Die Schweizer Medien und der mediale Seiltanz

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Foto Andreas Praefcke. Lizenziert unter CC BY 3.0 via Wikimedia Commons.
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Das Internet – unendliche Weiten. In diesem kurzlebigen Universum der Meldungen zählt jeder User-„Klick“. Dabei entscheidet die herrschende Publikumsmeinung welchen Stellenwert die Nachricht hat.In dieser Hinsicht haben sich auch die Schweizer Redaktionen an den Onlinetrend angepasst. Dem medialen Mainstream zu entsprechen steht häufig vor der umfassenden und differenzierten Berichterstattung. Da bleiben schon mal Fakten auf der Strecke, die das Gesamtbild durcheinander bringen können.

Von Sabrina Goldemann. Freie Autorin

Mit Hilfe digitaler Technik und den sozialen Netzwerken schafften sich die Printmedien neue künstliche Welten. Darunter leidet auch die Israelberichterstattung, die häufig bis zur Neudefinition reduziert oder umgestaltet wird. Dabei paart sich besonders beim Thema Israel ein subjektiver Sensationsjournalismus mit mangelnder Faktenrecherche. Es entstehen kreative Informations-Chimären und neue Wahrnehmungsprozesse. So hat sich die Autorin Viola Schenz in der Neuen Zürcher Zeitung nicht nur in der Medienanalyse versucht.

Sie ist auch vor der Schweizer Regierung zur Anerkennung Palästinas bereit und zwar in den Grenzen zur Zeit des britischen Empire. Ihre Geschichte spielt in der Westbank und Gaza . Es geht um „Journalismus in Palästina“ und das „Dynamit in der Wortwahl“. Ausgehend vom blutigen Überfall auf die Kehillat-Bnei-Torah-Synagoge, die die Autorin etwas unachtsam nach Jerusalem anstatt ins nahe Har Nof versetzt, beschreibt Schenz die Schwächen palästinensischer Medienarbeit, die „fast alle von Regierungen ins Leben gerufen“ werden. Jerusalem gehört zu Palästina? Für viele arabische Journalisten bedeutet nämlich Palästina genau das – eine Karte ohne Israel. Darauf geht sie aber nicht ein. Die Autorin stellt jedoch palästinensische Journalisten und Dozenten der „Arab Media Internet Network“ (Amin) in Ramallah vor, die die regionale Presse an geforderte Standards anpassen möchten. Mohammed Daraghmeh vermittelt einer Handvoll Schülern in Seminaren „souveränen Journalismus“. Das bedeutet auf den Synagogenangriff bezogen, für die Mörder den Begriff „Attentäter“ und nicht „Märtyrer“ zu verwenden. Damit sind natürlich nicht gleichzeitig die im Text erwähnten eigenen „Ressentiments gegen den jüdischen Staat“ korrigiert. Vielmehr handelt es sich um Übungen in der erforderlichen Seriosität für die Arbeit mit ausländischen Medienvertretern als potentielle Auftragsgeber. Unerwähnt bleiben im Text leider übliche Bezeichnungen wie „zionistisches Regime“ oder „Gebilde“ für Israel, die dem jüdischen Staat seine Legitimität entziehen. Das sollte vielleicht auch ein Kriterium sein, um bei ausländischen Medien besser punkten zu können, sollte es auf der Auftraggeberseite überhaupt Interesse bestehen. Zudem beschreibt der Dozent, die Abhängigkeit palästinensischer Medien von der „Autonomiebehörde, der Hamas“ und den „arabischen Nachbarn“, die „immer wieder einmal Akkreditierungen“ verweigern. „Israel“ kommt in dem Text nur einmal im nicht unklaren Zusammenhang zu „Schikanen“ israelischer „Grenzpolizisten“ vor, die ihm aufgrund fehlendem Papier Transfervisa nach Gaza verweigern. Da hätte sich die Autorin vielleicht mal die israelische Bürokratie anschauen müssen.

So verlassen sich ausländische Medienvertreter wie Associated Press (AP) oder der englischsprachige Dienst der Deutschen Presseagentur auf die Berichterstattung jener, die zwar mit Land und Leuten vertraut sind, aber mangels erforderlicher Pressefreiheit nur bedingt seriös sein können oder wollen. Denn, so erklärt Schenz rechtfertigend, stelle sich ihnen immer „irgendjemand, irgendetwas in den Weg“. Wie Daraghmeh bemerkt, seien übrigens alle „Schüler“ beim „Attentäter“-„Märtyrer“-Test durchgefallen.
Als die Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen ihren Jahresbericht zu Palästina veröffentlichte, haben auch die Schweizer Medien eine Meldung über die „Unbewohnbarkeit“ Gazas bis 2020 scheinbar 1:1 übernommen. Fazit des Berichts der Schweizer Depeschen Agentur (sda) ist schnell zusammengefasst: Ausschliesslich die „israelischen Militäroffensiven“ und die von „Israel verhängte Blockade“ tragen dafür die Verantwortung.

Kein Wort über die dort herrschende islamistische Hamas, die Hilfsgelder lieber in die Zerstörung Israels investiert als in die eigene Bevölkerung. Zudem hat auch Ägypten eine Grenze zu Gaza, die sie schliesst. Doch das verschweigt die Presse. Wie in der sda Meldung verkündet, könne laut UNO-Bericht nur die „Beendigung der israelischen Blockade“ eine wirtschaftliche Entwicklung bewirken- beim Fortbestehen der Hamasregierung sehen sie keine Probleme. Die Leser der Limmattaler Zeitung sahen das anders und zeigten sich im Anschluss an den Text besser informiert als die Medien.

Aus einem tiefen Fettnapf musste das Schweizer Aussenministerium seinen Vertreter im Iran herausziehen. Botschafter Giulio Haas zeigte anschaulich aber geschmacklos bei einem Vortrag in Zürich vor Schweizer und iranischen Geschäftsleuten, dass nicht alle seine optimistische Haltung zur wirtschaftlichen Öffnung des Irans teilen. Die Schweiz hat bereits einen grossen Teil der Sanktionen gegen Iran aufgehoben. Unter dem Motto «Iran: Jetzt oder nie?» zeigte Haas eine Karikatur des israelischen Ministerpräsidenten und Irankritikers Benjamin Netanyahu. Auf dessen Kopf zwei turtelnde Tauben mit einer iranischen und amerikanischen Flagge auf der Brust, die sich auf seinem Kopf erleichtern. Nun musste das Aussenministerium öffentlich Stellung nehmen. „Der Diplomat habe aber niemanden beleidigen wollen“, hiess es kurz und bündig. Karikaturen mit antisemitischen Zügen sind in europäischen Ländern nicht ungewöhnlich, gehören sogar zum Guten Ton. Erstmal veröffentlichen, dann schauen, was passiert und eine schnelle Entschuldigung dranhängen, nachdem herzlich gelacht wird.

Die Neue Zürcher Zeitung gibt dem Israeli Carlo Strenger als gebürtigen Basler ein Blogforum, um das andere, „liberale Israel“, fern von Besatzung, Terrorismus, und sozialer Ungerechtigkeit zu zeigen. Strenger, der ein Teil der Tel Aviver Kultur-Boheme ist, sei fasziniert von dem „Spannungsfeld zwischen menschlicher Leidenschaft und der Aufklärungsforderung nach vernünftigem Denken“. Der Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Tel Aviv beschreibt in einer Geschichte den Besuch einer Fotoausstellung ausländischer Fotografen und ihr persönliches Israelbild. Herausgekommen sei vor allem die Besatzung und die Situation in den besetzten Gebieten. Ein anderes Israel habe es für die Künstler nicht gegeben. Jemand der Israel nur durch diese Ausstellung kennen lerne, so Strenger, wird zum Schluss kommen, der Staat bestehe fast „ausschliesslich aus ultra-orthodoxen Siedlern, Soldaten, der Sicherheitsmauer, die zur Metapher für Israels Siedlungspolitik geworden ist, und palästinensischen Kindern, die in Slums wohnen.“ Es sei, als wäre das weltoffene, hochliberale Tel Aviv für die Fotografen, deren Aufgabe es war, Israel, so wie sie es verstehen, darzustellen, kein Teil Israels.

An der Einseitigkeit des Israelbildes sind die Medien stark beteiligt. Offensichtlich ist für viele Redaktionen nicht entscheidend, was geschieht, sondern wie es kommuniziert, dargestellt und wahrgenommen wird – meist auf Kosten eines Teils der Realität.

1 Kommentar

  1. Mir gefallen diese differenzierten Berichte von Frau Goldemann sehr gut. Alain des Botton hat in „Die Nachrichten“ auf das Folgende hingewiesen (passt gerade zu Israel ganz gut):
    „Die Medien verbergen ihre eigenen Wirkmechanismen und lassen sich schwer hinterfragen. Sie sprechen ganz natürlich und ohne Betonung, ohne je Bezug auf ihre eigene voreingenommene
    Perspektive zu nehmen. Sie vertuschen, dass sie nicht nur über die Welt berichten, sondern vielmehr ständig damit zugange sind, in unseren Köpfen einen neuen Planeten zu erschaffen, der unverkennbar zu ihren eigenen Prioritäten passt.
    Von Kindesbeinen an lernen wir, die Macht der Bilder und Worte zu würdigen. Man geht mit uns ins Museum und lehrt uns feierlich, dass bestimmte Bilder längst verstorbener Künstler unsere Sichtweise prägen. Wir lernen Gedichte und Geschichten kennen, die unser Leben verändern. Doch über die uns stündlich von den Nachrichten gebotenen Worte und Bilder klärt man uns
    erstaunlicherweise eher selten auf.“
    Mehr findet man hier: http://www.fischerverlage.de/media/fs/308/LP_978-3-596-03246-4.pdf

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