Robert Solomon Wistrich (1945-2015) war ein Gelehrter im besten Sinn des Wortes, aber dies war er nicht etwa nur im Elfenbeinturm.
Er hat in humanistischer Tradition der geisteswissenschaftlichen Forschung ein ungemein produktives Werk zur Aufklärung über die „lethale Obsession“, den „längsten Hass“, den „antisemitischen Wahn“ geschaffen. Dabei hat er mit der Erhellung der Geschichte der Judenfeindschaft die Erforschung der Kulturgeschichte bereichert, die seit der Antike eben von diesem Hass, von dieser Barbarei stets begleitet worden ist, offen oder latent. Er war ein Aufklärer, der gerade auch die Schattenseite, die unvollendete Aufklärung, zum Thema gemacht hat. Das ist naturgemäss eine Herkulesarbeit. Aber Robert Wistrich war klar, dass der Augiasstall des Antisemitismus nicht – wie in der Legende im Blick auf Herkules – nur seit 30 Jahren nicht mehr ausgemistet worden ist, sondern eine Persistenz und Wandlungsfähigkeit besonderer Art besitzt. Eben: Es ist der „längste Hass“. Und genau dieses Wissen hat seine Hartnäckigkeit bestimmt, bei diesem Thema zu bleiben und immer wieder die unterschiedlichsten Häutungen der alten Schlange zu entlarven.
In Jerusalem habe ich ihn im Mai, eine Woche vor seinem Tod, noch auf einer Konferenz gesehen und gehört. Er hielt einen magistralen Vortrag. Bemerkenswert war, dass er den Antisemitismus der Gegenwart (im wesentlichen ja antiisraelischer Antisemitismus) als eine Art „Zivilreligion“ bezeichnete und dieser den Namen „Palästinismus“ (Palestinanism) gab. Er spielte dabei auch auf Saul Friedländers Begriff des „Erlösungantisemitismus“ an. Friedländer hat diesen Begriff für Hitlers und Nazideutschlands „Religion“ verwendet, die Welt zu retten durch Erlösung von den Juden. In der Tat hat der moderne Antisemitismus in der Form der Feindschaft gegen Israel wieder geradezu religiöse Züge angenommen, man kann auch von Wahn sprechen. Wir erleben es darum täglich, dass selbst christliche Institutionen in der Schweiz gezielt antiisraelisch agieren, mit einem geradezu auffälligen Anspruch der moralisch-religiösen Ueberlegenheit über den Judenstaat und mit dem besten aller Gewissen. Der von Robert Wistrich so genannte „Palästinismus“ hat sich endemisch ausgebreitet und nicht zuletzt Funktionäre der mittleren kirchlichen Bürokratie erreicht – die dann antiisraelische Organisationen oder Veranstaltungen finanzieren (mit unserem Steuergeld).
Doch was mich zutiefst berührt hat, war, dass dieser Gelehrte, der nun wirklich den bis heute perennierenden Judenhass kennt und voller Pessimismus sein könnte, in Jerusalem gesagt hat:
„Hier, im schlagenden Herzen der jüdischen Nation, wo dessen Körper und Seele in der Stadt des Friedens zusammenkommen, müssen wir treu zur nationalen und universalen Vision unserer biblischen Propheten sein. Der Antisemitismus, der lange Schatten, der so lange unsere zweitausendjährige Trübsal der Diaspora und nahezu siebzig Jahre unserer erneuerten Staatlichkeit begleitet hat, ist weder ‚ewig’ noch darf er Juden daran hindern, ihre letztendliche Bestimmung zu erfüllen, eines Tages ein ‚Licht für die Völker’ zu werden“.
Robert war für mich schon ein solches „Licht“. Er möge in Frieden ruhen!
Siehe dazu auch Manfred Gerstenfeld: Robert Wistrich sel.A. – ein leidenschaftlicher Verteidiger des jüdischen Volks
Prof. Robert Wistrich letzte öffentliche Rede anlässlich des „Global Forum for Combating Antisemitism“ im Mai 2015 in Jerusalem.
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