Ein genialer Schnitzer und seine Folgen

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Grossmufti Amin al Husseini mit Heinrich Himmler. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 de über Wikimedia Commons. Foto Bundesarchiv Bild 101III-Alber-164-18A,
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Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat mit “einem Schnitzer” das geschafft, was auf korrektem Wege nie möglich gewesen wäre: Die Rolle des Mufti von Jerusalem ist plötzlich präsent. Und weil alle Welt beim Bibi – Bashing noch eins drauf setzt, bleibt das Thema auch bei Freund und Feind auf der Agenda.

Beim zionistischen Weltkongress sagte Netanjahu, dass der Mufti von Jerusalem, Hadsch Amin el Husseini, Hitler bei deren Treffen Ende November 1941 eingeredet habe, die Juden zu „verbrennen“, anstatt sie nach Palästina zu vertreiben, um Deutschland „judenrein“ zu machen. Historiker und Journalisten aller Richtungen waren sich einig: Das ist eine krasse Geschichtsfälschung. Auch wenn die Wannseekonferenz erst nach dem Treffen Hitler/Mufti stattgefunden hat, und der Holocaust im Jahr 1942 richtig in Gang gekommen war, hatten die Nazis schon ab Mitte 1941 grausame Massaker an Juden verübt. Der Beschluss zur Massenvernichtung der Juden Europas war von Hitler lange vor dem Treffen verkündet worden.

Am Tag darauf hatte sich Netanjahu korrigiert, vor seinem Abflug nach Berlin zu einem Treffen mit der Bundeskanzlerin Merkel. Doch mit seinem Schnitzer war es gelungen, die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Rolle des Muftis, die Verbindungen der Araber zu den Nazis und die Nachwirkungen des Muftis auf die heutigen Palästinenser zu lenken.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel war beleidigt, dass der israelische Premier die Initiative zum Holocaust, das Copyright, den Deutschen weggenommen und den Palästinensern zugesprochen hätte. Palästinensische Sprecher wiederum empörten sich, dass er ihnen die Verantwortung für das schlimmste Verbrechen gegen die Menschheit zugeschoben habe. Dabei spielt keine Rolle, dass auch Palästinenser, darunter Präsident Mahmoud Abbas in seiner Doktorarbeit, den Holocaust gleichzeitig verleugnen.

Die Rolle des Mufti
Die Bedeutung des Muftis beschränkt sich nicht allein auf die Fotos seines Treffens mit Hitler oder mit der SS-Truppe muslimischer Araber auf dem Balkan. Die britische Mandatsmacht hatte ihn nach den Nebi Mussa Unruhen 1920 zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Der erste Jude, der nach 2000 Jahren im Heiligen Land regierte, Gouverneur Herbert Samuel, hob das Urteil gegen Husseini auf und ernannte ihn 1921 zum Großmufti Jerusalems. Angetrieben von Hass, initiierte der Mufti 1929 Massaker an Juden, bei denen Dutzende Menschen abgeschlachtet wurden. Damit wurde die 3000-jährige ununterbrochene jüdische Präsenz in der Patriarchen-Stadt Hebron gewaltsam beendet.

Arabischer Judenhass im Mandatsgebiet

Der palästinensische Bombenbauer Kutub gelangte auf einem jüdischen Flüchtlingsschiff ins Mandatsgebiet Palästina. Foto Ulrich W. Sahm
Der palästinensische Bombenbauer Kutub gelangte auf einem jüdischen Flüchtlingsschiff ins Mandatsgebiet Palästina. Foto Ulrich W. Sahm

Doch der Mufti war nicht allein. Die rechte Hand des Mufti war Fawzi al Kutub, eine der finstersten Figuren der arabisch-palästinensischen Geschichte. Der Sprengstoffexperte verübte zahlreiche Terroranschläge auf Juden in Jerusalem bis zur Absetzung des Mufti durch die Briten und der Flucht der beiden nach Irak. In Kooperation mit den Nazis veranstalteten sie dort einen Staatsstreich, der die Briten zum Einmarsch provozierte. Nachdem der Putsch gescheitert war, flohen sie vor den Briten nach Berlin. Kutub wurde in einem SS-Lager in Holland ausgebildet und sollte an die Ostfront geschickt werden. Weil er sich weigerte für Deutschland gegen die Russen zu kämpfen, steckten die Nazis Kutub in ein KZ bei Breslau. Dank guter Beziehungen zu Himmler konnte der Mufti seinen Freund befreien, um gemeinsam arabische Propagandasendungen von Berlin in die arabische Welt zu tragen.

Nach Kriegsende schlug Kutub sich von Berlin nach Marseille durch, um als „Holocaustüberlebender“ eines der Schiffe zu besteigen, die illegal Juden nach Palästina brachten, indem sie die Blockade der Briten durchbrachen. Zurück in der „Heimat“ organisierte Kutub die tödlichen Sprengstoffanschläge auf die Jewish Agency und in der Ben Jehuda Straße in Jerusalem. Während der Vertreibung der Juden aus dem jüdischen Viertel der Altstadt Jerusalem sprengte Kutub eigenhändig, im Auftrag der Jordanier, die Hurva-Synagoge, das sichtbarste Symbol jüdischer Präsenz in der Altstadt. Später verlor sich seine Spur in Richtung Syrien.

Auswirkungen bis heute
Der Mufti hatte mit seinen Propagandasendungen entscheidend das „Deutschlandbild“ in der arabischen Welt geprägt. Bis heute ist Hitlers Buch „Mein Kampf“ in der arabischen Welt ein Bestseller. Selbst der ägyptische Präsident Anwar el Sadat war von Hitler fasziniert, was ihn nicht daran hinderte, aus praktischen Gründen mit Israel Frieden zu schließen. Nach dem 2. Weltkrieg fanden führende Nazis in Kairo und Damaskus ein sicheres Asyl, darunter Massenmörder wie Alois Brunner, der Erfinder Gas-Lastwagen (den Vorgängern der Gaskammern) Walter Rauff und andere zwielichtige Militärexperten. Wie Géraldine Schwarz in der „Welt am Sonntag“ im Februar 2015 in ihrem ausführlichen Artikel „Die Nazis und der Nahe Osten“ dargestellt hat, haben diese Deutschen nicht nur lukrative Waffenlieferungen von Deutschland nach Ägypten und Syrien eingefädelt. Sie haben auch die arabischen Armeen mit deutscher Expertise trainiert und deren Raketenarsenal modernisiert.

Von der Judenvernichtung zum Antizionismus
Die unterbrochene Vernichtung der Juden wurde zum Krieg gegen den jüdischen Staat. Den Judenhass der Nazizeit übernahm letztlich auch die DDR, indem sie Kampfflugzeuge und Piloten nach Syrien schickte.

Das Wirken des Muftis und seines Antisemitismus sind auch heute noch bei Palästinensern zu spüren, etwa wenn sie deutsche Touristen in Jerusalem mit einem netten „Heil Hitler“ begrüßen und im Gespräch bedauern, dass Hitler sein „Werk“ nicht vollendet habe. Die Verehrung der Nazis wird nicht nur bei Palästinensern offen gelebt. Bei Hisbollah-Kämpfern, Aktivisten der Hamas und sogar in der Fatah-nahen El Kuds Universität in Ostjerusalem wird immer wieder bei Massenveranstaltungen die Hand zum Hitlergruß erhoben.

Mord als Lebenszweck
Der Terror der Palästinenser, gegen beliebige Zivilisten gerichtete Selbstmordanschläge oder neuerdings die täglichen Messer-Attentate, werden meist dem „Leiden“ der Palästinenser, ihrer „Verzweiflung“, dem hoffnungslosen Flüchtlingsdasein und dem Mangel an „Perspektive“ wegen der Besatzung und israelischem Siedlungsbau zugeschrieben.

Doch bei genauem Hinschauen kommen die meisten palästinensischen Attentäter aus der wohlhabenden, gebildeten Mittelschicht, haben gute Berufe oder sogar einen Studienplatz. Kaum einer stammt aus einem Flüchtlingslager.

Es gibt Millionen Menschen in aller Welt, in Afrika, Südamerika, Asien und sogar in Europa, die in tiefer Verzweiflung, ohne jegliche „Perspektive“, in Armut oder unter fremder Besatzung leben oder ohne Aussicht auf Rückkehr ihre Heimat verloren haben. Doch kein Schlesier, Grieche oder Türke auf Zypern, in der marokkanisch besetzen Sahara, in Indien oder Pakistan käme auf die Idee, sich deshalb auf einem Marktplatz in Polen, Kaliningrad oder Nikosia in die Luft zu sprengen und beliebig Zivilisten zu ermorden.

Die Erben
Der eliminatorische, gegen Juden gerichtete „Widerstandskampf“, war bis vor wenigen Jahren einzigartig. Er findet inzwischen bei IS sowie Regierungen, etwa in Libyen, Sudan oder Syrien seine Nachahmer. Das von den Nazis initiierte und vom Mufti Hadsch Amin el Husseini in die arabische Welt getragene geistige Erbe wirkt bis heute nach. Man erkennt es an antisemitischen Karikaturen und sogar am Sprachgebrauch, die sich seit den Zeiten des „Stürmer“ kaum verändert haben.

Es ist das ungewollte „Verdienst“ Netanjahus, die Welt auf diese verdrängten Tatsachen aufmerksam gemacht zu haben.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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