Juden-Schmähungen sind in niederländischen Stadien weit verbreitet: Sie gehören zu einer überaus fragwürdigen Fankultur, die Antisemitismus duldet und verharmlost.
„Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“, hallt es plötzlich durch das Zentrum Manchesters. Vor dem 0:0 in der Champions-League-Gruppenphase gegen United sorgten die mitgereisten Anhänger von PSV Eindhoven für den negativen Höhepunkt. Viele Passanten staunten ob der stimmgewaltigen Darbietung. Sie hatten allerdings keine Ahnung, was die Meute auf Holländisch herumbrüllte. Es war nämlich nicht bloss ein Gesang, der über die Strenge schlug.
Es war ein abscheulicher verbaler Fehlgriff, wie er sich leider in der Fanszene der Niederlande allzu oft ereignet. Jene ist geprägt von Antisemitismus und dem Versuch der Legitimation. Supporter von Ajax Amsterdam bezeichnen sich selbst als „Juden“. Der Klub wurde von jüdischen Persönlichkeiten geprägt. Sie sind Teil der Historie – und so tun gegnerischen Fans ihre „Juden“-Beschimpfungen meist als Anti-Ajax-Chöre ab.
Die Amsterdamer nahmen dies zum Anlass und bezeichneten sich einst als „Superjoden“, als „Super-Juden“, und griffen in einem Akt des Trotzes sogar zu Israel-Fahnen. Dekaden später gehören solch Vergleiche zur Fussballkultur. Und die Wurzeln Ajax‘ sind für zahlreiche Hooligans eine gefundene Angriffsfläche. „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude“ gehört hier definitiv noch zur harmloseren Sorte.
Immer wieder bedient sich der Anhang von Feyenoord, Utrecht und ADO Den Haag unappetitlicher Assoziationen von Juden und Gas. Vergangenen April wurden Utrechter dafür gar bestraft. Zuletzt, im Oktober, tauchten im Block von Vitesse Arnheim Banner mit den Initialen „JHK“ für „Juden haben Krebs“ auf, begleitet von entsprechenden Schmähungen. Beide Klubs haben sich davon mittlerweile distanziert. Der niederländische Verband tritt dem ebenso entgegen.
„Hamas, Hamas, Juden ins Gas“, skandieren „Fans“ des FC Den Haag:
Antisemitismus ist tief verankert
„Diese Art von Diskriminierung ist schrecklich“, sagt KNVB-Sprecher Hans van Kastel gegenüber Goal.com: „Wir werden sie in den Stadion nicht akzeptieren. Es ist eine Minderheit, gegen die wir mit den Klubs gemeinsam aktiv werden möchten.“ Bloss scheint das Problem nicht als solches betrachtet zu werden. Wie ist es sonst zu erklären, dass Utrechts Bürgermeister ob der Sperre einiger Sektoren für das nächste Heimspiel gegen Ajax plötzlich den Gäste-Block schliesst?
Für Teile der Gesellschaft haben die Juden-Gesänge nichts mit der Religion zu tun, vielmehr tun sie es als Anfeindungen gegen den Rekordmeister ab. Sie ignorieren, dass oft der Bogen zum Genozid unter dem Hakenkreuz gespannt wird. Für Guy Muller vom Zentrum für Israelische Dokumentation (CIDI) unverständlich: „Wie kann man über Hamas und brennende Juden singen und dabei Antisemitismus bestreiten? Sie könnten über Ajax singen, das passiert aber nicht.“
Er zeigt sich so besorgt, weil es nicht bei der Judenfeindlichkeit im Stadion bleibt. „Das Problem gibt es in Schulen sowie bei Demonstration, die zwar Anti-Israel-Kundgebungen sein sollten, sich in erster Linie allerdings gegen das Judentum richten.“ Dass seine Warnung berichtigt ist, zeigt die Zahl der antisemitischen Übergriffe. Jene stieg laut CIDI von 2013 auf 2014 um 71 Prozent (von 100 auf 171).
Wie tief verankert das Problem in den Niederlanden tatsächlich ist, offenbarte 2013 eine Studie des Anne Frank Instituts. So berichteten erschreckende 35 Prozent der Lehrer von fremdenfeindlichen Strömungen unter den Kindern – die meisten betrafen den Fussball und Konflikte im Nahen Osten.
„Sie sehen es als ihre Identität“
Trotzdem sind dem KNVB die Hände gebunden, so van Kastel: „Es gibt keine rechtliche Grundlage, die es uns erlauben würde, das Wort Jude aus den Stadien zu verbannen. Das Wort an sich ist keine Diskriminierung.“ 2014 sollte das passieren – der Antrag wurde vom Gericht abgelehnt. Die Stiftung für den Kampf gegen Antisemitismus reagierte erbost: „Jude in Kombination mit Fussballspielen zu hören, ist für jeden Holocaust-Überlebenden ein Stich ins Herz.“
PSV Eindhoven Anhänger singen: „Wer nicht hüpft, der ist ein Jude.“:
Gleichwohl hat die Medaille eine zweite Seite. Nämlich die, dass sich Ajax-Fans eben selbst als Juden bezeichnen. „Einige haben Tattoos des Davidsterns und andere jüdische Zeichen. Sie sehen es als ihre Identität an“, erzählt Muller.
Er bringt sogar ein gewisser Mass an Verständnis für die gegnerische Seite auf: „Wenn Leute, die sich als Juden bezeichnen, nach Den Haag kommen und die Tribünen zerlegen, ist es klar, dass es eine Reaktion geben wird. Und es ist naheliegend, dass sich diese gegen die Herkunft richtet.“ Bloss könne man den Ajax-Anhängern nicht verbieten, sich als Juden zu bezeichnen, die Religion gewissermassen für ihren Fanatismus zu instrumentalisieren.
Dass der Antisemitismus jedenfalls im holländischen Fussball eine wesentliche Rolle spielt, offenbarte nicht erst der Gesang in Manchester. Nur das eigentliche Problem ist: Die Menschen wollen es gar nicht wahrhaben, sie ignorieren es und tun es verharmlosend als Teil der Fanszene ab.
Von Peter McVitie via Goal.com