Netanjahu, Hitler, der Mufti und der Holocaust

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Der Gross Mufti von Jerusalem, Hajj Amin al-Husayni, inspiziert Bosnische SS Truppen 1944. Foto Alamy
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Premier Benjamin Netanjahu hat in seiner Rede vor dem zionistischen Kongress in Jerusalem am Dienstag behauptet, dass der Mufti von Jerusalem, Hadsch Amin Husseini, eine führende Figur der späteren palästinensischen Nationalbewegung, Adolf Hitler die „Idee“ gegeben habe, die Juden nicht nur zu deportieren. „Verbrenn sie“ soll Husseini gesagt und so Hitler auf die Idee gebracht haben, sie auszurotten.

Erwartungsgemäss wurde Netanjahu wegen dieser Behauptung sehr scharf kritisiert, von Historikern wie Mosche Zimmerman, dem Oppositionsführer Jitzhak Herzog und palästinensischen Sprechern wie Saeb Erekat: Das sei Geschichtsklitterung. Auch der Sohn eines Historikers müsse sich an die Fakten halten. Netanjahu arbeite europäischen Rechtsradikalen in die Hände, indem er Hitler von Schuld freispreche und sie dem Mufti in die Schuhe schiebe. Der Hass auf die Palästinenser bringe Netanjahu um den Verstand, indem er die Palästinenser für den Holocaust verantwortlich mache. Oppositionschef Herzog forderte Netanjahu auf, sich zu korrigieren, und nicht „alte Geschichte“ mit heutiger Politik zu vermischen.

Wann die Idee aufkam, die Juden physisch auszurotten und nicht nur aus Deutschland und Europa zu vertreiben, ist ebenso ungewiss wie die Frage, wer Hitler auf die Idee gebracht hat. Der sogenannte „Führerbefehl“ zur Vernichtung der Juden ist bis heute nicht aufgefunden worden. Die „Wannsee-Konferenz“ im Januar 1942 war im Wesentlichen eine Bestandsaufnahme der Zahl der Juden in Europa. Die anwesenden Nazis und Juristen segneten einen gefassten Beschluss ab und berieten über dessen Umsetzung.
Gleichwohl gibt es historisch belegbare Hinweise auf eine wichtige Rolle des Muftis. Im November 1941 trafen sich der Mufti und Hitler in Berlin. Dabei soll sich Husseini darüber beklagt haben, dass die von Hitler vertriebenen Juden „nach Palästina kommen würden“. Als Hitler den Araber fragte, was er denn tun sollte, habe er gesagt: „Verbrenn sie“.
Das Treffen, bei dem laut Netanjahu diese Worte gefallen sein sollen, hat im November 1941 stattgefunden, unmittelbar vor der ursprünglich geplanten Einberufung der Wannseekonferenz im Dezember 1941. Wegen des japanischen Angriffs auf Pearl Harbour wurde sie bis Januar 1942 verlegt.

Belegt ist auch dass der Mufti einen Einfluss auf Hitler und die Nazi-Spitzen hatte und eine Vernichtung der Juden nicht nur in seinen Propaganda-Radiosendungen von Berlin in die arabische Welt getragen habe. In Begleitung des Organisators der Judenvernichtung, Adolf Eichmann, habe der Mufti mehrere KZ besucht, unter anderem das Vernichtungslager Auschwitz. Das ist alles belegt durch Zeugenaussagen bei den Nürnberger Prozessen nach dem Krieg und dem Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem.

Es gibt Fotos vom Mufti, wie er die „Handschar“ auf dem Balkan besucht, eine arabische SS-Truppe, die sich aktiv an der Deportation von Juden nach Auschwitz beteiligt hat. In einer 1948 gedruckten Biografie des Muftis widmet Maurice Pearlman dem Thema mehrere Kapitel und erwähnt einen vermeintlichen „Versprecher“ des Mufti in einer Propagandasendung vom 21. September 1944. Obgleich es vor dem 2. Weltkrieg in der Welt etwa 17 Millionen Juden gab, redete der Mufti von nur noch 11 Millionen. Er hatte sich nicht verrechnet, sondern verraten, was sonst nur Hitler, Himmler and Eichmann wussten: über 5 Millionen waren bis dahin schon liquidiert worden.

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass der Mufti eine Vernichtung der Juden wünschte und die Nazis dabei unterstützte. Doch Netanjahus Behauptung, dass Hitler erst durch Husseini „inspiriert“ worden sei, ist unwahrscheinlich, zumal schon vor dem Treffen Einsatztruppen der SS massenhaft Juden ermordet hatten.

Ebenso ist jedoch klar, dass heute in Moscheen und in der palästinensischen Propaganda offen zum Mord an Juden aufgerufen wird. Terroranschläge gegen jüdische Ziele in Buenos Aires, in Paris, Kopenhagen, Wien und München sowie dieser Tage in Israel bezeugen, dass dieser Geist der Nazis und in der Folge des Mufti bis heute wirkt.

Eine mörderische Propaganda wird in arabischen wie iranischen Medien meistens mit typisch antisemitischen Motiven betrieben, die direkt dem „Stürmer“ entnommen worden sind.

Der Mufti hat wahrscheinlich Hitler nicht zum Völkermord an den Juden inspiriert, aber er hat gewiss einen entscheidenden Einfluss ausgeübt und dann diese Ansichten mit seinen Propagandasendungen in der ganzen arabischen Welt populär gemacht. Die Auswirkungen dieser Propaganda dauern bis heute an, wie man an den Geständnissen der teilweise sehr jungen Messerstecher und Attentäter der vergangenen Tage in Jerusalem ablesen kann, wenn sie „spontan“ losziehen, Juden abzustechen.

Die Aufzeichnungen des „Gesandten Schmidt“ über die Unterredung zwischen Adolf Hitler und dem Grossmufti von Jerusalem Hadji Mohammed Amin el Hussein, sind im NS-Archiv (Dokumente zum Nationalsozialismus) nachzulesen.

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Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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3 Kommentare

  1. aus Wikipedia: 1922 zeichnete der Journalist Josef Hell ein Gespräch mit Hitler auf, in dem dieser sich wie folgt geäußert haben soll:

    „Wenn ich einmal wirklich an der Macht bin, dann wird die Vernichtung der Juden meine erste und wichtigste Aufgabe sein. Sobald ich die Macht dazu habe, werde ich zum Beispiel in München auf dem Marienplatz Galgen neben Galgen aufstellen lassen und zwar so viele, als es der Verkehr zuläßt. Dann werden die Juden gehängt, einer wie der andere, und sie bleiben solange hängen, bis sie stinken. So lange bleiben sie hängen, wie es nach den Gesetzen der Hygiene überhaupt möglich ist. Sobald man sie abgeknüpft hat, kommen die nächsten daran und das geschieht so lange, bis der letzte Jude in München ausgetilgt ist. Genauso wird in den anderen Städten verfahren, bis Deutschland vom letzten Juden gereinigt ist.“

    Josef Hell: Aufzeichnungen, 1922, ZS 640, p. 5. Nach 1945 geordnet und gedruckt, dokumentiert beim Institut für Zeitgeschichte (Hrsg.), zitiert nach Antisemitische Hitlerzitate

  2. So wie es Netanyahu lt. Haaretz & Co. gesagt haben soll kann es natürlich nicht stimmen. Das schöne an diesem Skandälchen ist aber, dass der Demagogie der westeuropäischen Linken Islamismuskritiker = Nazis eine inhaltliche Auseinandersetzung auferlegt wird. Die beiden Migranten Hitler und Husseini haben sich auf jeden Fall bestens verstanden – nicht nur im Hass auf die Juden sondern auch auf das Christentum, nebenbei bemerkt.
    Den Spruch mit ‚gut, dass er die Juden verbrannt hat‘ hab ich übrigens tatsächlich mal live gehört. Das war vor 15 Jahren in Syrien. Bizarrerweise von einer Angehörigen der aramäischen Minderheit, in deren Dorf dann vergangenes Jahr siebzig Menschen von Dschihadisten massakriert wurden.
    Ein Fehler findet sich allerdings im Beitrag: Die SS-Einheit Handschar bestand nicht aus Arabern sondern Bosniern (und auch Deutschen).

  3. Vielen Dank, lieber Ulrich, für diese Klarstellungen. Sie relativieren den Shitstorm ein wenig, der seit gestern auf Premier Netanjahu herabregnet. Die historischen Fakten sind klar, doch nicht jedem präsent. Ich selbst müsste auch erneut in „Mein Kampf“ die entsprechenden Stellen heraussuchen und nachlesen oder nochmals Raul Hilberg oder andere daraufhin checken. Hinzu kommt, dass nicht alles, was von Hitler gesagt oder entschieden wurde, öffentlich bekannt sein muss. Vielleicht hatte Premier Netanjahu auch über seinen Vater Zugang zu historischen Fakten, die nicht allgemein zugänglich sind oder waren.

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