Die Sicherheitslage an Israels Grenzen – Teil III

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Ein Hisbollah-Banner über einer Strasse im Südlibanon in der Nähe des Litani-Flusses. Foto PD
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Die libanesische Hisbollah ist die grösste Gefahr für Israel in dessen unmittelbarer Nachbarschaft. Zwar versucht die schiitische Terrormiliz derzeit vorranging, das Assad-Regime zu verteidigen, doch viele Sicherheitsexperten gehen davon aus, dass ein nächster Krieg zwischen der Hisbollah und Israel nicht zu vermeiden sein wird. Aber es gibt auch andere Stimmen.

Es war General Yair Golan, der stellvertretende Generalstabschef der IDF, der anfangs Juni für Schlagzeilen sorgte, als er an einer Konferenz der IDF-Veteranenorganisation Tzevet erklärte, die Situation an der Nordgrenze sei besser als je zuvor. Die Hisbollah habe über 1000 Kämpfer in Syrien verloren. Wenige Tage später stimmte ihm ein hochrangiger Sicherheitsbeamter zu. Die Hisbollah sei geschwächt und würde es nicht wagen, neue Feindseligkeiten mit Israel zu initiieren.

Tatsächlich steht ausser Frage, dass die Situation in Syrien für die Hisbollah ein veritables Problem darstellt. Die schiitische Terrormiliz, welche nach dem Zweiten Libanonkrieg auch von vielen sunnitischen Muslimen als Speerspitze des „Widerstands gegen das zionistische Regime“ gefeiert wurde, hat mit ihrer Unterstützung für das Assad-Regime und dessen brutales Vorgehen gegen die syrische Zivilbevölkerung die Sympathie der Sunnis verspielt. Vielerorts wird die „Partei Gottes“ nun als „Hizbushaitan“, die Partei Satans, verflucht.

Gefahr der Destabilisierung
Zudem dürfte es sich nur um eine Frage der Zeit handeln, bis der Krieg in Syrien vollends in den Libanon überschwappt. Bereits im vergangenen Jahr kam es zu vereinzelten Gefechten zwischen ISIS- bzw. Al Nusrah-Sympathisanten und libanesischen Sicherheitskräften, erstere mithilfe syrischer Flüchtlinge, welche die Lage im Libanon weiter zu destabilisieren drohen. Viele Minderheiten im Libanon sehen sich zunehmend bedroht durch lokale Salafi-Jihadisten und die jüngste Ramadan-Botschaft von ISIS dürfte solche Ängste nicht abmildern. Darin ruft ISIS die Sunniten in Jordanien, Saudi-Arabien und Libanon dazu auf, sich dem Jihad anzuschliessen und sich gegen ihre Regierungen zu erheben.

Und auch die Reaktion der Hisbollah auf einen Luftangriff, der im Januar dieses Jahres mehreren Hisbollah-Kämpfern (unter ihnen Jihad Mugniyah, Sohn von Imad Mugniyah), sowie einem General der iranischen Revolutionsgarden das Leben kostete, lässt darauf schliessen, dass die Hisbollah derzeit nicht an einer Eskalation mit Israel interessiert ist. Tatsächlich beschränkte sich die Hisbollah-Vergeltung auf eine Attacke an der Grenze, bei welcher zwei israelische Soldaten getötet wurden. Daraufhin sandte die libanesische Organisation eine „Anti-Eskalationsbotschaft“ an Israel.

Allerdings ist man gut beraten, daraus nicht voreilig zu schliessen, dass die Sache für die Hisbollah damit abgehackt ist. Ende Mai berichteten israelische Medien, dass zypriotische Sicherheitskräfte ein Hisbollah-Mitglied verhaftet haben. In der Wohnung des Verdächtigen wurden grosse Mengen an Sprengstoff sichergestellt, die offenbar für eine vom Iran orchestrierte Terrorkampagne gegen israelische, jüdische und westliche Ziele in Europe vorgesehen gewesen waren. Dieses Szenario erinnert mehr als nur entfernt an den von Hisbollah und Iran im Zuge der Tötung iranischer Nuklearwissenschaftler und des vorzeitigen Ablebens von Hisbollah-Mastermind Imad Mugniyah in Damaskus, im 2008 geführten Schattenkrieg gegen den Westen, der allerdings grösstenteils – mit der Ausnahme des Attentats von Burgas – fehlschlug. Es scheint nicht abwegig, dass die iranische Qods-Einheit und die Abteilung der Hisbollah für Operation im Ausland versuchen, den Tod von Mugniyah jun. und IRGC-General Mohmmed Ali Allahdadi mit einer Terrorserie gegen leichter verwundbare Ziele ausserhalb Israels zu rächen.

Doch auch die Hintergründe der Tötung von Jihad Mugniyah geben Anlass zur Besorgnis. Gemäss Medienberichten war er ein Jahr zuvor zum Kommandanten einer Hisbollah-Spezialeinheit ernannt worden, deren Aufgabe darin bestand, in den Golanhöhen Geheimoperationen gegen Israel durchzuführen. Allahdadi fungierte offenbar als „Mentor“ der Einheit. Gemäss der israelischen Zeitung Maariv sei die Einheit damit beschäftigt gewesen, eine Terror-Infrastruktur in den Golanhöhen aufzubauen, um bei einem künftigen Konflikt mit Israel eine zweite Front neben der libanesischen Grenze eröffnen zu können. Allerdings habe der Angriff die Einheit paralysiert und es sei derzeit unklar, ob der Iran und Hisbollah versuchen würden, sie zu reaktivieren oder neu aufzubauen.

Eskalationsdynamik
Die Rhetorik sowohl von Seiten der Hisbollah als auch von Israel hat sich in den vergangenen Monaten merklich verschärft. Hisbollah-Generalsekretär Nasrallah drohte etwa mehrfach mit einer grossflächigen Invasion der Galiläa-Region und eine Gruppe junger libanesischer Filmemacher ist derzeit mit der Verfilmung eines solchen Szenarios beschäftigt. Umgekehrt kündigte Israel an, es würde in einem künftigen Konflikt über eine Million Zivilisten im Süden Libanons innert 24 Stunden evakuieren und dann zum Angriff auf tausende Hisbollah-Ziele in ungefähr 240 Dörfer übergehen. Nasrallah erwiderte darauf prompt, dass ein nächster Konflikt die Vertreibung von Millionen von Israelis zur Folge haben werde.

Jeffrey White vom Washington Institute warnte bereits Ende Januar vor einer Eskalationsdynamik, welche letzten Endes zu einem neuen Konflikt führen könnte, obwohl ein solcher derzeit weder im Interesse von Israel noch der Hisbollah liegt. Shaul Shay, ehemaliger Vizevorsitzender des National Sicherheitsrates Israels und Dozent am Interdisciplinary Center in Herzliya, offerierte vor kurzem eine ähnliche Einschätzung in der Jerusalem Post. Ihm zufolge sind neue Feindseligkeiten auch durch die alleinige Initiative der Hisbollah denkbar, etwa als Vorwand, um die Hisbollah von ihrer Bürde im Syrien zu befreien und angesichts eines neuen Kriegs mit Israel auf ein Ende der Feindseligkeiten zwischen Assad und Rebellen zu pochen. Allerdings scheint fraglich, ob eine solche Strategie tatsächlich aufgehen würde angesichts der Konfrontation zwischen Schiiten und Sunniten, bzw. zwischen Iran und den Golfstaaten und den „moderaten“ arabischen Staaten wie Ägypten und Jordanien. Diese scheint derzeit für die meisten Akteure eine grössere Priorität zu haben als ein neues Bündnis gegen Israel.

Gemäss Shay hat die Hisbollah zwar schwere Verluste erlitten in Syrien, dadurch aber zugleich auch an Kampferfahrung gewonnen. Zudem ist es unbestreitbar, dass das Waffenarsenal der Hisbollah noch immer seinesgleichen sucht. Die Terrormiliz verfügt gegenwärtig über mehr als 100’000 Raketen (2006 waren es gerade mal 12‘000), sowie Drohnen, Panzer- und Flugabwehrwaffen, sowie Antischiff-Flugkörper.

Angesichts der strategischen Bedeutung von Syrien sowohl für den Iran als auch die Hisbollah, dürfte das Hauptaugenmerk beider Parteien vorerst weiterhin darauf liegen, eine endgültige Niederlage des Assad-Regimes, sowie eine Ausweitung des Konfliktes auf den Libanon zu verhindern. Beides hätte schwerwiegende, nicht alleine für das Hisbollah, sondern auch für Israel. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass erneute Provokationen von Seiten der Hisbollah der bislang relativ stabilen Waffenruhe zwischen der Terrormiliz und Israel schon bald ein jähes Ende bereiten werden.

Über Michel Wyss

Michel Wyss ist freischaffender Analyst bei der Audiatur-Stiftung und beschäftigt sich hauptsächlich mit Sicherheitspolitik im Nahen Osten. Er absolviert derzeit ein MA-Studium in Government mit Fokus auf Internationale Sicherheit am Interdisciplinary Center in Herzliya, Israel und ist als Research Assistant beim International Institute for Counterterrorism (ICT) tätig.

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