze. Hitler gab den Juden die Schuld an der Niederlage Deutschlands und machte eine internationale jüdische Verschwörung für das Leiden der deutschen Bevölkerung verantwortlich. Dies legte den Grundstein für den Aufstieg der Nazis, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust.

Die Verwendung des jüdischen Volks als Sündenbock durch kämpfende Führer und Nationen hat sich in der Vergangenheit stets wiederholt. Wenn Baghdadi also jetzt über die Juden redet, dann ist es wahrscheinlich, dass sich die Lage für den IS zuspitzt. Wenn du erst einmal die Juden-Karte ausspielst, dann bist du verzweifelt genug für einen Sündenbock. Und das scheint jedes Mal zu funktionieren. Tatsächlich wird in einem kürzlich erschienenen Artikel des deutschen Reporters Jürgen Todenhöfer, der 10 Tage lang den IS besuchte, behauptet, der IS fürchte die israelische Armee mehr als jede andere.

„Sie sagten mir, sie wüssten, dass die israelische Armee zu stark für sie sei“, so Todenhöfer. „Sie glauben, dass sie US-amerikanische und englische Bodentruppen besiegen können, von denen sie denken, dass sie keine Erfahrungen mit den Stadtguerilla- und Terroristenstrategien haben. Dass die Israelis sehr versiert sind, was den Kampf gegen Guerillas und Terroristen angeht, das wissen sie jedoch sehr genau.“

Unabhängig von der Furcht des IS vor einem Krieg mit Israel, war der Judenhass Baghdadis Ass, das er die ganze Zeit im Ärmel hielt. Er weiss, dass dies das Einzige ist, worin sich alle islamistischen Terrororganisationen weltweit einig sind und hinter dem sie geschlossen stehen (nicht zu vergessen auch alle Neonazi- und Rassistengruppierungen). Das Blut eines Ungläubigen mag ja nett sein, das Blut eines Juden jedoch ist das, was das Terroristenherz höher schlagen lässt. Der Führer des IS muss wirklich verzweifelt sein, wenn er letztlich zu dieser altbewährten Taktik greift.

SCHADE NUR, dass Baghdadi versäumt hat, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Gewiss kann der unverblümte Judenhass häufig jemandem zu einer Machtstellung verhelfen – wie der Talmud selbst lehrt: „Wer auch immer die Juden schikaniert, wird Gefolgsleute finden, die ihn zu ihrem Anführer machen.“ Baghdadi und alle anderen, die Israel hassen, haben jedoch versäumt zu erkennen, dass jede einzelne dieser Nationen, die die Juden verfolgt und auszurotten versucht haben, am Ende Unheil und Zerstörung erlebten und auf der Müllhalde der Geschichte landeten und in Vergessenheit gerieten. Den Juden jedoch ist es zu allen Zeiten und mit jedem überwundenen Gegner immer wieder gelungen, zu überleben; wenn auch mit Opfern, die bei weitem zu zahlreich waren, um den siegreichen Ausgang zu rechtfertigen.

Oft schon wurde gesagt, der IS sei eine Gruppe von Menschen, die die Welt wieder zurück ins finstere Mittelalter verfrachten wollten. Das sehe ich anders. Der IS ist eine Gruppe von Kreaturen, die durch ihre Brutalität das Bild Gottes aus ihrem Angesicht getilgt haben und nichts Menschliches mehr an sich haben. Der Westen muss verstehen, dass der Einsatz einer Koalition internationaler Bodentruppen gegen den IS eine nicht verhandelbare Notwendigkeit darstellt, bevor dieses abstossende Krebsgeschwür weiter auswuchert und noch mehr unschuldige Menschen auf grausamste Weise sterben müssen.

Rabbi Shmuley Boteach ist ein internationaler Autor von 30 Büchern, Gewinner der „London Times Preacher of the Year Competition“ sowie Empfänger der Auszeichnung der American Jewish Press Association für „Hervorragende Leistungen im Bereich Kommentar/Reportage.“ In englisch zuerst erschienen in der Jerusalem Post