Man muss nicht den Teufel an die Wand malen, um festzustellen: Die Luft zum Atmen wird für die Juden weltweit – und für den jüdischen Staat im Besonderen – immer dünner. Längst hat sich de facto eine antisemitische Internationale herausgebildet, die immer ärger wütet – mit allen Mitteln. Die vergangenen Tage haben das erneut in schrecklicher Deutlichkeit gezeigt.
Am Ende war – angeblich – alles gar nicht so gemeint. Man halte nichts von Boykotten, liebe Israel und werde die Kooperation mit dem israelischen Unternehmen Partner Communications fortsetzen, beteuerte Stéphane Richard nun, der Vorstandschef der französischen Telekommunikationsfirma Orange. Das hatte sich einige Tage zuvor noch ganz anders angehört. Da nämlich hatte Richard auf einer Pressekonferenz in der ägyptischen Hauptstadt Kairo gesagt, er würde das Engagement seines Unternehmens in Israel «lieber heute als morgen» beenden. Im jüdischen Staat empörte das viele. Scharfe Kritik äusserte beispielsweise Premierminister Benjamin Netanjahu, der befand, Richards Aussagen zeugten von einer feindlichen Gesinnung und seien Teil «einer orchestrierten globalen Kampagne, um Israel zu delegitimieren».
Das sind markige Worte, aber Netanjahu hat damit Recht. Längst sieht sich Israel nicht mehr «nur» militärischen Attacken der Hamas, der Hisbollah, des Islamischen Jihad und neuerdings des IS ausgesetzt, sondern auch massiven Angriffen auf politischer, ökonomischer und rechtlicher Ebene. Die sogenannte BDS-Bewegung etwa, die vor zehn Jahren gegründet wurde und einen Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen gegen den jüdischen Staat fordert, ist zu einem international tätigen Zusammenschluss von ideologisch hochmotivierten Aktivisten angewachsen, die alles daransetzen, um Israel auf so vielen Ebenen wie möglich zu schaden. Besonders im akademischen Bereich hat diese Bewegung bereits eine Reihe von «Erfolgen» erzielt: Internationale Fachzeitschriften lehnen Aufsätze israelischer Wissenschaftler ab, wissenschaftliche Konferenzen in Israel werden boykottiert, Veranstaltungen mit israelische Akademikern werden gestört.
Antisemitisches Theater: Boykott, Kapitalabzug, Sanktionen
Die BDS-Bewegung wird dabei in Israel nicht nur von Regierungspolitikern verurteilt. Der Vorsitzende der oppositionellen Arbeitspartei etwa, Yitzhak Herzog, bezeichnete ihre Aktivitäten unlängst als «diplomatische Intifada» von Israelhassern. Für Yair Lapid, den Chef der Partei Yesh Atid, sind die Anführer der BDS-Kampagne Antisemiten und Marionetten «in einem Theater, das von der Hamas und dem islamischen Jihad aufgeführt wird». Ihre Motivation sei antiisraelisch und antijüdisch. Wie sehr das zutrifft, liess sich dieser Tage am Beispiel eines Treffens der Initiative «Zwei Staaten, ein Heimatland» beobachten. Diese Vereinigung von Israelis und Palästinensern, die nach eigenen Angaben für eine einvernehmliche Zweistaatenlösung und offene Grenzen plädiert, wollte ihren Gründungskongress eigentlich in der palästinensischen Stadt Beit Jala ausrichten. Nach handfesten Drohungen von BDS-Aktivisten, die solche Normalisierungsbemühungen kategorisch ablehnen, musste die Veranstaltung jedoch nach Jerusalem verlegt werden.
Diese Boykottbestrebungen sind nicht die einzigen Versuche, Israel zu dämonisieren und zu delegitimieren. Schon ein kurzer Blick auf Meldungen und Geschehnisse der vergangenen Tage macht deutlich, wie sehr der jüdische Staat unter Druck gesetzt wird und welche Mittel dazu eingesetzt werden. So zog beispielsweise der Palästinensische Fussballverband auf dem FIFA-Kongress Ende Mai seinen Antrag auf Ausschluss Israels zwar im letzten Moment zurück, weil abzusehen war, dass er nicht die erforderliche Dreiviertelmehrheit finden würde. Doch schon dass er im Vorfeld für viel Wirbel und Diskussionen gesorgt hatte, dürfte Jibril Rajoub – der Vorsitzende des Verbands, der wegen terroristischer Aktivitäten 17 Jahre in israelischen Gefängnissen verbracht hat und «jede gemeinsame sportliche Aktivität mit dem zionistischen Feind zum Zwecke der Normalisierung» als «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» ablehnt – auf der Habenseite verbuchen. Und er erreichte sogar noch mehr: Sein Vorschlag, eine FIFA-Kommission einzusetzen, die unter anderem die Bewegungsfreiheit palästinensischer Spieler und Funktionäre überwacht und Rassismus im israelischen Fussball untersucht, wurde vom Kongress mit grosser Mehrheit angenommen. Letztlich hat Rajoub bekommen, was er wollte – seine ursprüngliche Maximalforderung diente vor allem dazu, den Preis für Israel in die Höhe zu treiben.
Die Uno: Vereinte Nationen gegen Israel
Die Vereinten Nationen haben derweil dem antisemitischen Gerücht vom «Kindermörder Israel» neue Nahrung gegeben. Im jährlichen UN-Bericht über Kriege, Länder und Krisen, in denen Kinder in bewaffneten Konflikten zu Opfern wurden, wird der jüdische Staat für sein diesbezügliches Vorgehen im Gaza-Krieg 2014 scharf kritisiert. Von einer «noch nie dagewesenen und inakzeptablen Grössenordnung» sowie einem «beispiellosen und inakzeptablen Ausmass» sprach Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon. Seine für den Bericht zuständige Sondergesandte wollte Israel sogar auf die «schwarze Liste» der schlimmsten Kinderrechtsverletzer setzen, auf der ansonsten Despotien und Autokratien wie Afghanistan, Syrien, der Jemen, Somalia oder der Sudan und Terrororganisationen wie al-Qaida, der IS und die Taliban stehen. Dieses Ansinnen immerhin lehnte Ban ab – sehr zur Enttäuschung der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, die offenkundig kein Problem damit hat, dass die Hamas nicht nur Kinder zu Kombattanten und Zielscheiben macht, sondern sie auch in UN-Schulen im Gazastreifen gezielt indoktriniert.
Darüber hinaus hat die Uno das Palestinian Return Center (PRC) als nichtstaatliche Organisation anerkannt. Das PRC ist eine antisemitische Vereinigung, die von Hamas-Aktivisten angeführt wird und unter anderem Israelis für Nazis hält und den jüdischen Staat der «Apartheid» sowie «ethnischer Säuberungen» bezichtigt. Der NGO-Status gewährt dem PRC unter anderem Zugang zu UN-Komitees und dem sogenannten Menschenrechtsrat. Ron Prosor, der israelische UN-Botschafter, kommentierte diese Entscheidung dann auch treffend mit den Worten: «Bis heute haben die Vereinten Nationen der Hamas Nachlass gewährt und sie ihre Aktivitäten stärken lassen. Jetzt sind sie einen Schritt weiter gegangen und haben der Hamas eine Willkommensfeier an ihrem Haupteingang ausgerichtet, indem sie ihr die Erlaubnis erteilten, ein vollwertiger Teilnehmer zu sein. Wenn es nach diesem Schriftsatz geht, werden wir eines Tages die Hisbollah im Sicherheitsrat finden und den IS, wie er im Menschenrechtsrat abstimmt. Das ist die Spitzensaison für das Theater des Absurden.»
Judenhass in allen Teilen der Gesellschaft
Angesichts solcher Entwicklungen passt es ins Bild, dass in Deutschland (und nicht nur dort) die Zahl antisemitischer Taten deutlich gestiegen ist. Beim «klassischen» Antisemitismus – wozu beispielsweise Hakenkreuzschmierereien an Synagogen, Hetze auf Demonstrationen und die Schändung jüdischer Friedhöfe gehören – gab es nach Angaben der Bundesregierung im vergangenen Jahr 1.596 Vorfälle, das entspricht einem Zuwachs gegenüber dem Jahr 2013 von 25 Prozent. Noch gravierender sieht es beim antiisraelischen Antisemitismus aus: In diesem Bereich kletterte die Zahl von 41 auf 575 Taten, wovon 91 mit körperlicher Gewalt einhergingen. Hier wirkten die judenfeindlichen Demonstrationen während des Gazakrieges wie ein Brandbeschleuniger. «Die Hemmschwelle für antisemitische Hassparolen und letztendlich gewalttätige Übergriffe sinkt stetig», stellte Deidre Berger, die Direktorin der Berliner Dependance des American Jewish Committee (AJC), dann auch fest. Sie geht zudem davon aus, dass die Dunkelziffer in Wirklichkeit noch weit grösser ist: «Viele Anfeindungen auf Strassen, Schulhöfen und Sportplätzen werden durch die offiziellen Zahlen gar nicht abgebildet.»
Für die massiven Anfeindungen in Briefen und E-Mails an den Zentralrat der Juden in Deutschland und die israelische Botschaft gilt das ebenfalls. Monika Schwarz-Friesel, Professorin für allgemeine Linguistik an der TU Berlin, hat sie untersucht und dabei herausgefunden, dass zwei Drittel davon nicht aus ideologischen Randmilieus kommen, sondern aus der vielbeschworenen «Mitte der Gesellschaft». «Sehr viele Hochgebildete» äusserten sich da, «mit Name und Anschrift, mit Angabe des Berufs und akademischer Grade». Deren «emotionales Bedürfnis, unter dem Deckmantel der sogenannten ‹Israelkritik› judenfeindliches Gedankengut zu verbreiten», schiebe «historische und sprachliche Hemmnisse beiseite». Gleichzeitig «schwindet die Gegenwehr», das heisst, es gibt «einen Rückgang der Stimmen, die antisemitischen Parolen im öffentlichen Diskurs entgegentreten».
Antisemitische Internationale
Man malt ganz gewiss nicht den sprichwörtlichen Teufel an die Wand, wenn man konstatiert, dass die Luft zum Atmen für die Juden weltweit – und für den jüdischen Staat im Besonderen – immer dünner wird. Die «diplomatische Intifada», von der Yitzhak Herzog spricht, nimmt immer grässlichere Züge an. Betrieben wird sie von einer faktischen Allianz aus politischen Aktivisten und Vereinigungen, Künstlern, Regierungen, NGOs, der Uno, Sportverbänden, diversen Unternehmen und ganz normalen Bürgern, die in ihrer Gesamtheit eine regelrechte antisemitische Internationale darstellen. Sich gegen sie zur Wehr zu setzen, ist vor allem für Israel weitaus schwieriger, als militärischen Angriffen zu begegnen. Denn während sich Terrororganisationen bislang noch mit der Kritik der Waffen einigermassen in Schach halten lassen, werden die Waffen der Kritik dort, wo das antisemitische Ressentiment immer heftiger wütet, zunehmend wirkungsloser. Dieses Ressentiment aber bereitet den Boden für die Gewalt, für die Attacken, für die tödlichen Angriffe auf die Juden, ihre Einrichtungen und ihren Staat, es flankiert sie und begreift sich als deren Legitimation. All dies kennzeichnet, wohlgemerkt, keinen Ausnahmezustand, sondern – viel schlimmer – die Normalität. Und es deutet wenig bis nichts darauf hin, dass sich an dieser Normalität etwas zum Positiven ändern wird. Im Gegenteil.
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