Israel, Netanjahu und der Atomdeal

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Am 5. März 2014 enterte Israels Marine im Roten Meer die Klos-C und stellte fest, dass diese Munition aus dem Iran zum Gazastreifen schmuggelte, darunter eine grosse Anzahl M-302-Raketen, die unter Säcken mit Portland-Zement versteckt waren. Foto IDF
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„Netanjahu verliert“, schrieb kürzlich Claudia Kühner in einer Analyse in der Basler Zeitung. Andere Medien, wie die FAZ, schrieben: „Netanjahu verliert auf der ganzen Linie“. Kühner kommt zu diesem Schluss, weil Netanjahu „Angst vor Iran“ als politisches Instrument bedürfe.

Die bekannte Schweizer „Nahostexpertin“ hat wohl verpasst, dass der Wahlkampf in Israel schon vor vier Monaten mit einem Wahlsieg für Netanjahu endete.

Netanjahu ist heute nicht nur mit dem Wiener Atomdeal konfrontiert. Er muss sich um vielfältige innenpolitische Herausforderungen kümmern, die absolut nichts mit Sicherheit, also Beziehungen Israels zu vielfältigen Arabern, von Hamas über Autonomiebehörde, Saudi Arabien, IS und Syrien zu tun haben.

Netanjahu beschäftigt sich mit der Verteilung von Posten, Koalitionsgeldern, „langweilige“ Fragen wie die Beziehungen zwischen Orthodoxen und dem Reformjudentum, die Abschaffung von Reformen seiner vorigen Regierung, Wohnungsbau, Streit um die Ausbeutung der Gasfelder vor der Küste Israels und dem Gesundheitswesen. Ein Generalstreik steht an, weil viele Israelis keine Festanstellung erhalten, darunter sogar Lehrer an Staatsschulen.

Netanjahu ein „Scheitern“ vorzuwerfen und ihn zu bezichtigen, dass er die Angst vor Iran als „politisches Instrument“ benötige, ist auch deshalb absurd, weil sich in Sachen Atomvertrag die Regierung und große Teile der Opposition, Netanjahu und Jitzhak Herzog vom „Zionistischen Lager“ in dieser Frage einig sind. Differenzen gibt es nur bei der Frage, ob Netanjahus Vorgehen, wie die Rede vor dem amerikanischen Kongress und das Zerwürfnis mit US-Präsident Barack Obama, der richtige Weg war. Kühner scheint zu glauben, dass Israel ein ständiges Mitglied des UNO-Sicherheitsrates sei. Sie macht nämlich Netanjahu dafür verantwortlich, nicht Verhandlungspartner gewesen zu sein. Bekanntlich hatte Israel am Verhandlungstisch nichts zu suchen und mit Gewissheit hätten die Iraner ein Veto eingelegt, Israel zu beteiligen.

Netanjahu wird vorgeworfen, keine „Alternative“ entwickelt zu haben. Israel hat durchaus erklärt, wo die Mängel des Abkommens liegen. So beklagt Israel aus guten Gründen, dass eine Überwachung des Militärapparats des Iran kein Thema war, obgleich der Iran mit Beratern, Truppen und Waffenlieferungen an vielen Fronten aktiv ist, von Jemen über Syrien und bis Irak. Eine Aufklärung der schweren Terroranschläge 1994 in Buenos Aires auf die israelische Botschaft und das jüdische Gemeindezentrum mit mutmaßlicher iranischer Beteiligung werden bis heute vertuscht. Die geplante Aufhebung der Wirtschaftssanktionen werde Milliardensummen frei machen, die Teheran gewiss nicht in soziale Projekte investieren will, sondern in eine Ausweitung seiner terroristisch-militärischen Engagements. Weiter irritieren die Israelis die offene antisemitische Drohungen des Iran, nicht nur „Tod den Amerikanern und Israel“ zu rufen, Flaggen auf der Straße zu verbrennen, sondern immer wieder auch die Zerstörung Israels zu predigen, wie zuletzt Staatschef Ali Khamenai.

Obama hat Recht, wenn er behauptet, dass das „Benehmen des Iran“ nicht Teil der Verhandlungen war, sondern allein das Atomprogramm. Doch kann man es Israel kaum verdenken, sich von Iran bedroht zu fühlen, unter anderem durch Raketen, die Teheran an die Hisbollah-Miliz im Libanon oder an die Hamas im Gazastreifen geliefert hat und die Israels Bevölkerung seit Jahren terrorisieren?

Kühner schreibt weiter: „Dass sein Land die einzige Atommacht der Region ist, mit mutmasslich an die zweihundert Sprengköpfen, das liess Netanjahu unerwähnt.“

Für diese Aussage gibt sie keine Quelle an. Geredet wird von 80, 200, 300 oder 400 Atomsprengköpfe im Besitz Israels. Bei derart unterschiedlichen Angaben ist nur klar: Niemand hat genaue Informationen. Und da Israel bis heute keinen Atomtest durchgeführt, kann niemand mit Gewissheit sagen, ob Israel überhaupt eine Atombombe besitzt. (Auch Frankreich und Grossbritanien besitzen übrigens nukleare Waffen, aber wie im aufklärenden Video der Prager University erklärt wird, sind es nicht die Waffen selber, welche das Problem sind, sondern wer sie besitzt, und was effektiv damit gemacht wird.)

Nord-Korea, Pakistan und Indien haben mit Atomtests der Welt kundgetan, dass sie Atommächte seien, nicht Israel.

Dass Netanjahu das nicht erwähnt, wie Kühner vorwurfsvoll moniert, hat gute Gründe. Es ist seit Jahrzehnten eine stehende Politik Israels, die Welt glauben zu lassen, dass es die Atombombe besitze, zwecks Abschreckung. Ägyptens Präsident Anwar el Sadat hat wegen dieses Glaubens sogar Frieden mit Israel geschlossen. Israel hat niemals mit der vermeintlichen Atombombe gedroht. Kühner scheint ihr „Wissen“ aus dem berühmten Gedicht des Günther Grass zu beziehen, das er „Mit letzter Tinte“ in der Süddeutschen Zeitung veröffentlich hat.

Kühners Behauptung, dass Netanjahu wegen seines Scheiterns „das Thema gewechselt“ und sich nun der Gefahr des Boykotts gegen Israel zugewandt habe, entspricht nicht der Wahrheit. Die BDS-Bewegung, die Ankündigung des Orange-Chefs, seine Beziehungen mit Israel abzubrechen, sind lediglich weitere Themen, mit denen Netanjahu konfrontiert ist. Kühner irrt mit ihrer Behauptung, dass BDS sich allein gegen die Besatzung und die Siedlungen richtet. Wo immer man hinschaut, geht es den Aktivisten um die Vernichtung des „Apartheid-Staates“ Israel. Ein Boykott aller israelischen Lehrinstitute, wie an amerikanischen oder britischen Universitäten gefordert, hat nichts mit dem Kampf gegen die Siedlungen und deren Produkte (knapp 2 % der israelischen Exporte) zu tun.

Während der Besuche des britischen und italienischen Außenministers, sowie jetzt, des amerikanischen Verteidigungsminister Ash Carter, wird Netanjahu gewiss nicht nur über die Vorzüge israelischer Tröpfchen-Bewässerung, Hightech und der Wasserentsalzung dozieren. Kühner könnte nach einem Blick auf die wöchentlichen Kabinetts-Communiqués oder Netanjahus öffentliche Aussagen schnell feststellen, dass Iran immer noch, wie eine Mantra, seine Hauptsorge bleibt, dass er sich aber als Regierungschef und Koalitionspartner auch noch um viele andere Themen kümmern muss.

Über Ulrich W. Sahm

Ulrich W. Sahm, Sohn eines deutschen Diplomaten, belegte nach erfolgtem Hochschulabschluss in ev. Theologie, Judaistik und Linguistik in Deutschland noch ein Studium der Hebräischen Literatur an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Seit 1975 ist Ulrich Sahm Nahost-Korrespondent für verschiedene deutschsprachige Medien und berichtet direkt aus Jerusalem.

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