Kampf gegen den Terror – Eine Frage des Konzepts

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Foto Israel Police - משטרת ישראל
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Weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ (Morgenstern) 

Der relativ erfolgreiche Kampf der Israelis gegen Terror ist in erster Linie eine Frage der Kenntnis des Gegners und eine Akzeptanz der Realität, so wie über hundert Tote in Paris, der Absturz der russischen Maschine im Sinai mit 224 Toten und sogar 9/11 in New York die Folge eines Sicherheitskonzepts waren, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hatte.

Wahrnehmung der Wirklichkeit
Im September 2001 war der Dachverband der Fluggesellschaften IATA davon überzeugt, dass ein Flugzeugentführer lebend landen will. Allein die israelische Fluggesellschaft EL AL hatte damals schon eine Sondergenehmigung erhalten, ihre Pilotenkanzeln mit gepanzerten Türen abzuschliessen und während des Fluges verschlossen zu halten. Der „mutmassliche“ El Qaida Terrorist mit Hamburger Studium in Landschaftsplanung, Muhammad Atta, hätte in einer israelischen Verkehrsmaschine nicht einfach ein japanisches Messer zücken und so das Flugzeug in das WTC rammen können.

Hier kann übrigens auch eine der in diesem Zusammenhang gehörten Verschwörungstheorien entkräftet werden: Weil der Mossad angeblich über die zu geplanten Attentate „Bescheid“ wusste, seien Juden und Israelis gewarnt worden. Angesichts der  jüdischen Toten kann das nicht stimmen. Auffällig ist, dass nur relativ wenige Japaner ums Leben kamen. Waren sie etwa gewarnt? Nein. Wegen der Zeitverschiebung arbeiteten die Meisten nachts und waren zum Zeitpunkt des Anschlags nicht in ihren Büros.

Vorsprung durch Technik und konsequente Kontrollen
Schwer geprüft durch Bomben mit Höhenmesser, Flugzeugentführungen und andere Attacken auf Flugzeuge ab 1968 haben die Israelis Sicherheitsmassnahmen eingeführt, die genauso auch andere Länder anwenden könnten, wenn es nicht ideologisch bedingte Wahrnehmungsdefizite gäbe. Sie werden entgegen allen Erfahrungen mit dem Eifer einer Glaubensverkündung fortgeschrieben.

Niemand weiss im Moment, welches „Loophole“ (Sicherheitsloch) IS/Daesch auf dem Flughafen in Sharm El Sheikh genutzt hat, um eine Bombe an Bord der russischen Maschine zu schmuggeln. In Israel jedenfalls werden die Kofferlisten mit den eingestiegenen Passagieren abgeglichen. Wenn sich einer in letzter Minute absetzt, müssen alle Koffer ausgeladen, identifiziert und erneut geladen werden. Auch sonst dürften die Israelis auf Flughäfen alle denkbaren Löcher gestopft haben. Sogar die Möglichkeit, eine startende oder landende Passagiermaschine mit einer geschulterten Flakrakete abzuschiessen wird von den Israelis weltweit verhindert. Sie stehen bei Start und Landung am Ende der Startbahn. Auf einem deutschen Flughafen habe ich hebräischen Funkverkehr israelischer Sicherheitsleute überhört. Sie tauschten Anweisungen aus, im Gebüsch „verdächtige Elemente“ zu suchen.

Was die Israelis alles tun, ist nicht sichtbar. Der Koffer muss unverschlossen eingecheckt werden und verschwindet im Untergrund. Dort dürften die Israelis alle Mittel anwenden, um Sprengstoff und Bomben zu finden. Vielleicht werden die Koffer wie Luftpost in einen Druckraum gesteckt, um Bomben mit Druckmesser zu entdecken.

Massiv kritisiert wird das israelische „Profiling“. Gewisse Passagiere gelten als potenziell „gefährlicher“ denn andere. Israelische Araber und besonders Palästinenser verurteilen das als „rassistisch“. Ebenso gibt es willkürliche Stichproben. Kürzlich, vor einem Flug nach Frankfurt, sass ich zusammen mit einer Dame auf der Wartebank. Die Araberin schimpfte auf die Israelis wegen „Schikane“ und „ungerechter Behandlung“. Auf die Frage, ob die Israelis rassistisch seien, wenn sie einen seit 40 Jahren in Israel lebenden deutschen Journalisten, der weder als Terrorist noch als politischer Aktivist einschlägig bekannt sei, genauso wie sie auf die Wartebank gesetzt hätten, hatte sie keine Antwort…

Ununterbrochene Verteidigungsbereitschaft
Heftige Kritik musste die israelische Regierung kürzlich hinnehmen, als ehemaligen Offizieren und Sicherheitsleuten wegen der Terrorwelle empfohlen wurde, auch ausserhalb des Dienstes ihre Pistole bei sich zu tragen. Tatsächlich hatte ein Kommentator zurecht behauptet, dass die Terroristen im Theater Bataclan in Paris schon nach 60 Sekunden erschossen worden wären, wenn sich das Massaker in Israel zugetragen hätte. Schlimmer noch. Während in Israel vor jedem Konzertsaal ein Wachmann steht, der die Taschen durchwühlt und mit einem Metalldetektor nach Waffen sucht, benötigte die Polizei in Paris eine ganze Stunde, um in das Bataclan-Theater vorzudringen und dem Massenmord ein Ende zu bereiten. In Israel hätten die Terroristen mutmasslich das Theater gar nicht erst mit ihren Kalaschnikow-Gewehren betreten können.

Natürlich droht Gefahr, dass auch mal Unschuldige verletzt und getötet werden, wenn Polizisten und bewaffnete Bürger bei einem Terroranschlag losschiessen. Erst kürzlich wurde in Beer Schewa ein junger Mann aus Eriträa erschossen, weil Sicherheitsleute ihn wegen seiner dunklen Hautfarbe für den Terroristen hielten. Das ist gewiss ein Risiko. Und dennoch sichert allein die Gegenwart bewaffneter Sicherheitsleute das normale Leben in Israel.

Schnelle Rückkehr zur Normalität
Zum israelischen Konzept, Kraft für einen erfolgreichen Kampf gegen Terror zu haben, gehört die schnelle Rückkehr zur Normalität, auch gerade am Ort eines Anschlags. Umgehend werden die Blutspuren entfernt, die Leichen abtransportiert, zerbrochene Fensterscheiben repariert und die verkohlten Gerippe explodierter Busse abgeschleppt.

Sogar im Angesicht des Todes, neben Gaskammern in den Vernichtungslagern achteten die Juden darauf, ihre Menschenwürde zu behalten. Sie lehrten und lernten, bastelten, malten und musizierten. Ein Kunstmuseum in der Holocaustgedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem zeugt davon. Genau das meinten die Redakteure von Charlie Hebdo, als sie behaupteten, mit Champagner gegen den Terror der Islamisten ankämpfen zu wollen und die Franzosen aufriefen, ihren Espresso in den Strassencafés zu trinken. Ein deutscher Kommentator verhöhnte diese Einstellung und meinte, dass das doch nur ein Aufruf zu „Konsum“ sei. Nein, der Mensch tut auch etwas für seine Seele und „konsumiert“ nicht, wenn er sich ein Kerzlein anzündet oder sich nach tödlichen Anschlägen bewusst amüsiert. Die Alternative wäre, in Trübseligkeit zu verfallen und sich zu lähmen. Dieses Konzept mag für Deutsche befremdlich klingen, aber für Juden ist es ein Geheimnis ihres Lebenswillens, was die Franzosen „savoir vivre“ nennen. Nicht für Ungut ist das sogar offizielle Politik. Da gehen Trauer für die Kriegsgefallenen mit Gedenkfeiern auf den Friedhöfen nahtlos über in ausgefallene Freudentänze an der Naht zwischen dem Heldengedenktag und dem bei Sonnenuntergang nachfolgenden Unabhängigkeitstag.

Nüchterner Realitätssinn ermöglicht ein Leben in Freiheit
Die Sicherheitskonzepte in Europa wirken derzeit widersprüchlich. Einerseits werden hunderttausende Syrer, Iraker, Afghanen und Libyer – die meisten von ihnen junge kräftige Männer im besten Kampfesalter aus Bürgerkriegsländern ohne jede Registrierung, Kontrolle, Papiere oder Befragung im Rahmen der „Willkommenskultur“ nach Deutschland reingelassen. Hier versucht man offenbar, durch konsequentes Ausblenden jeglicher Terrorwahrscheinlichkeit das Thema Sicherheit wie ein Glaubenskonzept zu handhaben. Wobei man in Kauf nimmt, dass sich Opfer und Täter mischen, was auch für die Flüchtlinge selber eine akute Gefährdung bedeutet. Andererseits herrschen nach wie vor auf allen Flughäfen strenge Kontrollen, die der aussereuropäischen Wahrnehmung der Realität geschuldet sind.

Es bleibt zu hoffen, dass es nicht noch weitere Massaker mit hunderten Toten unter der Zivilbevölkerung gibt, bevor der europäische Wunderglaube an die Machbarkeit einer „heilen“ Welt einem Konzept weicht, das vielleicht nicht ganz so „friedlich“ aussieht, aber doch ungleich sicherer ist.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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