Der Mythos von Arafats Vergiftung

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Foto Hans Jørn Storgaard Andersen. Lizenziert unter CC BY 3.0 via Wikimedia Commons.
Lesezeit: 7 Minuten

Jassir Arafat war einer der abscheulichsten politischen Führer des 20. Jahrhunderts. Er war der Vater des modernen Terrorismus, bis zum Ende seines Lebens liess er unzählige Zivilisten ermorden. Genau wie Idi Amin starb Arafat im Alter von 75 Jahren friedlich in einem Krankenhaus, ohne je für seine Taten zur Verantwortung gezogen worden zu sein. Dass Arafats Tod heute noch von manchen wie eine Katastrophe behandelt wird, die „aufgeklärt“ werden müsse, während die von ihm Ermordeten zumindest in Europa weithin vergessen sind, zeigt die Perversion der politischen Moral auf diesem Kontinent.

Von Stefan Frank

Dieser Tage wurde die Geschichte um Arafats angeblich „rätselhaften“ Tod noch einmal aufgekocht. Die französische Justiz hat das diesbezügliche Verfahren eingestellt, weil es für die Gerüchte über einen Giftmord mit der radioaktiven Substanz Polonium, die 2012 – acht Jahre nach Arafats Tod – von interessierten Kreisen verbreitet wurden, keine Belege gibt.

Arafat war gegen Ende seines Lebens alles andere als populär, aber kaum war er tot, wollten viele arabische Palästinenser aus ihm einen Märtyrer machen, der von Israel vergiftet wurde. Jetzt also ist die heisse Luft aus dieser Story endgültig entwichen – oder sollte es sein. Doch wann hätte sich je ein Gerücht über Juden in Luft aufgelöst, nachdem es mit den Mitteln der Vernunft widerlegt wurde? Noch nie. Und so streuen die europäischen Medien weiter Zweifel: „Viele Palästinenser verdächtigen Israel, Arafat vergiftet zu haben. Israel weist das vehement zurück.“ Der Satz stammt aus einer aktuellen Meldung der „Frankfurter Rundschau“, taucht aber so oder so ähnlich seit Jahren in vielen derartigen Berichten auf. Ist das objektiver Journalismus? Eine irrwitzige Behauptung, die von Anfang an nichts anderes war, als eine von Judenhassern lancierte Verleumdung, wird als eine von mehreren möglichen Tatsachenbeschreibungen dargestellt: Die Palästinenser sagen dies, die Israelis jenes, der Leser möge selbst entscheiden, wem er mehr traut.

Im selben Duktus könnte eine Zeitung z.B. auch schreiben: „Viele glauben, dass US-Präsident Barack Obama den Popstar Michael Jackson ermorden liess. Obama weist das vehement zurück.“ Eine Schmutzkampagne unter dem Deckmantel der Neutralität. Besonders perfide war eine Schlagzeile, die die rot-grüne Berliner Tageszeitung „Taz“ 2012 ersann: „Todesursache Jassir Arafats: Israel will es nicht gewesen sein.“

Die „Frankfurter Rundschau“ schliesst ihren Beitrag mit den Worten: „Nach der Entscheidung vom Mittwoch kündigte die palästinensische Autonomiebehörde weitere eigene Ermittlungen an. Diese sollten fortgesetzt werden, ‚bis wir wissen, wie Arafat getötet wurde’, sagte der für die Ermittlungen verantwortliche palästinensische Beamte Taufik Tirawi der Nachrichtenagentur AFP.“ Das Signal an den Leser: Bleiben Sie dran, dieser Fall bleibt allen Tatsachen zum Trotz solange „ungeklärt“, wie es den Israelhassern beliebt.

Die Poloniumanie

Es sei noch einmal daran erinnert, dass Suha Arafat, die schwerreiche Witwe, eine Obduktion des Leichnams untersagt hatte, dann aber 2012 eine Exhumierung veranlasste. Der Anlass war ein Urinfleck in Arafats Unterhose (offenbar eine Art Reliquie, die Suha acht Jahre lang ungewaschen verwahrt hatte), der angeblich eine erhöhte Konzentration der giftigen radioaktiven Substanz Polonium aufwies. Arafats schmutzige Unterhose wurde nun in den Augen seiner Verehrer zu einer Geheimwaffe. Suha Arafat beauftragte drei Wissenschaftlerteams aus Russland, der Schweiz und Frankreich die Frage zu klären, ob der verblichene Chefterrorist vergiftet wurde. Schnell einigten sich die internationalen Gerüchtekocher auf Polonium. Vielleicht, weil es besonders prestigeträchtig ist, damit ermordet zu werden; jedenfalls erhielten die Experten erhielten den Auftrag, in diese Richtung zu ermitteln. Es war eine der absurdesten Aufgabe, die je ein Wissenschaftler übernommen hat. Polonium 210 hat eine Halbwertzeit von 138 Tagen, d.h. nach 138 Tagen ist die Hälfte zerfallen; nach einem Jahr sind es 84 Prozent, nach zwei Jahren 97 und nach fünf Jahren 99,99 Prozent. Selbst wenn Arafat die Substanz, von der ein Millionstel Gramm tödlich ist, löffelweise gefuttert hätte, hätte sich so viele Jahre später in der Unterhose nichts mehr davon nachweisen lassen.

Polonium kommt in Zigarettenrauch und auch in der Umwelt vor. Fische und Muscheln, vor allem aus der Ostsee, gelten als poloniumbelastet. Und doch gibt es (noch) niemanden, der behauptet, der Mossad trachte der Makrele nach dem Leben. Bemerkenswert ist, wie das Interesse der Medien schwankte und eine starke Korrelation zu der Art der Ergebnisse aufwies. Das russische Team hatte zuerst seine Expertise veröffentlich: keine Anzeichen für eine Poloniumvergiftung. Diese Nachricht schaffte es nicht in die Zeitungen, geschweige denn ins Fernsehen. Dann kamen die Schweizer: dass sie, trotz einiger Widersprüche und Zweifel an einer Vergiftung (Arafats Krankheitsverlauf spreche dagegen, gaben sie zu) diese für „moderat wahrscheinlich“ hielten, war damals die Topnachricht an jenem Tag und dem folgenden, verbunden mit dem Hinweis, dass „die Palästinenser“ bzw. „viele Palästinenser“ dies schon immer für sicher geglaubt hätten. Die kennen sich nämlich zwar nicht mit Chemie aus, wissen aber, dass die Juden immer schuld sind.

Antisemiten leben in einer hermetischen Welt und nehmen nur Dinge wahr, die in ihr Weltbild integriert werden können. Manchmal kann man nicht nur das Ergebnis ihres Wahns sehen, sondern auch den Prozess. In einem 2012 verfassten Artikel über den „Mord“ teilte der bekannte Verschwörungstheoretiker Uri Avnery die unheimlichen Vorgänge mit, die sich angesichts der Nachrichten über Arafats Exhumierung in seinem Gehirn abspielten.

„Vom ersten Augenblick an hatte ich nicht den leisesten Zweifel daran, dass Jassir Arafat ermordet wurde … Die Untersuchungsergebnisse der Schweizer Experten von letzter Woche bestätigten nur meine Überzeugung.“

Während die beiden gegenteiligen Untersuchungen sie keinesfalls erschüttern können.

„Es war eine Angelegenheit einfacher Logik … Zunächst eine simple Tatsache: Menschen sterben nicht ohne Grund.“

Klar: Wenn Menschen nicht ermordet werden, leben sie ewig. Dass Arafat im zarten Alter von 75 Jahren dahinschied (die durchschnittliche Lebenserwartung in Jordanien beträgt 72), machte Avnery sehr misstrauisch.

„Ein paar Wochen, bevor dies geschah, besuchte ich Arafat. Er schien durchaus bei guter Gesundheit zu sein.“

Würde Avnerys Eindruck vor Gericht als medizinisches Gutachten akzeptiert? Vor der Jury der Antisemiten: ja. In der Welt der Fakten sieht alles ein wenig anders aus. Nur zwei Wochen vor Arafats Tod hatte die Schweizerische Depeschenagentur (SDA) berichtet:

Der schwer erkrankte palästinensische Präsident Jassir Arafat wird seit Jahren von gesundheitlichen Problemen geplagt. … Als Arafat sich 1994 noch im tunesischen Exil aufhielt, sagten Spitalangestellte in Tunis, er sei nach einem Herzanfall zur Behandlung eingeliefert worden … Im November 1997 kamen nach einem Treffen Arafats mit der damaligen US-Aussenministerin Madeleine Albright Gerüchte über eine mögliche Parkinson-Erkrankung auf. Arafat hatte während einer gemeinsamen Pressebegegnung starkes Zittern in der Unterlippe und in den Händen gezeigt. In dieser Zeit wirkte Arafat oft bleich und hatte Schwierigkeiten beim Sprechen … Im September 2003 tauchten weitere Fragen zum Zustand des palästinensischen Präsidenten auf … Eine Woche später berichtete die britische Tageszeitung “The Guardian” unter Berufung auf Arafats Umfeld, er habe tatsächlich eine “leichte Herzattacke” erlitten. Das Nachrichtenmagazin “Time” spekulierte über Magenkrebs bei Arafat.

Avnery hingegen war klar: Arafat war kerngesund, „da blieb nur Strahlung und Gift …“ Wer hätte ein Motiv? Die Frau, die weiss, wo Arafat das Gold versteckt hat? Die Hamas? All die PLO-Büttel, die Arafat von der Macht ferngehalten hat? Nein,

„für mich kann es keinen wirklichen Zweifel geben. Wenn auch viele ein Motiv hatten, so hatte nur eine Person die nötigen Mittel und einen tiefen und andauernden Hass gegen ihn: Ariel Sharon. Sharon war wütend, als Arafat ihm in Beirut durch die Finger entwischte.“

…und wartete danach 22 Jahre lang auf die Gelegenheit, Gift in Arafats Kakao zu schütten. Wenn alle Fälle nur so einfach zu lösen wären: Der Mörder ist immer der Jude, denn nur in ihm steckt „tiefer und andauernder“ Hass.

So sehr man übrigens den Kopf schütteln muss über das, was Zeitungen für berichtenswert halten, wenn es darum geht, Israel am Zeug zu flicken, so ist doch das, was fehlt, mindestens ebenso bemerkenswert. In all den Räuberpistolen über die mögliche Ursache von Arafats angeblich so rätselhaftes Ableben taucht eine Hypothese auf einmal gar nicht mehr auf: dass Arafat an den Folgen einer Aids-Erkrankung starb. Dieses Gerücht stammt aus der PLO-Führung selbst. Dem Hisbollahsender Al-Manar TV sagte Ahmad Jibril, der damalige Chef der PFLP-GC: „Als Mahmoud Abbas nach Damaskus kam, fragte ich: ‚Was hat die Untersuchung des Todes von Bruder Arafat ergeben?’ Jemand sagte: ‚Um offen zu sein: Die Franzosen haben uns den ärztlichen Bericht gegeben, die Ursache von Arafats Tod war Aids.’“

Das würde erklären, warum Suha Arafat damals eine Obduktion verweigerte. Doch bleiben wir, anders als die Poloniumanen, bei den Fakten: Es ist keineswegs sicher, dass Arafat wirklich an Aids starb. Es ist ebenfalls nur ein Gerücht, und im Grunde genommen ist es ja auch völlig gleichgültig, woran Arafat starb. Das Interessante aber ist, dass von allen kursierenden Gerüchten nur dieses eine in der Medienberichterstattung nicht mehr vorkommt. Das war nicht immer so. 2012 hatten einige Zeitungen noch über diese Theorie berichtet. Wie eine Google-News-Suche ergibt, hat 2012 keine deutschsprachige Zeitung die Wörter „Arafat“ und „Aids“ mehr im selben Artikel benutzt. Es ist, als hätte eine Art Politbüro dies verboten. Kein Wunder: Für die antiisraelischen Medieneliten im deutschsprachigen Raum sind nur solche Gerüchte akzeptabel, die Schuld auf Israel schieben. Dass Arafats ausschweifender Lebenswandel etwas damit zu tun haben könnte, darf nicht einmal gedacht werden. Warum spekuliert eigentlich niemand über die letzten Tage von Idi Amin? Dem hat die EU noch nicht einmal ein Mausoleum gebaut.

Über Stefan Frank

Stefan Frank ist freischaffender Publizist und lebt an der deutschen Nordseeküste. Er schreibt regelmässig über Antisemitismus und andere gesellschaftspolitische Themen, u.a. für die „Achse des Guten“, „Factum“, das Gatestone Institute, die „Jüdische Rundschau“ und „Lizas Welt“. Zwischen 2007 und 2012 veröffentlichte er drei Bücher über die Finanz- und Schuldenkrise, zuletzt "Kreditinferno. Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos."

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2 Kommentare

  1. “der bekannte Verschwörungstheoretiker Uri Avnery” ist eine persönliche Beleidigung und eine antisemitische Attacke.
    MfG
    Werner T. Meyer

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