Wie Schweizer Medien aus Opfern Täter machen

0
Foto Maurice Velati. Lizenziert unter CC BY 2.0 via Wikimedia Commons.
Lesezeit: 5 Minuten

Endlich ist sie da! Die ersehnte Israel-Meldung, um den jüdischen Staat medial mit den berühmten drei Ds der Israelkritiker zu überziehen: Delegitimation, Dämonisierung und Doppelmoral.

Von Sabrina Goldemann, freie Autorin

Die Rede ist vom Schweizer Blickwinkel auf die tödlichen arabischen Attacken gegen israelische Zivilisten innerhalb Israels und der Westbank in den letzten Tagen – und Israels Reaktion darauf. Viele Israelis fühlen sich in diesen Tagen in den Herbst 2000 versetzt als die Zweite Intifada ausbrach. Sie hinterliess die blutigsten Anschlagsserien mit Hunderten Toten, Schwerverletzten und traumatisierten Kindern. Der jüngste Aufruf palästinensischer Führer zur „Rettung des Tempelbergs“ vor der Entweihung durch die Juden, galt auch damals als Auslöser.

Sensationslust stillend zeigt das Online-Magazin Watson lebensnahe Bewegungsstudien – die Grazie der Gewalt, Fotos junger Vermummter. Es sind die Protagonisten der „Revolution der Steine“, wie schon die erste Intifada genannt wurde, ein Aufstand mit brennenden Autoreifen, Messer und Steinschleuder: „Israel fliegt wieder Luftangriffe in Gaza“, heisst die Headline. Die vorangegangenen Raketenangriffe aus Gaza bleiben unerwähnt. Mehr muss man nicht wissen. Der wichtige Rest kommt zum Schluss. Die trauernden Hinterbliebenen israelischer Attentatsopfer. Warum kann der Leser das jetzt nicht mehr so traurig finden?

Mahmoud Abbas‘ Abkehr vom Friedensabkommen und seine Aufforderung an das Volk, den Tempelberg zu verteidigen, der nie in Gefahr war, sollte seine wacklige Machtposition stärken. Die indirekte Aufforderung zum Kampf um die Ehre wurde zur Absicht, Israelis – Juden – zu töten. Diese Tatsache ist auch in den Medien nicht zu finden. Im Gegenteil. Die letzten Attacken von arabischer Seite auf israelische Zivilisten inklusive erschossener Attentäter trieben typische mediale Stilblüten hervor, die den Medienrezipienten auf die emotionale Seite der Täter zieht.

Die Schweizer Medien springen auf diesen manipulativen Zug auf. So berichtet Ulrich Schmidt in der NZZ über das Begräbnis „der „Juden“ oder wie es andernorts heisst, „Siedlern, anstatt vom israelischen Ehepaar, Henkin, das im Westjordanland hinterhältig und brutal vor ihren kleinen Kindern erschossen wurde. Wenn für die NZZ der arabische Attentäter ein „junger Palästinenser“ ist, der in der Altstadt den „ultraorthodoxen Rabbi“, Nahmia Lavi, und den „Soldaten auf Freigang“, Aaron Bennett, tötet, wird der Täter zum Opfer. Die Bezeichnung „ultraorthodox“ erzeugt wie der „Soldat“ und „Siedler“ beim Leser erfahrungsgemäss kein Mitgefühl. Darauf wird in den Medien, weltweit, bewusst spekuliert. Zudem ist zweifelhaft, ob der Autor Schmidt auf dem Pressefoto des getöteten Armee-Rabbiners, dessen religiöse Richtung wirklich erkannte. Die Tatsache, dass ein Rabbiner ermordet wurde sollte doppelte Empörung hervorrufen statt Spitzfindigkeit. Da Schmidt dem „Angreifer“ mehr Platz für eine Kurzbiografie widmete, als allen Opfern zusammen, ist eine Identifikation des Lesers mit dem Täter vorprogrammiert. Die schwerverletzte Frau des „Soldaten“ und ihr ebenfalls verwundetes Baby wurden immerhin im Nebensatz erwähnt. Ein wackliges Passantenvideo hat sich Dank der sozialen Netzwerke Eingang in die Medien verschafft. Sehr deutlich ist das Schreien der verletzten Frau und des Kleinkindes zu hören. Arabische Gaffer überall, „unterlassene Hilfeleistung“ nennt man das in jedem Rechtsstaat. Das wird dann einfach mal ausgeklammert.

Ein unbedingtes Muss solcher Meldungen ist die Aufzählung der durch eine Polizeirazzia verletzten Palästinenser, die im Zusammenhang stehen mit den Attacken auf dem Tempelberg Es sind typische willkommene Ablenkmanöver, um nicht für Israel Empathie empfinden zu müssen. Wie der tragische Tod eines tauben Arabers auf den ein Grenzpolizist schoss, weil er die Behinderung nicht erkannte. Autor Schmidt kritisiert, dass dessen Tod den israelischen Medien „kaum eine Notiz wert“ war. Stimmt, und woher hat der pfiffige Rechercheur diese Erkenntnis? – aus der regierungskritischsten israelischen Zeitung, „Haaretz“, sogar verlinkt. Es wäre wünschenswert, arabische Medien so kritisch über die eigenen Taten berichten zu sehen.

David Signer, seines Zeichens Ethnologe mit Jerusalemerfahrung wagt sich für die NZZ an ein Kommentar zur Situation in Nahost und hat eigentlich nichts Neues zu sagen.  Er möchte, dass die politischen Protagonisten „die Karten auf den Tisch legen“. Das zeugt von einer gewissen Naivität im Umgang mit dem Thema. „Reflexartig“ schieben sich die Regierungschefs die Schuld zu, schreibt er. Ist das nicht weltweit so? Dann entgleisen einem wahren Experten zum Thema Israel und Judentum die Gesichtszüge. Signer meint, die einzelnen Gewalttaten, „so schrecklich sie sind, sind nur verständlich, wenn man sie als Symptome auffasst“. Niemand weiss genau von welchen Gewalttaten er schreibt und von welchen Symptomen, obwohl er selbst massiv fordert, dass die politischen Gegner endlich „offen deklarieren“ was sie wollen. Signer gesteht Nethanyahu nicht das gleiche zu, was Abbas erst vor kurzem praktizierte: die Meinung und Seite zu wechseln. Heute Frieden, morgen Intifada.

Nethanyahu schwankt eben zwischen der 2-Staatenlösung und gar keinem palästinensischen Staat. Ist das nicht eine deutliche Deklaration? Signer, der auch schon über einen „spirituellen Quickie im indischen Edelressort“ schrieb, sinniert nun über Nethanyhus eventuelle Vorstellungen zur Einstaatenlösung. Es wundert ihn offensichtlich, dass der israelische Ministerpräsident nicht müde wird, „den jüdischen Charakter des Staates Israel zu betonen“ und von den Palästinensern verlangt, dessen Existenz anzuerkennen – eine Voraussetzung für künftige Friedensgespräche. Das ist auch eine Deklaration, die die Gegenseite mit einem klaren „Nein“ beantwortet. Schliesslich sieht der Kommentator die Morde an Israelis, Brandbomben auf beiden Seiten und fortgesetzte Angriffe mit kiloschweren Steinen und Messern als „Schaukämpfe an symbolträchtigen Orten“. Fazit: nur die Palästinenser sollen einen Anreiz für eine „friedliche Beilegung des Konflikts haben“ und nur die Israelis müssen ihn liefern. Symptomatisch ist einzig die weltweite Haltung zum einzigen jüdischen Staat, wie bei der letzten Rede Nethanyahus und Abbas‘ vor den Vereinten Nationen zu erkennen war.

Es ist eine Lektion über Fakt und Fantasie und über die Tatsache, dass ausser den Arabern kaum jemand verantwortlich für die Nicht-Existenz eines bereits vor 67 Jahren angebotenen Staates ist. Signer sollte fragen, was nach der Staatsgründung Palästinas passiert. Werden die Anschläge und der Hass auf Israel verschwinden? Stattdessen folgt eine Ansage, die für eine Stuhlkreis-Therapie taugt: „egal, was gestern war, egal, wie böse der andere ist“, man solle sich zusammenraufen und „über eine produktive Koexistenz“ nachdenken. Vielleicht kann der Autor als Mediator fungieren.

Nach einer Woche haben sich die Medien an die Gewalt gewöhnt und ganz ungeniert die jüngsten Attacken auf das Wesentlichste reduziert: „Angreifer sticht mit Messer auf Juden ein“ schreibt der Bund zu dem Attentat auf einen jungen Israeli in Petahk Tikva, nahe Tel Aviv. Als eine „Araberin“ in der Jerusalemer Altstadt „einen Juden“ „leicht“ verletzt, hat das Opfer sich gewehrt und verletzte wiederum die Angreiferin „schwer“. Da kann man sich nur wundern. Nur noch Juden, keine Israelis.

Während die Medien noch über Israel herfallen, zieht Abbas schon die rebellische Reissleine. Inmitten unkontrollierbarer stechender Attentäter und rauchender Städte streckt Abbas bereits zaghaft die Friedenshand Richtung Israel aus. Schliesslich ermöglichte seine Machtposition ausgerechnet jene Regierung, mit der er kürzlich alle Friedenverhandlungen zugunsten einer freundlicheren Volksabstimmung abbrach. Der Schuss ging sozusagen nach hinten los.