Französische Startups in Tel Aviv

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Tel Aviv Skyline. Foto Gilad Avidan - Wikimedia Commons. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons.
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Die Einwanderung von Frankreich nach Israel erreichte 2015 einen neuen Höhepunkt. Doch die Gründe dafür sind nicht nur im Antisemitismus zu suchen. Israel zieht dank seiner innovativen Startup-Szene je länger je mehr auch Jungunternehmer an.

Von Yoav Dreifuss

Israel war schon immer ein Einwanderungsland, und die grosse Welle von russischsprachigen Einwanderern nach dem Zerfall der Sowjetunion  hat unter anderem den israelischen Arbeitsmarkt um fast 60.000 Ingenieure bereichert.  Dies hat zum Erfolg der Startup-Nation beigetragen.

Während anfangs des 21. Jahrhunderts unter anderem viele gut ausgebildete Juden aus den USA die Übersiedlung nach Israel wagten, nimmt in den letzten Jahren die Zahl der französischen Zuzüger stark zu. 2005 rief der damalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon die französischen Juden auf, nach Israel einzuwandern, was in Frankreich nicht nur bei der Regierung, sondern auch in der jüdischen Gemeinde auf starke Kritik stiess. Sharons Aufruf verhallte aber nicht ungehört, denn die Alyah (Auswanderung nach Israel) ist tatsächlich stark angestiegen. Bis Ende 2015 werden 7500 Einwanderer erwartet, also mehr als doppelt so viel wie aus den USA, wo die jüdische Gemeinde zehnmal grösser ist als in Frankreich. Viele Franzosen lassen sich dabei in den Küstenstädten Netanya und Ashdod nieder, aber auch Tel Aviv und Jerusalem sind beliebte Wohnorte.

Startup’s rund um Tel Aviv 

Fürs Auswandern gibt es ganz unterschiedliche Motive. Antisemitismus spielt eine Rolle, aber auch die Suche nach der eigenen jüdischen Identität und die schlechte wirtschaftliche Lage in Frankreich bringen viele dazu, ihre Koffer zu packen. Die Einwanderung bedeutet für Israel sowohl ökonomische als auch demografische Vorteile und wird von der Regierung deshalb gefördert. Schliesslich steht sie dabei in Konkurrenz mit Ländern wie den USA und Kanada, denn französische Juden zieht es zunehmend auch dorthin – häufig primär aus wirtschaftlichen Gründen.

Thema Berufstätigkeit
Nicht alle finden in Israel auf Anhieb ihren Traumjob oder möchten ihre Karriere in Frankreich an den Nagel hängen. Gewisse Neueinwanderer behalten deshalb ihre Arbeitsstelle in Frankreich und arbeiten unter der Woche dort, übers Wochenende kommen sie dann zu ihren Familien nach Israel. Doch die grosse Mehrheit möchte in Israel arbeiten und wird dabei von der Jewish Agency und andere Organisationen unterstützt. Der Support für ein erfolgreiches Berufsleben beschränkt sich nicht nur auf die Zeit nach der Alyah. Bereits vor Ort, also z.B. in Paris, werden Vorbereitungsworkshops angeboten, etwa zur erfolgreichen Firmengründung in Israel. Neben der Jewish Agency ist insbesondere die Nichtregierungsorganisation Gvahim von Bedeutung. Sie steht spezifisch hochqualifizierten jungen Einwanderern zur Seite und unterstützt sie bei der erfolgreichen Integration in den israelischen Arbeitsmarkt.

Startup Szene als Chance
Gvahim bietet mit dem Programm TheHive speziell für Einwanderer einen Accelerator, in dem Startups innerhalb eines festgelegten Zeitraums durch intensives Coaching unterstützt werden. Jedes Startup erhält eine Bürofläche, einen Mentor und wird mit potentiellen Investoren bekanntgemacht. Fast alle Startups haben ihren Fokus aufs Ausland gelegt; der israelische Markt ist häufig zu klein und wird höchstens als eine Art Labor benutzt, um ein Produkt zu testen.

Foto TheHive, Gvahim Programm
Foto TheHive, Gvahim Programm

„Franzosen denken langfristig und strategisch, verfügen über geordnete Arbeitsprozesse und sind oft gut im Marketing. Damit ergänzen sie die spontanen und technologieorientierten Israelis perfekt“, erklärt Patricia Lahy- Engel, die das TheHive Programm leitet. Viele Absolventen sehen Israel als dynamisch und innovativ und schätzen es, dass die Hierarchie sehr flach ist. „Es ist hier möglich, auch an wichtige Entscheidungsträger heranzukommen, zum Beispiel, um Investoren zu finden“, erklärt die Leiterin von TheHive.

Sie stellt zudem fest, dass in den letzten Jahren die Zahl der französischen Hive-Teilnehmer stetig zugenommen hat, inzwischen machen sie zwischen 30 und 40% aller Teilnehmer aus. „Spannend ist auch, dass zunehmend auch nichtjüdische Unternehmer aus Frankreich und anderen Ländern nach Israel kommen wollen, um hier ihr Startup aufzubauen“. Schon bald soll es dafür spezielle Innovations-Visa geben. So wächst auch die Kooperationen zwischen französischen und israelischen Eliteuniversitäten wie der Ecole Polytechnique und dem Technion.

Israelisch-französische Innovationskraft
Ein Teilnehmer des TheHive-Accelerators ist Mickael Nadjar. Der ursprüngliche aus Paris stammende Jungunternehmer ist vor einigen Jahren im Auftrag einer internationalen Beratungsfirma für ein Projekt nach Israel gekommen. Die israelische Startup-Szene hat ihn so begeistert, dass er sich entschieden hat, nicht mehr nach Frankreich zurückzukehren. Mit einem Partner führt er das erfolgreichen Startup Costockage, das zwischen Privatpersonen vermittelt, die einen Lagerplatz suchen bzw. anbieten. Rund ein Drittel der Angestellten lebt in Paris, der Rest in Tel Aviv. „Israel ist ideal für Startups wegen der vielen Kapitalgebern von Risikogeld und der ausgezeichneten Accelerators. Die Gesellschaft ist sehr offen für Neues und Ungewohntes, Chancen werden wahrgenommen“, erklärt Nadjar. Er fügt an, dass sein persönliches Netzwerk beim Aufbau seines Startups auch eine wichtige Rolle gespielt habe.

Gemäss Nadjar waren bis vor kurzem Antisemitismus und idealistisch-religiöse Gründe noch die Hauptmotivationen, aus Frankreich eine Alyah zu machen. Diese werden nun ergänzt von beruflich-ökonomischen Überlegungen. So ist es denn nicht verwunderlich, wenn der Jungunternehmer erklärt: „In den letzten fünf Jahren ist eine beträchtliche Anzahl von hochqualifizierten und topmotivierten jungen Franzosen hierher gekommen. Das war vorher noch nicht der Fall.“

Der französischen Regierung ist der Brain-Drain nach Israel zunehmend ein Dorn im Auge, denn innovative Talente wären wichtig für die Wiederbelebung der kränkelnden Wirtschaft der Grande Nation. Wirtschaftsminister Emmanuel Macron hat bei seinem Besuch am Technion, Israels führendendem Hightech-Zentrum,  im September 2015 denn auch an die ausgewanderten Landsleute appelliert, wieder zurückzukommen, wie Audiatur Online damals berichtete. Wie die Reaktionen vor Ort schon angedeutet haben, dürfte die Aufforderung wohl ungehört verhallen. Denn neben der ausufernden Bürokratie und der schlechten Wettbewerbsfähigkeit  verliert das Land bei vielen Juden auch dadurch an Attraktivität, dass die Anzahl antisemitischen Angriffe weiter zunimmt.